Deutlich erhöhte Arsenwerte: Bürgerinitiative will, dass die alte Mülldeponie des HEW-Kraftwerks ausgekoffert wird. Gutachter soll Gefahr einschätzen.

Alt Garge. Petra Westermayer ist an die Elbe gezogen, weil sie in unberührter Natur leben wollte. Sie hat sich Alt Garge im nordöstlichen Zipfel von Niedersachsen ausgesucht, weil das Gebiet dort besonders geschützt ist. Und weil man ihr versicherte, Altlasten gebe es hier nicht. Drei Jahre nach ihrem Umzug weiß die Imkerin es besser. Sie wohnt keinen Kilometer von einer alten Mülldeponie entfernt. Und sie will, dass die wegkommt.

1000 Einwohner, Kiefernwälder, Campingplatz. Im Sommer öffnet das Freibad, man kann auf stillgelegten Bahnschienen Draisine fahren, und es gibt sogar einen Tante-Emma-Laden. Ein guter Ort zum Entspannen, denken nicht nur die Dauercamper aus Hamburg und Umgebung. Das dachte auch Petra Westermayer.

Aber seit sie bei einem Spaziergang über die Halbinsel "Im Haken" vor gut zwei Jahren einen Kühlschrank aus dem Gebüsch hat ragen sehen, ist die Mutter alles andere als entspannt.

Das einstige Fischer- und Bauerndorf Alt Garge ist zu einem reichen, relativ großen Ort geworden, als die Hamburger Electricitäts-Werke (HEW) im Zweiten Weltkrieg dort ein Kohlekraftwerk bauten. Doch die HEW brachten nicht nur Geld und Menschen an die Elbe. Sie brachten auch Schadstoffe. Um die 800.000 Tonnen Flugasche sind in gut 20 Jahren Kohleverbrennung angefallen.

Auch wenn das Kraftwerk in den 1970iger Jahren stillgelegt worden ist: Die Schadstoffe sind noch immer da. Denn die Halbinsel vis-à-vis dem alten Kohlehafen war im vergangenen Jahrhundert HEW-Mülldeponie.

Bei Deichbauarbeiten im Dezember 2012 sind im Boden nahe der Elbe erstmals deutlich erhöhte Arsenwerte gemessen worden. Ende Januar hat der Landkreis Lüneburg drei Probebohrungen im Bereich der Halbinsel "Im Haken" genommen. Ergebnis: deutlich erhöhte Arsenwerte im Bereich Boden-Grundwasser, erhöhte Werte für Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), keine Dioxine, Schmermetalle unterhalb der Grenzwerte.

Im Umweltausschuss des Kreistags sagte Gutachter Thomas Bogon gestern, die Werte seien für Fußgänger tolerabel: "Sie dürfen auf dieser Flugasche einen Park bauen." Doch völlig unklar ist bislang die Gefahr fürs Grundwasser. Zusätzliche aufwändige Probebohrungen sollen jetzt darüber aufklären, ob und in welchen Mengen Schadstoffe in Boden und Grundwasser gelangen.

Petra Westermayer und ihre 15 Mitstreiter von der Bürgerinitiative "Altlastenfreies Elbtal" haben eigene Proben von der Erdoberfläche untersuchen lassen. Ergebnis: neben Arsen auch erhöhte Schwermetallwerte, Cadmium.

Das Bodeninformationssystem Nibis des Landesamts für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) zählt für die Deponie folgende Abfallarten auf: Bauschutt, Schrott, Wärmeträgeröle, Polychlor, Bi- und Terphenyle, Hausmüll, Sperrmüll, Garten- und Parkabfälle. Nach Angaben des Landkreises liegen dort Hausmüll, Sperrmüll, Flugaschen, Metallschrott sowie land- und forstwirtschaftliche Abfälle. Der Verdacht auf Kraftwerksabfälle wurde laut einer Sprecherin bislang nicht bestätigt.

Mit 93 von 100 möglichen Risikopunkten war die Deponie Anfang 2011 bei Nibis bewertet, sagt Petra Westermayer. "Das war der Spitzenreiter in ganz Niedersachsen. Da gingen bei mir die Alarmglocken an. Wir befinden uns im Biosphärenreservat. Wir dürfen nicht spritzen und ich nutze kein Unkrautvernichtungsmittel."

Westermayer schrieb an den damaligen Umweltminister Hans-Heinrich Sander, forderte die Untersuchung der Deponie - und die Farbe des Alt Garger Punktes in der Altlasten-Karte wechselte auf einmal von Rot zu Gelb, erzählt sie. 46 Punkte zählt die Deponie im Nibis heute. Der Landkreis erklärt das so: Wasserrechte zur Trinkwassernutzung eines Brunnens sind 1996 abgelaufen, aufgefallen sei das aber erst 2011 bei einer "routinemäßigen Prüfung".

Die Mitglieder der Bürgerinitiative glauben das nicht. "Ich möchte schwarz auf weiß sehen, dass die Deponie harmlos ist", sagt Petra Westermayer. "Damit könnte ich leben. Aber das passiert nicht. Es wird nicht mit offenen Karten gespielt. Ich glaube, da liegen tickende Zeitbomben drin."

Sie will, dass der Eigentümer der Fläche - der HEW-Rechtsnachfolger Vattenfall - für die Auskofferung der Deponie herangezogen wird. Das will auch die grüne Landtagsabgeordnete Miriam Staudte aus dem Landkreis Lüneburg, von der Opposition just in die Regierung gewechselt: "Wir haben mit der SPD in den Koalitionsgesprächen vereinbart, dass ein Altlastensanierungsfonds mit der Wirtschaft aufgelegt werden soll, der betroffene Kommunen wie den Landkreis Lüneburg bei Altlastensanierungen unterstützt. Auch im Fall von Alt Garge wäre es notwendig, im Sinne des Verursacherprinzips Vattenfall als Rechtsnachfolger der HEW einzubinden."

Laut Kreisverwaltung ist das Auskoffern nur eine mögliche Maßnahme von vielen. Nach der Gefährdungsabschätzung des Gutachters werde entschieden, "welche weiteren Maßnahmen notwendig sind", sagt Sprecherin Katrin Peters. Petra Westermayer hofft, dass sich nach mehr als zwei Jahren Kampf endlich etwas tut. Selbst wegziehen kommt für die Imkerin, die mit ihrer Familie gerade einen Resthof restauriert, nicht in Frage: "Ich will hier nicht weg. Der Müll soll weg."