Die Stadt Winsen will das alte Gefängnis am Schlossplatz kaufen, weil die Verwaltung bereits aus allen Nähten platzt.

Winsen . Wer die Geschäftsstellen der Zivilabteilung des Amtsgerichts Winsen betritt, der reist in eine andere Zeit. Eine Zeit vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Anfang der 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts.

Der Besucher erblickt unterschiedlich lange Türscharniere, von Hand gefertigt, mehr als 120 Jahre alt. Er erblickt Fliesen aus den 1930er-Jahren, ziegelrot und grau gesprenkelt. Er erblickt Stempelhalter aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Und er erblickt beige Vorhänge, die kurz nach dem Mauerfall in die Schienen kamen und schon damals ein paar Jährchen auf dem Buckel hatten.

Das gelbe Haus zwischen Schloss und Rathaus ist Ende des 19. Jahrhunderts im neoklassizistischen Stil gebaut worden und hatte den größten Teil seiner Zeit eine besondere Aufgabe: Hier saßen die kleinen und etwas größeren Ganoven der Stadt ein; das gelbe Haus war das Gefängnis.

Jetzt will das Land Niedersachsen das Flurstück 386 mit dem Gefängnisgebäude und einem Nebengebäude verkaufen. Denn das Amtsgericht Winsen wird den Stadtknast ab Ende Juni nicht mehr nutzen: "Die Geschäftsstellen und zwei Richter werden im Sommer in das Schloss umziehen", sagt Amtsgerichtsdirektor Albert Paulisch. "Die Sanierungsarbeiten im Schloss sind Ende Mai fertig, dann brauchen wir noch etwa einen Monat für den Umzug."

Das Gefängnisgebäude dürfte aber nicht lange leer stehen. Denn die Stadt Winsen möchte das Gebäude unbedingt kaufen. Wenn die drei Justizangestellten, die beiden Richter und die Rechtspflegerin den Knast verlassen haben werden, sollen bis zu 15 Mitarbeiter des Rathauses dort einziehen. "Denn das Winsener Rathaus platzt aus allen Nähten", sagt der Architekt Stefan Schmitt-Wenzel, 50, verantwortlich für Hochbau und Gebäudewirtschaft der Stadt.

"Gehe ins Gefängnis" heißt es dann sicher für drei Mitarbeiter des Hochbaus und der Gebäudewirtschaft, einen sogenannten "Klimamanager" - die Stelle wird noch ausgeschrieben - sowie für vier Mitarbeiter des Bereichs Finanzen und Kämmerei. Akten können dann in drei ehemaligen Gefängniszellen im ersten Obergeschoss untergebracht werden.

Im Winsener Rathaus wird es dann ein wenig luftiger. "Die Mitarbeiter unserer EDV-Abteilung können sich im Rathaus nach dem Umzug etwas mehr ausbreiten", sagt Stefan Schmitt-Wenzel. Zurzeit sitzen sie direkt neben dem Serverraum - "es ist dort viel zu laut, zu warm und zu eng", sagt der Architekt, "diese Verhältnisse sind nicht mehr zumutbar."

Der Gutachterausschuss hat für das Flurstück 386 einen Gesamtwert von 495.000 Euro ermittelt. "Die Bausubstanz des Gefängnisses kann im Wesentlichen als 'gut' bezeichnet werden", sagt Stefan Schmitt-Wenzel. "Im Haus ist keine Feuchtigkeit und kein Schimmel. Das Gefängnis kann noch mindestens 200 Jahre stehen. Da in den letzten 15 bis 20 Jahren keine Erhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen mehr durchgeführt wurden, hat sich aber ein deutlicher Reparaturstau gebildet."

So muss die Elektroinstallation zum großen Teil erneuert, im Treppenhaus müssen Rauchschutzwände eingebaut werden. Das Dach braucht eine ordentliche Wärmedämmung, das Gefängnis einen neuen Stromhausanschluss und eine EDV-Anbindung zum Rathaus. Die Innenfenster müssen erneuert, die Außenfenster aufgearbeitet werden. Alle Innenwände brauchen Farbe, die Sanitärräume müssen renoviert und auch die Fußböden aufgemöbelt werden.

Und Menschen mit Behinderung sollen eine Rollstuhlrampe und ein WC bekommen. Architekt Stefan Schmitt-Wenzel schätzt die Dauer der Ausbauarbeiten auf rund vier Monate.

So viel Arbeit kostet natürlich auch viel Geld: Mit 393.500 Euro Sanierungs- und Umbaukosten rechnet die Stadt. Hinzu kommen noch 30.000 Euro Ankaufkosten. Macht zusammen mit den Erwerbskosten insgesamt 918.500 Euro. Hinzu kommen jährliche Kosten von 12.000 Euro für die Bewirtschaftung.

Doch trotz der finanziellen Belastung stehen auch Winsens Politiker hinter dem Projekt: Der Ausschuss für Wirtschaft, Finanzen, Beteiligungen und Personal hat den Gefängnis-Deal am vergangenen Donnerstag einstimmig bei einer Enthaltung empfohlen. Jetzt muss der Stadtrat entscheiden.

Die Justizfachangestellte Dörte Stoffregen sieht dem Umzug ins Schloss mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen. Seit 21 Jahren arbeitet sie im Winsener Knast. "Es ist alles sehr alt hier, aber eigentlich ganz schön. Im Winter mussten wir die Vorhänge zumachen, weil es kräftig zog. Aber dafür haben wir hier früher 30 Enten und den Schwan Fiete gefüttert. Das ist im Schloss leider nicht mehr möglich."