Die Pilzberaterin Birgit Tewes kennt sich bestens aus mit den Gewächsen des Waldes. Ihre Führungen durchs Unterholz sind sehr beliebt.

Harburg. Rucksack, Korb und Funktionsjacke: Die Sammler im Toppenstedter Wald sind startklar für ihre Pilzjagd. Die Voraussetzungen sind ideal. Das Laub ist noch durchnässt vom Regen, und der lässt die Pilze aus dem Boden schießen. Doch bevor die naturkundliche Pilzwanderung an diesem Sonntagmorgen, zu der die Pilzberaterin Birgit Tewes aus Stelle im Auftrag des Naturschutzbundes eingeladen hat, losgehen kann, gibt es noch eine wichtige Frage zu klären: Welche Pilze sind essbar, welche nicht? Schwierig. Schließlich gibt es zu fast jedem essbaren Pilz ein giftiges Pendant. Deshalb will Birgit Tewes erst mal Grundsätzliches erläutern, bevor die Gruppe in den Wald ziehen kann.

Die Frau holt einen Korb voller Pilze aus dem Auto und versammelt die rund 25 Teilnehmer um sich herum. Auch wenn die 59-Jährige mit dem knallroten Lippenstift und den weißblonden Haaren eher so aussieht, als wenn sie am Schreibtisch und nicht im Wald zuhause wäre, wird schnell klar: Sie ist eine Expertin. Als erstes bricht sie mit alten Weisheiten. Ein Pilz darf nicht abgeschnitten werden, sondern muss vorsichtig aus der Erde herausgedreht werden. Der Grund: Beim Abschneiden entfernen die Pilzsammler die Knolle des Pilzes und die hilft, zu bestimmen, ob es sich um einen giftigen Pilz handelt oder nicht.

Sie fischt einen Pilz nach dem anderen aus dem Korb, spricht über Familien, Farben und Formen. Zu ihrem Einmaleins zählt, darauf zu achten, wo man die Pilze gefunden hat. Denn die Pilze gehen mit den Bäumen eine Partnerschaft ein. Und je nachdem, wo der Baum wachse, lasse sich oft die Art des Pilzes bestimmen, sagt sie.

Während Birgit Tewes redet, hält sie die Pilze hoch und präsentiert die untere Seite des Hutes - die Fruchtschicht - und zeigt, ob diese eine Lamellen- oder Röhrenform haben. Für Anfänger hat sie gleich die erste Faustregel parat: Alle Pilze, die eine röhrenförmige Fruchtschicht haben, sind keine tödlich giftigen.

Doch den meisten, die hier stehen, ist diese Faustregel bekannt. Sie waren schon oft im Wald unterwegs und wissen, wie ein Maronenröhrling aussieht. Antje Stark, 41, aus Ohlendorf, ist beispielsweise schon als Kind mit ihrer Mutter in den Wald gegangen, um Pilze zu sammeln. Sie hat keine Probleme, Maronenröhrlinge, Steinpilze und Pfifferlinge zu erkennen. Sie erhofft sich von der Erkundungstour, darüber hinaus noch weitere Pilzarten kennen zu lernen, die auch in die Pfanne können.

Doch das ist gar nicht so einfach wie sich später herausstellt, als Birgit Tewes und die zweite Pilzberaterin Gabriela Schöppler, 51, aus Kummerfeld bei Pinneberg, die Teilnehmer aufteilen und mit jeweils einer Gruppe in den Wald ziehen. Birgit Tewes entdeckt nur einige Meter am Waldrand einen Schwefelritterling, einen schmackhaft aussehenden Pilz mit einem gelbfarbenen Stiel. Birgit Tewes lässt daran riechen. Sofort weichen alle einen Schritt zurück. "Riecht wie ein Raucherraum", sagt einer. Am Pilz zu schnuppern hilft, heißt also die erste Lektion.

Zwar sei der Pilz nicht giftig, so Birgit Tewes, aber sie rät davon ab, Pilze zu sammeln, die aussehen wie dieser Ritterling. Denn gerade der habe viele giftige Doppler. Aha. Welche Pilze haben keine Ähnlichkeit mit diesem? Zum Beispiel der, den Sieke-Marthe Hamann, 62, aus Brakel entdeckt hat und Birgit Tewes überreicht: der Herbstmorchel. Er fühlt sich an wie Gummi und sieht mit seinem krausen, labberigen Kopf ungenießbar aus. Das ist dann wohl die zweite Lektion: Alles, was seltsam aussieht, muss nicht gleich giftig sein. Und noch wichtiger: Alles was gut aussieht, sollte man nicht gleich essen.

Birgit Tewes findet aber, dass nichts dagegenspricht, ein Stückchen von einem Täubling abzubeißen - sofern man sich sicher ist, dass es sich um einen Täubling handelt - und das Stückchen zu zerkauen, ohne den Pilz zu schlucken. So kann sie den essbaren milden Täubling vom ungenießbaren scharfen Gallentäubling unterscheiden.

Seit fünf Jahren bietet die Pilzberaterin nun schon die Exkursionen in den Wald an. Doch die Leidenschaft währt schon seit Kindheitstagen. Entsprechend groß ist der Wissensschatz. Sie ist jemand, der seine Knödel mit dem Lila-Lacktrichterling färbt. Sie weiß, mit welchen Pilzen sich die Wikinger nach harten Kampftagen berauscht haben, und auch, dass die Gletschermumie "Ötzi" den Heilpilz Birkenporling bei sich trug, als er 1991 in Südtirol gefunden wurde. Und sie scheint nahezu jeden Pilz zu kennen. Jedenfalls ist sie bei der Wanderung in der Lage, jeden einzelnen, den die Teilnehmer der Pilzwanderung ihr reichen, zu bestimmen. Und da nun einmal nicht wenige Pilze im Wald wachsen, schwirrt vielen angesichts all dieser Informationen schon der Kopf.

Und so wird sich Kerstin Sattig, 43, Erzieherin aus Brakel, bei ihrer nächsten Tour in den Wald allenfalls an den Herbstlorchel herantrauen. Sieke-Marthe Hamann, 62, auch eine erfahrene Pilzsammlerin aus Brakel, glaubt, darüber hinaus noch den Kiefern-Reizker wieder zu erkennen. Doch Bodo Kanngießer, 64, aus Jesteburg, wird bei seinem alten Sammelsystem bleiben. "Das waren zu viele Informationen", sagt er.

Das versteht Birgit Tewes aber nicht als Kritik. Sie rät ohnehin, sich nur auf einen oder wenige Pilze in all ihren Facetten zu konzentrieren. "Unser Ansatz ist, zu zeigen, wie schnell Pilze verwechselt werden können. Jeder sollte nur in den Korb tun, was er kennt."