Beim Feriencamp “Lüttville“ erschaffen 150 Jungen und Mädchen gruselige Kreaturen und designen einen Mercedes. In dem Projekt “Schrott wächst wie Unkraut“ entsteht ein Monsterauto.

Einen Mercedes auseinandernehmen. Hemmungslos mit dem Hammer die Karosserie bearbeiten. Bunte, witzige Fantasiefiguren auf den Lack sprühen. Was Papa in den Wahnsinn treiben würde, dürfen Jungen und Mädchen im künstlerischen Sommercamp "Lüttville", der etwas anderen Jugendfreizeit in Wilhelmsburg, unbeschwert tun. In dem Projekt "Schrott wächst wie Unkraut" entsteht ein Monsterauto. Und so kleben die Kinder aus Papier und Kleister geschaffene, teuflische Hörner auf das Dach.

Noch bis Freitag schafft die acht Jahre alte Kassandra zusammen mit anderen Kindern einen neuen Typ Auto, der die Fantasie aller erwachsenen Designer auf die diesem Globus sprengt. "Wir dürfen mit dem Auto machen, was wir wollen" sagt das Mädchen. Das Auto ist ein Mercedes der 123er Baureihe. Der Künstler Sito vom Kulturdeich Veddel hat das in die Jahre gekommene bürgerliche Statussymbol gespendet - mancher Autoliebhaber wird stöhnen: geopfert. Einzige Voraussetzung: Nur den Motor möchte der Künstler unversehrt zurückhaben.

Kinder von heute mögen offenbar Monster. Auch die kleine Eva bastelt aus Zeitungspapier, Holz, Kaninchendraht und Gips ein Fantasietier, das den Erbauern des Trojanischen Pferdes zur Ehre gereicht hätte. Sie klebt dem stierähnlichen Torso mutierte Arme an den Leib - mal mit drei, mal mit sechs Fingern. "Das Monster ist 17", sagt sie. Das bedeutet für das sechs Jahre alte Mädchen vermutlich steinalt.

Eva erweckt nicht nur gruselige Kreaturen zum Leben, sondern lernt auch, Blumen und Kulturpflanzen an unwirtlichen blühen zu lassen. Im Kunstkrautmobil der Falkenflitzer baute sie eine Saatbombe für das sogenannte Guerilla-Gardening, das verschönern von tristen Stadtecken. Mit einem Luftballon, in den sie Wasser, Erde, Kresse und Sonnenblumensamen gefüllt hat, kann Éva beinahe überall neues Leben sprießen lassen.

"Lüttville", das kostenlose Feriencamp des MS Dockville Musikfestivals, gibt es mittlerweile im sechsten Jahr. Etwa 35 Betreuer wollen innerhalb der fünf Ferienlagertage bei den mehr als 150 Kindern und Jugendlichem die Begeisterung wecken, selbst kreativ tätig zu werden. Für manchen erwachsenen Betreuer bedeuten das Feriencamp und die Möglichkeit, einmal jenseits des Jobs etwas ganz anders tun zu dürfen, eine Form von Erholung. "Es ist einfach fantastisch hier", sagt Stephan Dopp, der das richtige Handwerk beim Bauen der Monster vermittelt. Der ehrenamtliche Helfer bei den Falkenflitzern hat Urlaub genommen, um im Feriencamp mithelfen zu können. Sonst arbeitet er als Ingenieur für Verfahrenstechnik.

Neu im sechsten Jahr ist ein Theater-Workshop. Das erste "Lüttville"-Schauspielensemble leitet Felix Schnorr, der am Thalia in der Gaußstraße Erfahrung gesammelt hat. Vor zwei Jahren hat er während des Sozialpädagogikstudiums das "Lüttville"-Sommercamp kennen- und lieben gelernt. "Du bist anders" heißt Minuten lange Stück, das in den nur fünf Tagen entsteht. In mehreren Szenen schildert das Ensemble, wie wunderbar es ist, verschieden zu sein. "Jeder von uns schreibt an dem Stück mit", sagt die Gymnasiastin Lea, 14. Die Schauspieler haben schriftlich einen Verhaltenskodex vereinbart, der das miteinander regelt. Korrekturen seien keine Kritik, sondern trügen zum Positiven bei, steht zum Beispiel in dem Papier.

Das Schauspiel vor der Kamera gehört schön länger zu "Lüttville". In diesem Jahr dreht die Kurzfilmagentur Hamburg einen drei Minuten langen Krimi. Erik und Ali, beide 11, mimen zwei Bankräuber, die in den Tresorraum eindringen und die "Lüttville-Spendengelder" stehlen. Die Story bestimmen die Kinder.

Als Feriencamp eines Musikfestivals ermöglicht "Lüttville" einigen Kindern und Jugendlichen eine in Deutschland wohl einzigartige Karriere: Nach fünf Tagen Training mit Tanzlehrer Tobias Galke von der HipHop Academy werden sie einen Song lang in die Show von Musikstars katapultiert und dürfen beim Dockville-Festival auf der Hauptbühne vor 10.000 Menschen auftreten. In diesem Jahr zeigen die "Lüttville"-Kinder beim Song "Young" der norwegischen Indie-Pop-Band Kakkmaddafakka ihre einstudierte Choreografie. Kinder aus dem Lüttville"-HipHop-Kursus, der besonders beliebt ist, haben auch schon für Jan Delay, Marteria und Tocotronic getanzt.