Die Buchholzer Praxis ist die einzige ihrer Art im Landkreis Harburg. Patienten müssen aber geduldig sein: Zwei Monate Wartezeit sind nicht ungewöhnlich.

Buchholz. Dass dies keine herkömmliche Arztpraxis ist, zeigt ein Blick ins Wartezimmer. Neben den Zeitschriften "Spiegel" und "Brigitte" liegen "Bravo Sport", "Geolino" und "Geo mini" auf dem Tisch. Im Regal stehen die Bücher "Wie Sheltie zum Star wurde" und "Die schönsten Pony- und Pferdegeschichten". Und in der Ecke warten ein Piratenschiff und ein Schiff der Küstenwache auf Kinderhände.

Wir sind zu Besuch in der Gemeinschaftspraxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie von Elke Seyed Ebrahim, 47, und Dr. Michael Heyken, 42, in Buchholz. Die beiden Ärzte haben sie vor zwei Jahren am Rande des Buchholzer Gewerbegebietes in der Zunftstraße 10 eröffnet. Elke Seyed Ebrahim und Michael Heyken sind die einzigen niedergelassenen Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie im Landkreis Harburg. Zuvor hatten sie in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Lüneburg und auch in deren Institutsambulanz am Krankenhaus Buchholz gearbeitet.

"EMIL" haben die beiden Ärzte ihre Praxis genannt. Das E und L kommt von Elke, das M und I von Michael. "Emil ist sehr eingängig und wird von Kindern und Jugendlichen gern aufgegriffen", sagt Michael Heyken. "Das Logo spielt auch auf Emil aus Lönneberga an, die schwedische Originalversion der in Deutschland unter Michel von Lönneberga bekannten Kinderbuchfigur von Astrid Lindgren." Seine Kollegin Elke Seyed Ebrahim fährt fort: "Die Haltung gegenüber Kindern und die Visionen einer schönen, unbeschwerten Kindheit, die in Astrid Lindgrens Büchern zum Ausdruck kommen, werden von uns sehr geschätzt und gehen auch in die Praxisphilosophie mit ein."

Drei Diplom-Psychologinnen, drei Diplom-Sozialpädagoginnen und ein Diplom-Sozialpädagoge mit unterschiedlichen Zusatzqualifikationen sowie drei Mitarbeiterinnen in der Anmeldung arbeiten gemeinsam mit den beiden Ärzten. Die Praxis ist rund 500 Quadratmeter groß. Im großen Garten können Kinder toben und ihre Eltern entspannen, wenn sie warten - auf dem Rasen stehen eine Schaukel, eine Rutsche, eine Sandkiste, zwei Holzpferde und eine Picknickbank. Die Wände im Backsteingebäude sind freundlich in Hellbeige und Bordeauxrot gehalten. "Wir haben keine teuren Geräte, aber wir brauchen viel Platz", sagt Michael Heyken.

Die Kinder und Jugendlichen kommen mit den unterschiedlichsten Symptomen und Auffälligkeiten zu EMIL. "Unser Tätigkeitsprofil umfasst die Diagnostik und Behandlung aller kinder- und jugendpsychiatrischen Störungsbilder, Teilleistungsstörungen, Ausscheidungsstörungen, Ängste, Zwänge, Depressionen, Essstörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Suchterkrankungen, aber auch Störungen des autistischen Formenkreises und Sozialverhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen bis zum vollendeten 21. Lebensjahr", sagt Elke Seyed Ebrahim. Besonders verbreitet seien Ängste, Depressionen und das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHS).

Sechs bis acht Wochen beträgt in der Regel die Wartezeit bis zu einer Erstvorstellung. "Wir hatten aber auch schon einmal einen Aufnahmestopp, weil wir die Termine nicht bewältigen konnten", sagt Michael Heyken. 500 Kinder und Jugendliche werden pro Quartal bei EMIL diagnostiziert und behandelt. Die jungen Patienten kommen vor allem aus dem Landkreis Harburg, aber auch aus den Landkreisen Lüneburg und Stade, dem Heidekreis und dem südlichen Hamburg.

Am Anfang einer Behandlung steht erst einmal die Erstvorstellung bei einem der beiden Ärzte. Sie dauert rund eine Stunde. Dabei ist auch immer mindestens eine Bezugsperson des jungen Patienten. Gesprochen wird über den aktuellen Vorstellungsanlass, aber auch über frühere Entwicklungsphasen des Kindes oder des Jugendlichen - von der Schwangerschaft und Geburt über die Kindergarten- bis zur Schulzeit. Dabei machen sich die Ärzte einen Eindruck von den Kindern und Jugendlichen. In weiteren diagnostischen Terminen werden Fragebögen eingesetzt und testpsychologische Untersuchungen durchgeführt. Die Ergebnisse werden mit den Eltern und dem jungen Patienten besprochen, dann beginnt die Behandlung.

"Es gibt eine Unterversorgung an Kinder- und Jugendpsychiatern im Landkreis Harburg und im Landkreis Stade", sagt Michael Heyken. Im Landkreis Stade hat sich nur ein einziger Facharzt niedergelassen. Bereits im Herbst 2011 hatte eine Studie der Bertelsmann Stiftung ergeben, dass im Landkreis Harburg Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie fehlen. Der von der Stiftung ermittelte Wert lag um mehr als die Hälfte unter dem Bundesdurchschnitt. Fachleute sprechen von einer eklatanten Unterversorgung in der Region.

"Wir gehen davon aus, dass eine gesunde seelische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen stabile Beziehungen zu Bezugspersonen und Geichaltrigen, aber auch körperliches Wohlbefinden und Zugang zu angemessenen Bildungsangeboten erfordert", lautet der sozialpsychiatrische Behandlungsansatz von Elke Seyed Ebrahim und Michael Heyken.

An der Tür zu ihrer Anmeldung hängt eine Postkarte mit der Überschrift "Was Kinderohren brauchen". Die Antwort: "1. Ich hab dich lieb! 2. Ich glaub an dich! 3. Gut gemacht! 4. Du bist etwas Besonderes! Und 5. Ich bin stolz auf dich!"