Wegen eines Engpasses bei Impfstoffen steht ein Präparat für die Schutzimpfung vielerorts wohl erst im November zur Verfügung.

Harburg/Winsen. Der Herbst ist da. Regen und Sturm ziehen über das Land, und alle Menschen hoffen, dass trotz der miesen Wetterlage nicht an einer Grippe zu erkranken. Ausgerechnet zu Beginn der nasskalten Jahreszeit gibt es jetzt zumindest für Patienten, die gesetzlich krankenversichert sind, vielerorts keine ausreichende Impfstoffmenge für eine vorbeugende Grippeschutzimpfung.

Eigentlich sollte mit den präventiven Impfungen in den Praxen der Hausärzte so wie jedes Jahr bereits im September begonnen werden. Aber in diesem Herbst ist alles anders, beklagt Kai-Peter Siemsen, Präsident der Apothekerkammer Hamburg. Unter Führung der AOK hätten die Krankenkassen per Ausschreibung erstmals den günstigsten Impfstofflieferanten gesucht, um Kosten zu senken. Doch der Rabatt-Vertragspartner Novartis liefere nun nicht den vereinbarten Impfstoff "Begripal ohne Kanüle". Inzwischen werde von den Kassen auch der ebenfalls von Novartis hergestellte Ersatzimpfstoff "Begripal mit Kanüle" bezahlt, oder auch "Optaflu" sowie "Fluade". Optaflu sei wegen Nebenwirkungen allerdings nicht für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren zugelassen, Fluad nur zugelassen für Menschen, die älter als 65 Jahre sind. Aber auch die Ersatzimpfstoffe seien nicht in ausreichender Menge zu bekommen. Siemsen: "Aus Patientensicht ist nur zu hoffen, dass es nicht zu einer Grippewelle kommt."

Laut Apothekerkammerpräsident haben andere Pharmakonzerne wegen des Ausschreibungsverfahrens der Krankenkassen weniger Impfstoff produziert. Deshalb könnten sie keine flächendeckende Versorgung für vorbeugende Impfaktionen sicherstellen. Der von anderen Herstellern gelieferte Impfstoff könne den Ärzten von Apotheken zwar vereinzelt bereitgestellt werden. Aber behandelnde Ärzte dürften sie bei Kassenpatienten nicht anwenden. Anderenfalls riskieren sie, die gegenüber dem rabattierten Medikament entstehenden Mehrkosten von ihrer eigenen Honorarrechnung abgezogen zu bekommen.

"Das ist eine ganz traurige Geschichte", sagt Peter Weber von der Harburger City Apotheke. "Wir haben keine einzige Packung Begripal, die wir unseren Ärzten liefern können. Und auch die von den Krankenkassen genehmigten Ersatzimpfstoffe sind nicht in ausreichender Menge vom Großhandel zu beziehen. Nun wird gesagt, dass Begripal ab November geliefert werden kann. Dann ist es für eine vorbeugende Impfung für den einen oder anderen vielleicht jedoch schon zu spät. Und man müsste sich fragen, welche Mitschuld die Krankenkassen am Leid der Patienten tragen."

Kunden der Gesetzlichen Krankenkassen, die auf Nummer sicher gehen wollen, könnten laut Apotheker Weber eine Grippeschutzimpfung beim Hausarzt aus eigener Tasche bezahlen - wie ein Privatpatient. Eine Schutzimpfung mit einem guten Präparat eines anderen Herstellers würde mit etwa 20 bis 30 Euro abgerechnet werden. Weber: "Das ist natürlich eine ärgerliche Zusatzausgabe für alle, die sowieso hohe Abgaben an die gesetzliche Krankenkasse leisten müssen."

Gerhart Glaser spricht von einer "schizophrenen Situation". "Haus- wie Fachärzte sind zur Patientenversorgung verpflichtet, aber die Rabattierung einzelner Medikamente beschneidet unsere ärztlichen Entscheidungsfreiheit", sagt der Vorsitzende des gut 110 Haus- und Fachärzte zählenden Praxisnetz Süderelbe. "Wir können unseren Auftrag der Patientenversorgung nicht oder nur mit Einschränkungen erfüllen. Das kann vom Gesetzgeber so nicht gewollt sein."

Kritik an den neuen, jeweils für ein Jahr vereinbarten Exklusivlieferverträgen der Krankenkassen mit den Pharmaherstellern äußert auch Helmut Gericke, Leiter der Markt-Apotheke im Gesundheitszentrum Winsen. Im nördlichen Niedersachsen liefere der regionale Ausschreibungsgewinner Ratiopharm derzeit nur noch etwa die Hälfte der bestellten Impfstoffe. Erste Auswirkung: "Gestern kam eine Stammkundin zu mir, die sich sonst immer im September gegen Grippe impfen ließ und in diesem Jahr erstmals krank geworden ist", berichtet Gericke.

Während die Gesundheitsämter im nördlichen Niedersachsen keinen Engpass bei Impfstoffen sehen, bereitet der Harburger Amtsarzt Dr. Roland Diel aufgrund der aktuellen Lage eine Grippeschutzimpfaktion vor.