Versicherungsrechtsexperte Robert Koch im Interview über den Prozessmarathon im Fall Junge

Das Abendblatt hat den Versicherungsrechtsexperten Professor Robert Koch von der Universität Hamburg gefragt, wie er die wesentlichsten Aspekte im Fall Felix Junge bewertet.

Abendblatt:

Mehr als fünf Jahre hat das juristische Tauziehen in diesem Fall gedauert. Ist das nicht viel zu lange?

Robert Koch:

Erst gegen die Gemeinde Rosengarten und das Land Niedersachsen vorzugehen, hat sehr viel Zeit gekostet. Aus meiner Sicht hätte Familie Junge sofort Ortsbrandmeister Egler als Schadensverursacher verklagen müssen. Hätte seine Haftpflichtversicherung die Regulierung abgelehnt, wäre eine Deckungsklage gegen die R+V die logische Folge gewesen. Das gesamte Verfahren wäre dann völlig anders und vermutlich schneller gelaufen.

Darf sich die R+V-Versicherung letztlich als großer Gewinner fühlen?

Koch:

Das sehe ich nicht so. Sie hat eine Rechtsposition eingenommen, die schon aus Imagegründen schwer nachvollziehbar ist. Die Deckung von vornherein und kategorisch abzulehnen, war unklug. Dass eine Versicherung, die ihre Wurzeln in der Genossenschaftsbewegung hat, aber alle Register zieht, um ihre Interessen und die ihrer Mitglieder zu wahren, ist normal. In solchen Fällen prallen immer zwei Welten aufeinander.

War das von Rechtsanwalt Jürgen Hennemann ins Spiel gebrachte Schmerzensgeld von 100.000 Euro angemessen?

Koch:

In Deutschland sind Gerichte bei der Zumessung von Schmerzensgeld eher zurückhaltend. Mag sein, dass Felix beispielsweise in den USA weit mehr bekommen hätte. Aber hierzulande gibt es eine andere Rechtskultur, in der vor allem die tatsächlich entstandenen Kosten im Zusammenhang mit einem Schadensfall bewertet werden. Mit Blick auf Urteile in vergleichbaren Fällen, erscheint mir das nun rechtsgültige Schmerzensgeld von 50.000 Euro durchaus angemessen.

Das hat das Landgericht Wiesbaden aber anders gesehen und Felix die doppelte Summe zuerkannt. Und auch das OLG Frankfurt hatte vor der Herabsetzung des Schmerzensgelds in einem Vergleich zumindest 90.000 Euro vorgeschlagen.

Koch:

Das LG Wiesbaden hat über die Angemessenheit des Schmerzensgelds gar nicht entschieden. Es ging nur um die Frage, ob die R+V an das Schuldanerkenntnis des Herrn Egler gebunden ist. Anders als das LG Wiesbaden hat das OLG Frankfurt die Bindung verneint. Der Vergleichsbetrag von 90.000 Euro war wohl aus der Hüfte geschossen, um die Parteien zu einer Einigung zu bewegen. Erst als dies nicht gelang, wurden zur Festlegung des Schmerzensgeldanspruchs vergleichbare Fälle herangezogen. Das ist natürlich unglücklich. Ich würde dem OLG Frankfurt hier aber keinen Vorwurf machen.

Und dass Felix Junge von 50.000 Euro Schadensgeld plus Zinsen nach Abzug aller Anwalts- und Gerichtskosten gerade 18.000 Euro bleiben?

Koch:

In diesem Fall sind viele taktische Fehler gemacht worden. Dadurch sind Anwalts- und Gerichtskosten entstanden, die unnötig waren. Felix hat aber noch die Möglichkeit, finanzielle Ansprüche aus dem notariell beglaubigten Schuldanerkenntnis von Herrn Egler über 100.000 Euro geltend zu machen. Nachdem die R+V die Hälfte gezahlt hat, könnte Felix die andere Hälfte jetzt von Herrn Egler einfordern.