Konstantin Graudus steht gern auf der Bühne, auch in seiner Heimat Neuenfelde. Der Schauspieler ist ins Dorfleben fest eingebunden.

Szene: Das jährliche Reitturnier in Neuenfelde, letzte Prüfung "Zitronenrennen". Der heimliche Höhepunkt der inoffiziellen Altländer Reitmeisterschaften braucht einen ebenso professionellen wie humorbegabten Moderator und findet ihn gleich hier im Dorf. Auftritt Konstantin Graudus. Der Schauspieler und Pferdenarr trägt weiße Reithose, schwarze Reiterjacke, Fliege und Zylinder - zunächst. Jacke, Binder und Hut legt er flugs ab, um das komplizierte Verfahren - Anreiten, Durchparieren, Absteigen, Ablegen, Eintauchen, Zubeißen, Auftauchen, Ankleiden, Aufsteigen, Abreiten - zu demonstrieren.

Dabei hat er, wie die Reiter später auch, ab der Hälfte der Prozedur Wasser im Haar und eine Südfrucht zwischen den Zähnen. Als Vorführpferd dient dem Mimen ein Kleiderständer. Auch bei den Teams, die am Wettbewerb teilnehmen, hat nicht jedes Pferd vier Beine und es ist auch keineswegs immer klar, wer Ross ist und wer Reiter. Keine leichte Aufgabe für den Kommentator, und doch: "Solche Auftritte sind für mich Erholung und geben mir Kraft", sagt Konstantin Graudus. Er ist zwar nicht in Neuenfelde geboren, aber hier zu Hause, "und dieses Gefühl erdet mich", sagt er.

Szenenwechsel: Winterhuder Fährhaus. Konstantin Graudus steht im kleinen Saal und gibt eine Art Willy Loman 2.0 in der Webzeitalter-Tragikomödie "Der Wind macht das Fähnchen", einen Handelsvertreter und Vater, dessen Selbst- und Weltbild von der ständigen Veränderung der Realität auf eine harte Probe gestellt wird. Er und seine drei Schauspielkollegen geben alles - vor 35 Zuschauern, die zwar am Ende begeistert sind, aber vor und neben sich auch noch jede Menge Platz haben.

Die Reihe, in der das Stück läuft, heißt "Kontraste". Der Intendant des Fährhauses möchte damit ein Gegengewicht zum Hauptprogramm setzen. Doch nicht nur das Programm unterscheidet den kleinen und den großen Saal: Zwar bekommen Graudus und seine Kollegen eine angemessene Gage, aber Maske und Garderobe erledigen sie selbst.

Konstantin Graudus' Arbeitstag hat auch nicht erst im Winterhuder Fährhaus begonnen. Den ganzen Tag über stand er im Studio Hamburg in der Synchronsprecherkabine und in seiner Hosentasche hat er den Text für das nächste Engagement: Ionescos "Die Nashörner" am Ernst-Deutsch-Theater. Konstantin Graudus wird Behringer, die Hauptfigur, spielen. Wann immer der Schauspieler ein paar freie Minuten hat, zieht er den Text aus der Tasche und lernt.

Schauspielerei ist kein normaler Beruf, sondern eine Leidenschaft für die man brennen muss - und zugleich ein unregelmäßiges Geschäft, bei dem man kaum ein Angebot ablehnt, wenn es in den Terminkalender passt. Das kann bizarre Auswüchse haben: "Ich drehte einmal eine Fernsehserie in Tirol und hatte gleichzeitig ein Theater-Engagement in Hamburg", sagt Graudus, "da wurde ich abends aus dem Theater abgeholt, nachts nach Österreich gefahren, stand dort gleich morgens und an den folgenden spielfreien Tagen vor der Kamera und wurde danach wieder direkt nach Hamburg ins Theater verfrachtet."

17 Folgen "Bergdoktor" drehte Graudus so ab. Da tut es gut, einen ruhenden Pol zu haben. Den hat der 47-jährige seit 15 Jahren in Neuenfelde. Nicht nur, weil dort sein Haus steht. "Das Dorf hat mich sehr schnell aufgenommen", sagt er. "Erst später habe ich mitbekommen, dass das nicht bei jedem so ist."

Die gerade Art des gebürtigen Westfalen und das Wesen der Altländer scheinen kompatibel zu sein - zumal Graudus selbst ein "Landei" ist. Er wuchs in dem 100-Seelen-Dorf Ebbeloh bei Gütersloh auf. Unter Pferdefreunden ist Ebbeloh ein Begriff: Das gleichnamige Gestüt ist eine der ersten Adressen Deutschlands für Vollblüter. Die Passion für Pferde hat Konstantin Graudus damals mit aufgesogen. Auch das machte ihn den Neuenfeldern sympathisch. Graudus war wegen seiner Pferde hier hergezogen und lange Zeit als Züchter in Neuenfelde aktiv. Das ist mittlerweile zwar nicht mehr der Fall - um die Pferde kümmert sich nun seine Frau Sabine alleine, während er sich auf die Schauspielerei konzentriert - doch es brachte ihn damals schnell in Kontakt mit den Leuten im Dorf, vor allem im Reit- und Fahrverein.

"Wenn ich eine Premiere habe, kommen meine Neuenfelder Freunde und Nachbarn garantiert", sagt Graudus. "Und als mein Vater hier zu Besuch war, aber seine Medikamente - eine komplizierte Kombination aus vielen Mitteln - nicht mitgekommen waren, hat es nur wenige Stunden gedauert, und wir hatten hier alles zusammen, um die Zeit zu überbrücken bis die Mittel nachgeliefert wurden. Jeder kannte jemanden, der jemanden kannte, der noch etwas von der einen oder anderen Medizin hatte. Ich hätte meinen Vater sonst wieder nach Gütersloh oder ins Krankenhaus schicken müssen", erinnert sich der Schauspieler.

Ihm ist auch klar, dass es die Heimeligkeit im Dorf nicht umsonst gibt. "Es ist nur logisch, dass auch ich mich einbringen muss", sagt er. "Das Zitronenrennen ist deshalb zum Beispiel ein fester Termin in meinem Kalender. Das ist etwas, das ich zurückgeben kann."

Auch bei der 950-Jahr-Feier Neuenfeldes vor drei Jahren und dem 100-jährigen Jubiläum des Schützenvereins wirkte Konstantin Graudus mit und moderierte einige der Festveranstaltungen. Dafür ließ er es sich allerdings auch nicht nehmen, beim Fest der Feuerwehr frei nach dem Motto "Der letzte Cowboy kommt aus Gütersloh" ins Bierzelt zu reiten und vom Sattel aus am Tresen einen Halben zu ordern.

Momentan baut Graudus eine Scheune auf seinem Hof zu seiner privaten Probebühne aus. Er ist fast fertig damit. Wenn es die Zeit erlaubt, will Graudus hier gelegentlich auch seine Nachbarn unterhalten. "In der Adventszeit gibt es eine kleine Überraschung für die Neuenfelder", kündigt er schon mal an. Einstweilen hilft ihm sein 18-jähriger Sohn Jerome beim Ausbau der Bühne.

Begabung war es, die Graudus überhaupt erst auf den Beruf brachte: Der Leiter seiner Schul-Theater-Arbeitsgemeinschaft, der übrigens auch der Kabarettist und Moderator Oliver Welke angehörte, hatte das Talent erkannt und den jungen Konstantin gedrängt, Schauspieler zu werden. Als der Schüler dann in der Zeitung eine Anzeige für die Bühneneignungsprüfung sah, meldete er sich an - und bestand, nicht wissend, dass dieses Vorsprechen eigentlich die erste Zwischenprüfung für Jungmimen ist, die bereits im Schauspielstudium stecken.

Auch die Prüfer waren baff. "Ich musste ihnen versprechen, mit der Prüfung in der Tasche tatsächlich ein Schauspielstudium aufzunehmen", erinnert sich Graudus. "Sonst wäre ich wahrscheinlich Tischler geworden."

Er studierte in Hamburg und wurde danach beim Schauspielhaus angenommen. Das innere Landei ließ ihn aber auch in der Stadt nicht los. Schon früh zog Graudus in den grünen Osten der Elbinsel Wilhelmsburg. Dort hatte er eine Kate mit Pferdeweide. Schließlich, als der Platz für die Pferde dort nicht mehr reichte, zog Familie Graudus nach Neuenfelde.

Dort zieht er jetzt immer häufiger den Ionesco-Text aus der Tasche: "Ich kann die Rolle schon auswendig, aber ich denke noch zu sehr beim Sprechen", sagt er, "das ist fatal." Er muss sich ranhalten. Premiere ist am 11. Oktober. Dann heißt es wieder: Auftritt: Konstantin Graudus. Und das ganze Dorf wird in die Stadt kommen.