Ausbildungszentrum für Vielseitigkeitsreiter steuert auf Expansionskurs. Dressurakademie wechselt in den Landkreis Harburg

Luhmühlen. Der neunjährige Wallach Lord spitzt die Ohren. Vertraut läuft er am Zügel von Trainerin Kathleen Keller in Richtung Dressurviereck. Die Pferdewirtin Lia Mazur ist ein paar Schritte voraus. Sie bringt den sechsjährigen Hengst Dajan zum Spring-Parcours. Dort wartet Claus Erhorn, 1988 Olympiasieger in Seoul, und jetzt niedersächsischer Landestrainer der Vielseitigkeitsreiter am Ausbildungszentrum Luhmühlen. Von ihm stammen die wöchentlich wechselnden Strecken über die Hindernisse, die er zusammen mit den Lehrlingen des Betriebs aufbaut. Gerade erhöht er einen Oxer um eine weitere Stange auf einen Meter. Kein Problem für Dajan. Mit Mazur im Sattel meistert der Hengst locker die neue Höhe. Entspannt wie Pferd und Reiterin wirkt die gesamte Szene auf dem Gelände, auf dem noch weitere Trainer und Amateur-Reiter unterwegs sind. Der Trainingsbetrieb in Luhmühlen, das für seine Reitturniere auf Weltniveau bekannt ist, scheint eingespielt wie seit Jahren.

Doch der Eindruck täuscht. Denn die Strategie für Deutschlands bekanntestes Reiterdomizil wird gerade neu erfunden. Daran arbeitet Roland Wörner, 59, der Geschäftsführer des Ausbildungszentrums, das für den wirtschaftlichen Betrieb des Standorts in der Lüneburger Heide steht. Der promovierte Landwirt hat sich ehrgeizige Ziele gesteckt. So soll das Zentrum, das mitsamt der zwei Auszubildenden 15 Mitarbeiter beschäftigt, 2013 bei einem Umsatz von zwei Millionen Euro eine schwarze Null schreiben. Gelingt dies, bräuchten die Landkreise Harburg und Lüneburg, die als Gesellschafter neben dem 1910 gegründeten Pferdezucht- und Reitverein Luhmühlen stehen, keine Verluste mehr auszugleichen. 2012 musste jeder der beiden Kreise noch 20.000 Euro auslegen.

Die finanzielle Entlastung für die Gesellschafter soll jedoch nicht die einzige Folge der neuen Strategie sein. Mit der Ausweitung der Aktivitäten des Reiterhofs soll zudem die Zahl der mit dem Zentrum verbundenen Jobs steigen. „Nach einer mit der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften aufgestellten Analyse sichern wir schon heute neben der eigenen Belegschaft weitere 100 Jobs bei Tierärzten, Schmieden, Futtermittellieferanten, Reitsportgeschäften und in der Gastronomie und Hotellerie“, sagt Wörner. Greift sein Konzept in einigen Jahren vollends, soll die Zahl der zusätzlichen Arbeitsplätze auf bis zu 160 steigen. Nicht schlecht für einen Ort mit 450 Einwohnern, in dem auf jeden Menschen mehr als ein Pferd kommt. Selbstbewusst hat Wörner Hamburgs Innensenator Michael Neumann bereits vorgeschlagen, bei einer Bewerbung der Stadt für die Olympischen Spiele 2024 die Reitturniere in Luhmühlen abzuhalten.

Die Grundlage für den Aufbruch in dem Dorf, das zur Gemeinde Salzhausen gehört, waren Investitionen von mehr als elf Millionen Euro in den Jahren 2010 bis 2012. Angestoßen über die Sportförderung flossen drei Millionen vom niedersächsischen Innenministerium, die beiden Landkreise steuerten noch einmal je 1,5 Millionen Euro bei. Schließlich gab das Landwirtschaftsministerium in Hannover weitere 5,5 Millionen Euro. Mit dem Geld entstanden allein auf dem drei Hektar großen Ausbildungsgelände zwei neue Reithallen, ein Verwaltungsgebäude, eine runde Führanlage für die Pferde und ein Restaurant. Die Gebäude umrahmen heute die Dressur- und Springplätze.

Die Areale für die Pferde wurden dabei mit einer Mischung aus Wilhelmshavener Nordseesand und einer speziellen Textilie aufgefüllt. Eine Drainage, die den Boden über eingepumptes Wasser feucht hält, garantiert ein stabiles Geläuf und schützt die sensiblen Pferdehufe vor dem Einsinken. Das Wasser, geschöpft aus einem eigenen Brunnen, fließt danach über ein Regenrückhaltebecken und die Luhe ab. Das System, in der Branche als „Ebbe und Flut“ bekannt, gilt als eine der Voraussetzungen dafür, dass internationale Reiter Luhmühlen für ihre Spitzenpferde wählen.

Auf dem Turniergelände, zwei Kilometer vom Sitz des Zentrums entfernt, entstand mit den Zuschüssen zudem ein Multifunktionsgebäude, das sich auch für Hochzeiten, Seminare, Firmenpräsentationen und Messen nutzen lässt. Der Einlass zu den Veranstaltungen führt durch einen modernen Eingangsbereich mit sechs Kassen, die sanierte Tribüne kann es mit dem Standard von Fußballstadien aufnehmen. Allein eine Million Euro wurde in diesem Bereich in Wasser- und Stromanschlüsse investiert.

Ohne Frage gehört Luhmühlen damit zu den modernsten deutschen Anlagen für den Pferdesport. Das hat zu einem steigenden Interesse in der Branche geführt. So fand nach einer Pause von mehreren Jahren Ende September wieder ein Fahrwettbewerb für ein- und zweispännige Kutschen statt. In diesem Jahr wurden zudem erstmals Islandpferde vorgestellt. „2014 haben wir zudem zwei statt bisher einem Westernturnier gebucht“, sagt Wörner.

Für die größten Veranstaltung in Luhmühlen, das viertägige, internationale Vielseitigkeitsturnier, das jedes Jahr im Juni stattfindet, gibt es ohnehin seit 1998 eine eigene Turniergesellschaft. Der sechsstellige Etat hatte schon früh die Kräfte des Vereins trotz seiner heute mehr als 700 Mitglieder überfordert. Inzwischen schultern die Gesellschafter des Turnierveranstalters rund eine halbe Million Euro. Der bekannteste unter den Pferdeliebhabern ist dabei der Teehändler Michael Spethmann, dessen Unternehmen mit den Marken Meßmer und Milford seinen Sitz im nahen Seevetal hat.

Klar ist: Die höchsten Einnahmen wird das Ausbildungszentrum weiter mit den 80 Pensionspferden erzielen, die ihre Besitzer einstellen und zudem trainieren lassen. Zwischen 425 und 470 Euro kostet die Pflege der Tiere im Monat. Eine Trainerstunde schlägt mit 30 bis 50 Euro zu Buche, wenn die Besitzer selbst unter Anleitung reiten sind es zwölf bis 25 Euro. Doch mit den Neubauten, vor allem dem Multifunktionsgebäude, einem umfangreichen Seminarangebot, ausreichenden Parkplätzen und einem Open-Air-Fläche für 12.000 Besucher soll künftig mehr möglich werden als nur Vielseitigkeitsreiterei. „Wir wollen aus der Nische hinaus und als Veranstalter in eine neue Liga aufsteigen“, sagt Geschäftsführer Wörner.

Ein erster großer Schritt dazu war die Aufführung der Oper Nabucco, die Ende August 1000 Besucher bei Vollmond auf die Tribüne des Turniergeländes lockte. Als Partner für solche Events fern ab der Reiterei hat das Ausbildungszentrum die Agentur „Himmel und Heide“ gewonnen. Als Fortsetzung der Strategie wird derzeit über eine Aufführung von Mozarts Zauberflöte diskutiert. Wörner ist es ernst: „Wir würden auch mal auf die Miete verzichten, um uns als Veranstaltungszentrum für die Region Hamburg und Nordheide zu etablieren“, verspricht er.

Bei der Reiterei weitet ein neuer Mieter das Angebot auf Dressur und Springen aus. Seit Juni hat der bundesweit und international erfolgreiche Dolf-Dietram Keller den von ihm und seiner Frau Manuela geleiteten Ausbildungs- und Turnierstall nach Luhmühlen verlegt. „Wir haben ein Haus in Salzhausen gekauft und planen langfristig“, sagt Keller. Für seine 22 Pferde, zu denen auch einige von ausländischen Besitzern gehören, ließ Wörner innerhalb von drei Monaten 19 Boxen neu bauen. „Die 300.000 Euro dafür haben wir aus eigenen Mitteln aufgebracht“, sagt er stolz. Denn der aus Harsefeld in den Landkreis gewechselte Stall entspricht genau Wörners Vorstellungen für die geplante Expansion. „Die bringen Kunden mit, die sonst nicht gekommen wären.“

Für die von Keller gegründete AZL-Dressurakademie steht Tochter Kathleen bereit, die im Juli die Niedersächsischen Meisterschaften im Dressurreiten gewonnen hat. Die 23jährige Trainerin studiert im Hauptberuf im fünften Semester Wirtschaftspsychologie in Hamburg und jobbt als Model. Mit dem Abschluss als Bachelor will sie in einem Jahr in die Geschäftsführung des Reitstalls einsteigen. „Schon heute“, sagt Keller, „verbringe ich so viel Zeit wie möglich auf dem Hof.“

Das gilt auch für Geschäftsführer Wörner. Mit dem Einstieg des Managers, der zuvor für den Oldenburger Pferdezuchtverband in Vechta gearbeitet hat, ist Norddeutschlands modernstes Reitzentrum nun personell professionell ausgestattet. Wörners Vorgänger steckte zwar tief in der Materie, musste sein Engagement für Luhmühlen aber mit seinem Hauptjob in Winsen abstimmen. Dort amtierte Otto Kröger als Leiter des Ordnungsamtes des Landkreises Harburg.