Frauen im Landkreis Harburg sind besonders betroffen. Die Hälfte bekommt weniger als 1890 Euro für einen Vollzeitjob.

Winsen/Buchholz/Hannover . Im Landkreis Harburg arbeiten überdurchschnittlich viele Menschen für wenig Geld. Fast jeder dritte Vollzeitbeschäftigte muss sich mit einem so genannten Niedriglohn zufrieden geben - damit liegt der Verdienst bei maximal 1890 Euro brutto im Monat. Das ist das Ergebnis einer Studie, die der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Nord veröffentlicht hat.

Zum Vergleich: In den westdeutschen Bundesländern liegt die Quote der Niedriglöhner bei 20,8 Prozent, in Hamburg bei 19,1 Prozent. Im Landkreis Harburg liegt sie bei exakt 30,1 Prozent. Der DGB Nord bezieht sich in seiner Studie auf die Niedriglohndefinition der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Demnach liegt die Niedriglohnschwelle für Vollzeitbeschäftigte in Westdeutschland bei 1890 Euro - das entspricht etwa zwei Drittel des Durchschnittslohnes.

Eine weitere Erkenntnis der DGB-Studie: Frauen arbeiten im Landkreis Harburg deutlich häufiger für einen so genannten Niedriglohn als Männer. Der Erhebung zufolge (Stichtag: 31. Dezember 2010) muss fast jede zweite Frau (48,1 Prozent) mit einem Niedriglohn auskommen. Bei Männern liegt die Quote bei knapp einem Fünftel (19,6 Prozent). Zum Vergleich: In Hamburg beziehen gut ein Viertel (25,5 Prozent) der Frauen Niedriglöhne, knapp ein Siebtel (13,3 Prozent) der Männer fällt unter die Niedriglohnschwelle.

Beim DGB stoßen die Daten aus dem Landkreis Harburg sauer auf: "Der Anteil der Niedrigverdiener liegt im Landkreis Harburg klar über dem westdeutschen Schnitt und fällt deutlich höher aus als in Hamburg", sagte der niedersächsische DGB-Landesvorsitzende Hartmut Tölle dem Hamburger Abendblatt. "Es ist Aufgabe der Arbeitgeber, auch im Speckgürtel von Hamburg endlich für faire Löhne und gute Arbeitsplätze zu sorgen."

Besonders gravierend sei der hohe Anteil der Frauen an den Geringverdienern, so der niedersächsische DGB-Chef. "Fast die Hälfte aller Frauen im Landkreis Harburg arbeitet zu Dumpinglöhnen", sagte Tölle. Eine Ursache dürfte der hohe Anteil der Frauen in den Dienstleistungsberufen und im Handel und Gastgewerbe sein. Dort sind Niedriglöhne besonders stark ausgeprägt. Tölle: "Aufgrund der niedrigen Löhne droht vielen Frauen Altersarmut, auch wenn sie viele Jahre berufstätig waren. Das ist bitter für jede Einzelne. Es belastet aber auch die Allgemeinheit, wenn Mini-Renten aufgestockt werden müssen."

Nach Angaben des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) waren im Landkreis Harburg vergangenes Jahr 55,9 Prozent der Frauen im Dienstleistungsbereich beschäftigt. Knapp ein Drittel arbeitete im Bereich Handel, Gastgewerbe und Verkehr, ein gutes Zehntel in der Industrie und 1,4 Prozent in der Land- und Forstwirtschaft.

Bernd Wiechel, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Lüneburg-Nordostniedersachsen kann die Aufregung um die DGB-Studie nicht verstehen. "Die Niedriglohnschwelle von 1890 Euro brutto monatlich ist ein rein statistischer OECD-Wert, der unterstellt, dass man unterhalb dieses Wertes nicht leben kann. Diese Einschätzung teile ich nicht."

Der Arbeitgebervertreter macht eine ganz andere Rechnung auf: Der DGB fordert einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro brutto pro Stunde. Das ergäbe rund 1470 Euro Monatslohn. "Der OECD-Wert von 1890 Euro entspräche einem Stundenlohn von 10,90 Euro brutto", sagt Bernd Wiechel, "das sehe ich nicht als einen Niedriglohn an. 10,90 Euro Stundenlohn wären für eine einfache Tätigkeit ohne Berufsschulabschluss sicherlich eine angemessene Vergütung." Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Krankenhäuser Buchholz und Winsen, Markus Beecken, macht eine andere Rechnung auf. Eine Krankenschwester verdiene in den kreiseigenen Krankenhäusern nach der Ausbildung 2130 bis 2230 Euro brutto im Monat. "Anders sieht es bei unseren Mitarbeitern im Reinigungsdienst aus", sagt Markus Beecken. "Sie kommen laut Tarifvertrag auf einen Stundenlohn von neun Euro brutto - das macht bei Vollzeitbeschäftigten rund 1500 Euro im Monat. Neun Euro liegen zwar über dem geforderten Mindestlohn von 8,50 Euro, aber 1500 Euro brutto im Monat reichen zum Leben nicht aus."

Trotzdem sei der Job als Putzkraft im Krankenhaus für viele Menschen eine reizvolle Alternative, sagt Beecken. "Viele Leute, die zu uns kommen, haben vorher für sechs bis sieben Euro geputzt. Trauriger Minusrekord war bislang ein Mann mit Migrationshintergrund, der für 5,60 Euro in einer Spülküche in einem Buchholzer Gasthaus gearbeitet hat. Das zeigt, dass nicht nur in strukturschwachen Regionen Dumpinglöhne gezahlt werden, sondern auch im wohlhabenden Speckgürtel Hamburgs."

Diese Kritik möchte Kirsten Jordan vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) so nicht stehen lassen. "Wer bei uns Koch, Restaurant- oder Hotelfachmann und Hotelkaufmann gelernt und danach mindestens drei Jahre im Beruf gearbeitet hat, der überspringt die Niedriglohnschwelle von 1890 Euro im Monat", sagt die Geschäftsführerin des Bezirksverbands Hannover. "Das gilt für Frauen wie für Männer. Köche sind sehr gesucht. Die verdienen schon vorher mehr."