Landgasthäuser müssen sich für die Zukunft rüsten - sollten sie sich von der Hausmannskost verabscheiden? Reaktionen auf die Schließung des “100-Jährigen“ in Hittfeld.

Hittfeld. Wie groß muss ein Schnitzel heutzutage sein? Und muss es überhaupt noch Schnitzel sein? Oder sollte sich die Gastronomie langsam aber sicher von der deutschen Hausmannskost verabschieden, um langfristig überleben zu können? Die Antwort auf diese Fragen ist keine leichte. Fest steht aber, dass immer mehr gastronomische Betriebe heutzutage ums Überleben kämpfen. Petra und Georg Steinwehe haben aufgegeben: Sie beendeten am Sonntag mit der Schließung ihres Landgasthauses "Zum 100-Jährigen" eine 199-jährige Familientradition. Vertreter aus Politik und Gewerbe bedauern diesen Schritt.

"Wenn ein Haus wie der '100-Jährige' schließt, könnte man da sicher eine gewisse Signalwirkung ableiten. Das tue ich aber nicht, denn die Hittfelder Gastronomieszene ist gut aufgestellt und muss sich nicht verstecken. Aber es ist natürlich sehr traurig, dass wir einen so etablierten Familienbetrieb wie den '100-Jährigen' verlieren. Etwas Vergleichbares gibt es in der Region nicht. Das Gasthaus war lange ein Aushängeschild", sagt Matthias Graf, zweiter Vorsitzender des Hittfelder Gewerbevereins. Die Nachricht über das Ende des Traditionsbetriebs habe ihn überrascht. "Das ist im Gewerbeverein nicht offiziell bekannt gewesen", sagt er.

Graf hofft, dass es der Familie Steinwehe gelingt, wenigstens das denkmalgeschützte Häuserensemble zu erhalten. "Abriss oder Verfall wären dramatisch, denn das Haus ist wirklich prägend für das Hittfelder Ortsbild." Er wäre persönlich erfreut, wenn sich die Türen an der Harburger Straße 2 schon bald wieder öffnen würden, sagt Graf. Ein neues Nutzungskonzept müsse her - und ein neuer Betreiber. "Manchen Dingen muss man ein bisschen Zeit geben. Ich bin mir sicher, dass das Haus nur so lange leer steht und nicht genutzt wird, wie die Familie Steinwehe das zulässt", sagt er

Auch Günter Schwarz, Bürgermeister der Gemeinde Seevetal, hofft auf eine Wiedereröffnung. "Dass dort keine gastronomische Nutzung mehr stattfindet, ist ein großer Verlust für die Gemeinde Seevetal. Auch, weil das Haus eine sehr lange Tradition und die Geschichte Hittfelds mitgeprägt hat."

Doch Tradition ist heutzutage keine Garantie mehr für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens: Viele Gasthäuser hatten mit der Umstellung von der D-Mark auf den Euro zu kämpfen. Vereinsheime und von Vereinen geführte gastronomische Einrichtungen und Veranstaltungshäuser wie beispielsweise die Mühle in Karoxbostel sowie das Rauchverbot machen den Wirten zusehends das Leben schwer. Laut Aussagen des Statistischen Bundesamtes musste seit 2001 im Schnitt jedes vierte Gasthaus beziehungsweise jede vierte Kneipe schließen. Die Zahl der Schankwirtschaften sank zwischen 2001 und 2010 bundesweit von knapp 48.000 auf 36.000. Besonders stark betroffen waren davon die Länder Hamburg mit einem Minus von 48 Prozent und Niedersachsen mit einem Rückgang von 41 Prozent. Auch in Süddeutschland ist es nicht anders: Dort hatte Mitte des vergangenen Jahres jede dritte bayerische Gemeinde keine Schankwirtschaft mehr.

"Das ist aber kein rein ländliches Problem. Wir beobachten eine ähnliche Entwicklung auch in der getränkelastigen Gastronomie in den Städten", sagt Rainer Balke, Hauptgeschäftsführer des Dehoga Niedersachsen. Die Gründe dafür seien vielfältig. An erster Stelle stehe aber der veränderte Publikumsgeschmack. "Der Kunde will heute keine übergroße Portion mehr. Er geht nicht Essen, um satt zu werden, sondern um etwas zu erleben, um sich unterhalten zu lassen. Das Ambiente, die Stimmung und die Qualität müssen passen." Dass deutsche Hausmannskost dabei aus dem Raster falle, will Balke nicht unterstreichen. "Auch mit traditioneller Kost kann ein Gastronom punkten. Retro-Dinge in neuer Inszenierung kommen vor allem bei jüngerem Publikum derzeit gut an. Wichtig sind Nischenkonzepte, die mit der Zeit gehen. Leider haben sich viele Gastronomen nicht entsprechend weiterentwickelt."

Nicht geistige Unbeweglichkeit, sondern fehlende Investitionskraft spielten dabei eine große Rolle. "Im Gastronomiegewerbe verdienen viele einfach zu wenig. Kredite sind deshalb nur schwer zu bekommen und Ideen können ohne Geld oft nicht umgesetzt werden. Damit tritt der Unternehmer auf der Stelle und verliert immer mehr Kunden", sagt Balke. Wer dann schließt, müsse einen weiteren finanziellen Verlust einkalkulieren: Denn viele der Häuser, in die der Betreiber oft jeden verdienten Cent investiert hat, seien heutzutage unverwertbar. "Sie sind schlecht zu verkaufen - und ein Umwidmen in Wohnraum kostet ebenfalls Geld", so Balke.

Trotz der Schwierigkeiten sieht der Dehoga-Experte gute Entwicklungschancen. "Es wird auch in 100 Jahren gut laufende Gastronomiebetriebe geben. Sie werden sich auf Dauer nur anders aufstellen müssen."