Töster Tafel verteilt Lebensmittel, die der Handel nicht verkauft. Wichtiger Anlaufpunkt für allein erziehende Mütter an der Armutsgrenze

Tostedt. Eigentlich wollte sie hier nicht mehr stehen. Mehrere Monate lang hat es die 36 Jahre alte zweifache Mutter aus Tostedt geschafft, ohne Unterstützung der Töster Tafel klar zu kommen. "Ist ja nicht so ein tolles Gefühl, hier zu sein", sagt die Frau, die sich scheut, ihren Namen zu nennen. Deshalb hat sie ihr Auto stehen lassen, hat alles mit dem Fahrrad erledigt, ist von Flohmarkt zu Flohmarkt getingelt, damit sie genügend Geld hat, um in den Supermarkt zu gehen. Am Ende hat es doch nicht gereicht. "Wenn es allein um mich ginge, wäre es ja etwas anderes", sagt sie.

Aber es geht eben nicht nur um sie, sondern auch um ihre zwei achtjährigen Zwillingsmädchen. Sie sollen gute Schuhe tragen. Und mit ihnen möchte sie auch mal schwimmen gehen oder in den Wildpark fahren können. Deshalb steht die allein erziehende Mutter jetzt wieder hier an der Bremer Straße, um sich mit Brot, Obst und Gemüse einzudecken - mit Lebensmitteln, die der Handel nicht verkauft hat.

In anderthalb Jahren habe sich die Zahl der allein erziehenden Bedürftigen, die die Töster Tafel aufsuchen, um 20 Prozent erhöht, sagt Peter Johannsen, Geschäftsführer des Tostedter Herbergsvereins, der die Töster Tafel organisiert. Niedersachsenweit sind 44 Prozent der Alleinerziehenden in Niedersachsen nach einer Berechnung des Landesbetriebes für Statistik und Kommunikationstechnologie armutsgefährdet.

Und so haben sich auch heute mehrere Mütter aus der Samtgemeinde Tostedt auf dem Gelände der Tafel an der Bremer Straße eingefunden. Das Bild vom kümmerlichen Tafelbesucher mit zerschlissener Kleidung und ungepflegten Haaren stimmt längst nicht mehr. Sicher, einige, die hier stehen, sind vom Leben gezeichnet. Die Spuren haben sich in tiefen Falten in das Gesicht gebrannt. Ihre Augen sind müde. Aber vielen sieht man die Armut nicht an.

Auch der Mutter der Zwillingstöchter nicht. Ihr blondes Haar, das sie zu einem Zopf zusammengebunden hat, ist gepflegt. Sie trägt einen sauberen, grauen Mantel und intakte schwarze Halbschuhe. Bis 2004 hatte sie noch bei einer Zeitarbeitsfirma als Disponentin gearbeitet. Dann starb ihr Mann kurz vor der Geburt der Zwillinge. Seine Hauptschlagader riss. Seitdem ist sie allein für ihre Kinder da. Sie versucht es jetzt gar nicht mehr, sich wieder zu bewerben. "Wenn die Arbeitgeber lesen, dass man allein erziehend ist und zwei Kinder hat, ist es gleich vorbei", sagt sie.

Zudem braucht eine ihrer Töchter die Mutter noch sehr, weil das Mädchen unter einer Sprachschwäche leidet. Immer wieder stehen Besuche beim Logopäden und Ergotherapeuten auf dem Programm. Ihre Tochter zeitweise bei Freunden oder Nachbarn unterzubringen, kommt kaum in Frage. "Wegen ihrer Sprachschwäche ist sie sehr scheu und hat Angst vor Menschen", sagt die junge Mutter.

Die gelernte Chemielaborantin lebt von Hartz IV und der Waisenrente für ihre Kinder. Sie bekommt 1300 Euro im Monat und zahlt rund 800 Euro für Miete, Nebenkosten und Telefon. 500 Euro bleiben ihr im Monat zum Leben. Davon muss sie noch Versicherungen und zusätzliche außerplanmäßige Kosten bestreiten. Da ihre Töchter Zwillinge sind, kann sie die Kleidung öfter mal hin- und hertauschen. "Aber sie wachsen nun einmal und brauchen ständig neue Klamotten."

Erschwerend kommt hinzu, dass eine ihrer Töchter Gluten nicht vertragen kann. Getreideprodukte wie Brot und Nudeln, die das Mädchen isst, müssen glutenfrei sein. Da kosten die Nudeln gleich mal das Vierfache.

Ihre Kinder wissen, dass sie sich die Lebensmittel zweimal die Woche von der Tafel holt. "Ich mache daraus kein Geheimnis", sagt sie. "Ich bin nicht die Einzige hier. Sieht man ja."

Rund 60 Menschen haben sich auf dem Gelände der Töster Tafel versammelt. Sie stehen in Grüppchen herum, reden, scherzen. Sprachfetzen aus Deutsch und Russisch vermischen sich zu einem unverständlichen Gemurmel auf dem Platz. Die Stimmung ist entspannt. Es gibt kein Gedränge. Dafür sorgt eine ausgeklügelte Nummernvergabe. Das Motto "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" gilt nicht. Stattdessen werden die Nummern im Losverfahren vergeben.

Heidi, 53, blond, kurzhaarig, aus Tostedt hatte Glück. Heute steht die Nummer 24 auf dem kleinen Zettel, den die Frau, die ihren Nachnamen lieber für sich behält, in der Hand hält. Es dauert nicht mehr lange, bis sie an der Reihe ist. Sie stellt sich schon einmal an. Letzte Woche bekam sie die Nummer 63, da musste sie mehrere Stunden warten und sich mit dem wenigen zufrieden geben, was noch an Ware da war.

Seit zehn Jahren ist sie allein erziehende Mutter von vier Kindern. Unterstützung von ihrem Ex-Mann bekommt sie nicht. Er hat inzwischen wieder geheiratet und kümmert sich um seine neue Familie. Als sie das erzählt, steigen ihr Tränen in die Augen. Drei ihrer vier Kinder sind erwachsen und führen ihr eigenes Leben. Aber ihre 17 Jahre alte Tochter wohnt noch bei ihr. Jahrelang hat die Mutter aus Tostedt geputzt. Dazu ist sie jetzt aber nicht mehr in der Lage. Sie ist schon seit langem krankgeschrieben, weil sie unter einem Bandscheibenvorfall und Ekzemen an den Händen leidet.

Also bekommt sie nun 300 Euro Arbeitslosengeld pro Monat. Um über die Runden zu kommen, stockt sie mit Hartz IV auf rund 900 Euro auf. Miete, Nebenkosten und Telefon abgezogen bleiben ihr 350 Euro pro Monat. Besonders jetzt steckt sie in finanziellen Schwierigkeiten, weil sie eine kostenintensive zahnärztliche Behandlung zahlen musste. "Dann steht man da und weiß nicht weiter."

Jetzt ist sie an der Reihe. Die drei Tafel-Helferinnen im Container begrüßen sie freundlich. "Welches Brot möchten Sie?", fragen sie. "Gerne dunkles", antwortet Heidi mit leiser Stimme. "Möchten sie alles an Gemüse?" "Ja, bitte", sagt Heidi. Die Damen bedienen sie zügig und erkundigen sich zugleich immer höflich nach den Wünschen: "Bananen?", "Wir haben auch Tee - Früchte, Schwarzen oder Pfefferminztee?" Sie ist zufrieden mit dem Ergebnis: Erdbeeren, Radieschen, Broccoli, Zucchini, Orangen, Bananen, Tomaten, Tee, Müsli, Paprika, Brot. "Es ist schon eine ganz schöne Erleichterung, wenn man dann nur Öl und Margarine dazu kaufen muss", sagt sie.