Buchholzer Schule unterrichtet seit Jahren Schüler mit und ohne Behinderungen gemeinsam. Start der inklusive Schule am 1. August 2013.

Buchholz. Der 1. August 2013 wird ein Tag des Umbruchs werden. Er ist nicht nur Stichtag für den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für unter Dreijährige, sondern markiert ebenfalls den Neubeginn in der niedersächsischen Schullandschaft. Die sogenannte inklusive Schule nimmt an diesem Datum offiziell ihre Arbeit auf. Das heißt, Eltern, deren Kinder einen Förderbedarf haben oder geistig behindert sind, müssen ihr Kind vom kommenden Jahr an nicht mehr auf Förderschulen schicken, sondern können sie sowohl zur 1. als auch zur 5. Klasse an ganz gewöhnlichen Regelschulen anmelden.

Die Buchholzer Heideschule hat den Schritt in neue Zeiten bereits vollzogen. "Zumindest inoffiziell", wie Schulleiterin Anke Stenzel betont. An ihrer Schule, die bisher noch Grund- und Hauptschule ist, aber bald nur noch Grundschule sein wird, werden Mädchen und Jungen mit und ohne spezieller Förderung schon seit Längerem in gemeinsamen Klassen unterrichtet. Es bestehen Kooperationen mit der Birkenschule, die Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen ist, und der Schule An Boerns Soll, deren Schwerpunkt auf geistiger Entwicklung liegt.

"Diese beiden Schulen werden aber auch nach dem Start der Inklusion weiter existieren", sagt Stenzel und widerlegt damit die weit verbreitete Annahme, die Förderschulen in Niedersachsen würden im kommenden Jahr komplett aufgelöst werden. Lediglich der Primarbereich von Förderschulen wie der Birkenschule läuft aus, von der fünften Klasse an können Kinder die Schule wieder besuchen - sofern festgestellt wird, dass ihre Schwierigkeiten beim Lernen immer noch da sind. Die Schule An Boerns Soll für geistig Behinderte hingegen wird den Grundschulbereich weiterhin anbieten. Was aber sind die Erfahrungen, die Anke Stenzel mit der "Inklusion im Testlauf" gemacht hat? "Hauptsächlich sind es positive Erfahrungen", sagt sie mit einem entwaffnenden Lächeln. Das von vielen Eltern befürchtete Herunterreißen der besseren Schüler auf das Niveau der schlechteren könne sie nicht bestätigen. Vielmehr würden vor allem die schwächeren Schüler von den stärkeren profitieren. Wichtig sei dabei aber, nach dem jeweiligen Förderbedarf zu differenzieren. So gebe es ihn für Hören, Sehen, Sprache, körperlich-motorische und geistige Entwicklung sowie emotional-soziale Entwicklung und Lernen. Fortschritte durch das gemeinsame Lernen gebe es vor allem bei den Kinder mit Schwierigkeiten in letztgenannten Bereichen, sagt sie.

Das Differenzieren gilt aber auch für die direkte Arbeit des Lehrers im Klassenzimmer. Den jeweiligen Förderbedarf und die Leistung des Schülers muss er im ganz normalen Unterricht erkennen und darauf reagieren. Dass das nicht immer leicht ist, belegen allein schon die Zahlen: Im Schnitt betreut jeder Pädagoge 24 Schüler. Vorgesehen ist, dass es pro Klasse zwei Förderstunden in der Woche gibt - "das ist eigentlich viel zu wenig, aber dabei wird es vermutlich bleiben", sagt die Schulleiterin.

Wie Inklusion im Alltag funktioniert, zeigt ein Blick in die Kooperationsklasse von Anke Grafe. Die Förderschullehrerin hat an diesem Morgen Kinder von der Schule An Boerns Soll ebenso vor sich wie Kinder ohne Behinderung. Hinzu kommt, dass ihre Klasse altersgemischt ist. Neben Rollstuhlkind Ruben und Jonas mit Down-Syndrom sitzen Drittklässler Ephraim und Erstklässler Hendrik. Insgesamt zehn Klassen der Heideschule werden von Schülern von Klasse eins bis vier gemeinsam besucht, vier Mischklassen sind auf Kinder der ersten und zweiten Klasse beschränkt, während es vier getrennte Klassen für Dritt- und Viertklässler gibt. Die Schüler mit Förderbedarf werden auf die insgesamt 18 Klassen mit 450 Schülern im Grundschulbereich gleichmäßig verteilt.

Thema des Sachunterrichts bei Anke Grafe ist heute die Bewegung. Wie sitze ich richtig, wie trage ich meinen Ranzen? Fragen wie diese haben die Schüler in altersgemischten Arbeitsgruppen bearbeitet. Um den Überblick über die Verteilung der Jahrgänge an den Tischen zu behalten, hat die Lehrerin den jeweiligen Jahrgang eines Kindes auf einem Zettel farbig markiert. So weiß sie genau, wer neben wem sitzt.

Als die erste Gruppe die Ergebnisse ihrer Arbeit präsentieren will, bricht plötzlich ein Junge von der Schule An Boerns Soll in unkontrolliertes Geschrei aus. Die Schüler vorn verstehen ihr eigenes Wort nicht mehr, Anke Grafe reagiert. Eine der zwei zusätzlichen Pädagoginnen - dass es insgesamt drei sind, liegt an der Größe der Kooperationsklasse - muss mit dem Jungen nach draußen gehen. Erst dann kann der Unterricht fortgeführt werden.

"Manchmal ist das etwas nervig", gibt Sophie, 9, einen ehrlichen Einblick in ihre Gedanken über die Mitschüler von der Schule An Boerns Soll. Aber im Grunde sind "die anderen" für sie nichts Besonderes. Ruben, der im Rollstuhl sitzt, werde von ihnen wie selbstverständlich mit auf den Pausenhof geschoben, erzählt sie und fügt hinzu: "Eigentlich sollen wir aber gar nicht helfen, weil er das allein machen soll."

Es sind kleine Erfahrungen wie diese, die Anke Stenzel an den Erfolg der Inklusion glauben lassen. Sie beobachtet, dass für die Kinder die geistige oder körperliche Behinderung ihrer Klassenkameraden gar kein Thema ist. Die Altersdurchmischung der Jahrgänge sorge außerdem dafür, dass beispielsweise ältere, aber lernschwache Kinder zum ersten Mal in ihrer Schullaufbahn Erfolgserlebnisse haben, wenn sie den Kleineren etwas erklären können, sagt die Leiterin.

Um die anderen Buchholzer Schulen zum Start der Inklusion an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen, entwickelt die Heideschule nun ein Konzept, das sie an die Stadt weiterreicht. Ein Punkt dürfte darin aber sicherlich nicht fehlen, und das ist die personelle Ausstattung. Aktuell ist Anke Grafe die einzige Lehrerin der Heideschule mit Förderschulausbildung. Im Idealfall sollten sich jedoch vier Klassen einen Förderschullehrer mit voller Stundenzahl teilen, der noch dazu von pädagogischen Mitarbeitern, Praktikanten und Therapeuten unterstützt wird, heißt es in dem Schriftwerk. Geplant ist, dass die Lehrer der Birkenschule zum kommenden Schuljahr auf die Buchholzer Grundschulen für Förderstunden verteilt werden. Hinzu kommt ein weiterer wunder Punkt: Die Grundschullehrer sollen sich in der Förderpädagogik fortbilden, ob sich das aber auf ihr Gehalt auswirken wird, ist unklar. Förderschullehrer erhalten ein im Schnitt um fast 400 Euro höheres Monatsgehalt.