Viele Musikschuleltern missachten das Schritttempo in der Spielstraße. Die Stadt sieht darin allerdings keine Gefahr für die Kinder.

Winsen. Mit Schwung biegt ein Kleinwagen in den St.-Barbara-Weg, fährt flott über die Schwelle, die den Eingang zur Spielstraße markiert, und dann setzt die Frau am Steuer zum Wenden zwischen den adretten Vorgärten im Winsener Wohngebiet Luhe-Park an. Dagmar Edelsbacher runzelt die Stirn. "Da ist schon wieder so eine."

Eigentlich gilt in dem verkehrsberuhigten Bereich Schrittgeschwindigkeit. Doch viele Autofahrer führen deutlich schneller, meint die Steuerfachangestellte, die mit ihrer Familie hier wohnt. Die Raser seien eine Gefahr für ihren zweijährigen Sohn Felix und die vielen anderen Kinder, die in den Reihen- und Einzelhäusern hier leben. "Wir wollen niemanden an den Pranger stellen", sagt die 41-Jährige. "Aber wir wollen unsere Kinder schützen."

Besonders ärgert sie und andere Anwohner, dass offenbar viele der Schnellfahrer Eltern sind, die ihre Kinder zur nahe gelegenen Musikschule bringen oder abholen - und zum Wenden oder Parken in den St.-Barbara-Weg fahren. "Die haben selbst Kinder. Aber sie rasen bei uns rein, suchen einen Parkplatz und wieder raus." Das sei besonders nachmittags zu den Stoßzeiten der Musikschule zu beobachten. Abends seien sogar immer wieder Autofahrer mit geschätzt 40 bis 50 Kilometer pro Stunde unterwegs. "Die geben dann einmal richtig Gas."

Aber auch viele Anwohner seien zu schnell unterwegs, sagt Sylvia Behm, die mit Mann und der sechsjährigen Tochter Leah am Kommandeursweg wohnt. "Die sind auch nicht besser, obwohl sie Kindersitze hinten im Auto haben." Auch Fahrer der Post und von Pizzalieferdiensten hielten sich häufig nicht an das vorgegebene Schritttempo. Die 40-Jährige hat sich deshalb bereits mehrfach schriftlich an die Stadt gewandt, in der Hoffnung, dass diese die Autofahrer stärker ausbremse. Ihre Nachbarn, ein älteres Ehepaar, hätten sogar einmal die Polizei um Hilfe gebeten.

Bei der Stadt sind die Anwohner mit ihrem Wunsch nach weiteren Verkehrsbarrieren jedoch auf wenig Verständnis gestoßen. Weder der Vorschlag, Blumenkübel aus Beton aufzustellen, noch die Forderung nach weiteren Bodenschwellen werden im Rathaus als umsetzbar angesehen. Blumenkübel blockierten den Weg für Rettungsfahrzeuge, sagt Christian Riech, Erster Stadtrat. Und bei den Schwellen gebe es rechtliche Probleme.

Denn während Dagmar Edelsbacher sagt, solche Barrieren seien "das Einzige, was wehtue beim Drüberbrettern", befürchtet Riech genau deshalb Ärger, zum Beispiel durch Besitzer tiefergelegter Fahrzeuge: "Für alles, was höher ist als acht bis zehn Zentimeter, haftet die Kommune. Niedrigere Schwellen bringen aber nichts. Was wirksam wäre, dürfen wir also nicht."

Davon abgesehen sieht die Stadt überhaupt keinen Bedarf, etwas an der Situation zu ändern. "Im Kommandeursweg gibt es nur extrem wenig Verkehr. Das ist eine der ruhigsten Straßen in ganz Winsen", sagt Riech. Dort sind nach einer Messung aus dem Jahr 2011 im Durchschnitt nur 127 Fahrzeuge pro Tag unterwegs - im Gegensatz zu bis zu 15 000 auf Hauptstraßen. Auch das Geschwindigkeitsniveau sei niedrig: Das Durchschnittstempo der Autofahrer lag bei 18 Kilometer pro Stunde, sagt Riech und nennt weitere Zahlen: 72 Prozent seien bei der Messung mit Tempo 20 oder langsamer, 23 Prozent mit bis zu 25 Kilometer pro Stunde gefahren.

Schrittgeschwindigkeit ist das nicht. Die ist nicht genau definiert, sie liegt nach Einschätzung verschiedener Gerichte bei etwa vier bis zehn Kilometer pro Stunde. Von Rasern zu sprechen, hält Riech dennoch für übertrieben. "Hier gibt es offensichtlich eine Diskrepanz zwischen objektiver Lage und subjektivem Sicherheitsbedürfnis."

Dagmar Edelsbacher ärgert diese Einstellung. Sie fragt: "Muss denn erst was passieren, bevor sich hier was ändert?" Deshalb versucht sie selbst, die schnellen Autofahrer auf deren Fehlverhalten hinzuweisen. Wie bei der Frau im Kleinwagen. Beherzt klopft Dagmar Edelsbacher an das Seitenfenster und weist die Fahrerin auf das Tempolimit hin. Die jedoch zeigt - im Gegensatz zu vielen anderen, die Dagmar Edelsbacher schon angesprochen hat - wenig Einsicht. "Ich bin nicht schnell gefahren, ich habe nur schnell gewendet", ruft sie durchs Fenster, steigt auf der anderen Seite aus und eilt in Richtung Musikschule.

Von dort erhalten die engagierten Mütter bald Unterstützung. Musikschulleiterin Christiane Dräger-Meier war nur bekannt, dass die Eltern ihrer Schüler teilweise die Parkplätze in dem Wohngebiet belegen. Von Rasern habe sie bisher nicht gehört, sagte sie auf Anfrage des Abendblatts. "Aber klar, ich werde sofort einen Aushang machen, um die Eltern zu erinnern, dass sie vorsichtiger fahren sollen."

Außerdem kündigte die Leiterin an, in der nächsten Musikschulzeitung, die an alle Schüler geht, mit einem Artikel auf das Problem hinzuweisen. Sie wohne selbst in einer 30er-Zone und ärgere sich über Eltern, die dort zu schnell am Kindergarten vorführen, sagt Dräger-Meier. "Das ist ein sehr zwiespältiges Verhalten mancher Eltern."