Sinstorfer Schützenverein empfängt Kameraden aus ganz Hamburg, Lübeck und Bremen. Spagat zwischen Tradition und Moderne im Schützenwesen.

Sinstorf. In diesem Jahr will sie es wissen. Zweite Hanseatenkönigin war Inge Harmann schon. Ihr Schützenjoppen ist mit Orden behangen und zeugt von ihren sportlichen Erfolgen im Schießstand. Als Sportschützin hat die 78-Jährige schon oft ins Schwarze getroffen. Beim diesjährigen Wochenende der Schützenvereine geht Lübecks amtierende Kreiskönigin nach dem Mittagessen mit Siegeswillen in den Sinstorfer Schießstand und packt ihr Luftgewehr aus. Und ihr Lebenspartner und Schützenbruder Geraldo Meßmer drückt die Daumen. Der 82 Jahre alte Lübecker ist einer der Gründungsväter dieses Schützentreffens. Meßmer ist bekennender Traditionalist. Er weiß um den Spagat, den die meisten Schützenvereine vollführen. Einerseits plagt sie alle die große Sorge um den Nachwuchs, andererseits mag niemand von den alten Traditionen lassen.

"Die Jugend von heute wird frühzeitig von der technischen Unterhaltung begeistert. Wenn die Jungen alt genug sind, um mit etwa zehn Jahren ans Schützenwesen herangeführt zu werden, haben sie längst kein Interesse mehr daran. Und die jungen Leute lassen sich nur ungern in eine Uniform zwängen", sagt der leidenschaftliche Joppenträger. Seiner Ansicht nach sei es keine Lösung, die Tradition über Bord zu werfen, um die jungen Menschen vom Schießsport und vom Schützenwesen zu begeistern. Umso wichtiger für ihn und viele andere Schützen ist, die Gemeinsamkeiten bei solchen Treffen wie an diesem Wochenende zu pflegen. Gleichgesinnte zu treffen, die Geselligkeit zu pflegen - und zu schießen. All das sei es, was ihn schon seit vielen Jahrzehnten an den Schützen fasziniert. "Aber die Umzüge verschwinden von den Straßen, die Musik hat eine andere Richtung genommen", sagt Meßmer, und es klingt geradezu wehmütig, wenn sich der alte Schützenbruder an die rauschenden Schützenfeste früherer Tage erinnert.

Der Gastgeber in diesem Jahr ist der Sinstorfer Schützenverein. Die Gäste aus Bremen und Lübeck wissen die moderne Schießanlage und das schicke Klubhaus zu schätzen. Zur Mittagspause werden gegrillte Würstchen, Kraut- und Kartoffelsalat aufgefahren. "Beim Hanseatenschießen gab es mal Nachwuchssorgen, die sind aber inzwischen überwunden. Jetzt reisen die befreundeten Schützenvereine wieder in Bussen an, und wir können wieder alle Mannschaften stellen", sagt Henryk Müller, Ehrenvorsitzender des Sinstorfer Schützenvereins. Die Frauen schießen mit dem Luftgewehr und die Herren mit dem Kleinkaliber auf die Scheibe. Beim Hanseatenschießen hat das Schützenwesen die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen längst vollzogen. Es gibt einen Hanseatenkönig oder eine Hanseatenkönigin.

Schießstand und Klubhaus habe er mit seinen Vereinskameraden hochgezogen. "Wir haben hier im Süden eine der modernsten Anlagen. Deswegen ist unser Vereinshaus der Hamburger Austragungsort für das Hanseatenschießen", sagt Müller. Alle Schützenvereine litten, so Werner Schumacher, Schütze aus dem Hamburger Verein Meiendorf, unter dem schlechten Image der Schützen und ihrer Waffen. Dabei sei es in erster Linie der Sport, der ihn und seine Gesinnungsgenossen zusammenschweiße. Und natürlich auch die Tradition. Schumacher ist einer, der für Verjüngung in den Vereinsvorständen steht. Er habe sich auch vehement dafür eingesetzt, dass sich die letzte Männerbastion Frauen öffne. Solche Treffen wie das Hanseatenschießen, sagt Schumacher, dienten auch dazu, Werbung für die Schützenvereine im Norden zu machen. Und der Meiendorfer, ein nach eigener Aussage passionierter Schütze, der schon neunmal auf dem Treppchen bei Landesmeisterschaften gestanden hat, muss einräumen, dass das Schützenwesen südlich der Elbe mehr gefeiert werde als nördlich des Flusses. Schießsport kranke daran, dass er in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werde.

Rund 1,4 Millionen Menschen gehören in Deutschland einem Schützenverein an. An diesem Wochenende seien alle knapp 15.000 Vereine in Deutschland aufgerufen gewesen, mit verschiedenen Aktionen in der Öffentlichkeit ein positives Vereinsbild zu zeigen und Einblick in das heutige Schützenwesen zu vermitteln, erklärt Werner Schumacher, der für seinen Verein die Öffentlichkeitsarbeit übernommen hat. Und was liege da in dieser Region näher, als ein Hanseatenschießen zu organisieren.

Inge Harmann hat geschossen. Der Siegeswille ist verflogen, sie ist enttäuscht. "Mein Ergebnis hat leider nicht gereicht, aber ich bin schon glücklich darüber, dass ich in meinem Alter überhaupt noch dabei bin und mitschießen kann", sagt sie am Ende des Hanseatenschießens im Sinstorfer Schießstand. Und ihr Lebensgefährte Geraldo Meßmer kann dem nur zustimmen. Er selbst lege es nicht mehr darauf an, gut zu schießen. Für ihn sei die Geselligkeit heute wichtiger.