In Wilhelmsburg eröffnen Gartenschau und Bauausstellung: 2013 entscheidet sich, wie zukunftsfähig Hamburg ist

Politik ist ein undankbares Geschäft. Veränderungen sind in modernen Gesellschaften nur schwer umzusetzen. Es mangelt an Geld, an Mut, an Visionen. Nur Widerstand gibt es meistens gratis und im Übermaß: Die Opposition ist grundsätzlich dagegen, Verbände auch, die Betroffenen ohnehin. Besonders gehässig aber ist, dass die Früchte der Arbeit meist nicht die ernten, die gesät haben, sondern im demokratischen Normalfall der politische Gegner. So darf sich Angela Merkel (CDU) als Kanzlerin des Aufschwungs feiern lassen, den ihr Amtsvorgänger Gerhard Schröder (SPD) durch seine umstrittene Agenda 2010 erst ermöglicht hat.

Das gilt auch umgekehrt: In diesem Jahr müsste in Hamburg Olaf Scholz (SPD) seinen Amtsvorgänger Ole von Beust (CDU) ins Abendgebet mit einschließen. Denn 2013 könnte für die Stadt wie für den Bürgermeister ein perfektes Jahr zur Werbung in eigener Sache werden - weil vor einem Jahrzehnt die richtigen Entscheidungen getroffen wurden. Damals hatte der CDU-geführte Senat den "Sprung über die Elbe" als wesentlichen Bestandteil seines Konzeptes der Wachsenden Stadt definiert. Als Ergebnis davon werden in den kommenden Monaten die Internationale Gartenschau (igs) und die Internationale Bauausstellung in Wilhelmsburg ihre Tore öffnen.

Mehr als 75 Jahre nach der Eingliederung in die Hansestadt über das "Groß-Hamburg-Gesetz" und mehr als 50 Jahre nach der verheerenden Flut bekommt Wilhelmsburg endlich die Chance, die der Stadtteil bis dato kaum hatte. Zunächst in der Provinz Hannover am Rande, lag Harburg-Wilhelmsburg nach 1937 an der Peripherie eines nordelbisch orientierten Hamburg.

Spätestens mit der verheerenden Sturmflut von 1962 gab die Politik Wilhelmsburg als Wohnraum endgültig auf und reduziert es zur Hafenerweiterungsfläche, zum Standort für Kraftwerke, Mülldeponien, Raffinerien, Verkehrsadern, kurzum für alles, was nördlich der Elbe unerwünscht war. Die größte Flussinsel Europas, ein politisches Aschenputtel, fiel in einen Dornröschenschlaf. Das Schöne an Märchen ist: Sie gehen gut aus. Auch Wilhelmsburg hat - verstärkt durch die Millioneninvestments von öffentlicher und privater Hand - das Zeug zum Happy End. Viele Metropolen wären glücklich, im Herzen der Stadt einen solchen Raum voller Chancen zu besitzen.

Man muss als (Nord-)Hamburger nur einmal seine Vorurteile, seine Vorbehalte und sein Halbwissen überwinden und den Stadtteil mit neuen Augen sehen. Mit dem Ende des Freihafens bekommt Wilhelmsburg ganz neue Blicke aufs Wasser - wenn die Zollzäune fallen, fällt laut IBA-Chef Uli Hellweg auch die "letzte innerdeutsche Grenze".

Wo die Hansestadt vermeintlich endete, beginnt ab Neujahr plötzlich die "Wilhelmsburger Binnenalster". Auch die Mitte des Stadtteils, bisher eher ein Schutthaufen des Städtebaus, wird mit Kletterzentrum und Schwimmhalle, mit Baubehörde und Haus des Waldes erstmals zur Lebens-Mitte. Und die Internationale Gartenschau verspricht nicht weniger als ein "Volkspark des 21. Jahrhunderts" zu werden.

Hamburgs Zukunft liegt im Süden. Die Hamburger müssen sie nur annehmen: Statt über "Gentrifizierung" zu lamentieren und gegen hohe Mieten zu agitieren, könnte man dorthin ziehen, wo die Preise noch erschwinglich, Kreatives möglich ist - und sich ein Stadtteil noch gestalten lässt. Freiberufler, Handwerker und Gewerbetreibende können Wilhelmsburg als Standort entdecken: Wer seinen Stadtplan neu justiert, wird merken: Zentraler geht es kaum: 15 Minuten mit der Hadag-Fähre 73 bis zu den Landungsbrücken, acht Minuten mit der S3 zum Hauptbahnhof. Die Insel ist eine Reise wert - so lange aber Mallorca oder Sylt den Hamburgern vertrauter ist als Wilhelmsburg, steht mit dem Stadtumbau auch der Stadtteil auf der Kippe. Wie prekär die Lage noch immer ist, zeigt der Brandbrief der Schuldirektoren.

Gentrifizierung ist keine Bedrohung für Wilhelmsburg, es ist der Schlüssel zu seiner Zukunft. "Aufwerten ohne zu verdrängen", lautet das IBA-Motto. Es mag wie die Quadratur des Kreises klingen, einen Versuch ist es allemal wert.

In diesem Jahr dürfte sich entscheiden, wie zukunftsfähig Wilhelmsburg ist - und wie zukunftsfähig Hamburg.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt