Posaunenchor Tostedt besteht mit Unterbrechungen seit 100 Jahren. Hauptamtliche Leiterin Wiebke Corleis garantiert für musikalische Qualität.

Tostedt. In die Posaune pusten und fertig ist der Sound. Schön wär's. Fragt man die Musiker aus dem Posaunenchor Tostedt, wie sie ihrem Instrument einen Ton entlocken, klingt es wie eine Wissenschaft: "Lippen einrollen, mit dem Zwerchfell arbeiten, die Zunge nach unten mit einem weichen Anstoß bewegen, Lippen vibrieren lassen, Schwingung wie bei einem Gummiband erzeugen, niemals einen Druck im Kopf erzeugen, sondern auf ein Zusammenspiel zwischen Muskelspannung und Luftzufuhr achten, körperlich und seelisch gelassen sein." Aha.

Klar ist: Ohne Übung geht so etwas nicht. Und das ist sicherlich auch einer der Gründe dafür, dass der Posaunenchor Tostedt seit 100 Jahren existiert. Hier wird einmal pro Woche am Klangerlebnis gefeilt. Hier bündelt der Chor die Faszination an Blasinstrumenten - an der Posaune, Trompete wie auch an der Tuba. Hier lernen die Menschen aus Tostedt und Umgebung das Musizieren auf Blasinstrumenten.

Blasen können sie ziemlich gut, wie sich bei einem Treffen mit rund 15 Männern und Frauen des Chors im Tostedter Gemeindehaus herausstellt. Wenn man es genau nimmt, brauchen sie dafür gar nicht die Instrumente. Tröten können sie auch ohne - mit Lippe und Zunge. "Mit der Trompete oder der Posaune wird der Ton, der mit Lippe und Zunge entsteht, nur veredelt", sagt Chorleiterin Wiebke Corleis,

So wie der Ton mit der Posaune veredelt wird, veredelt der gesamte Chor den Gemeindegesang und damit die Arbeit der evangelischen Johannesgemeinde Tostedt. Aus dieser Kirchengemeinde heraus entstand vor 100 Jahren die Initiative, einen Posaunenverein, wie es damals hieß, ins Leben zu rufen. Denn die "Freiluftmusik" war beliebt. Vor der Gründung hatte sich die Kirchengemeinde bereits Posaunenchöre von auswärts für Missionsfeste eingeladen. Am 28. Januar 1912 trafen sich einige Männer der Kirchengemeinde Tostedt, um einen eigenen Posaunenchor zu gründen.

Doch die beiden Weltkriege zwangen den Chor zur Pause, und es ist besonders einem Mann zu verdanken, dass der Chor 1952 erneut an den Start ging: dem Diakon Willy Löffelbein, der ihn von 1952 bis 1958 leitete. Für den Neuanfang hat der heute 83-Jährige die entscheidenden Impulse gesetzt. "Er war eine starke, überzeugende Persönlichkeit und hat nicht locker gelassen", erzählt Wiebke Corleis. Noch heute schwelgen die Musiker, die seit den 50er-Jahren dem Chor angehören, von Willy Löffelbein.

Wolfgang Sims, 78, aus Tostedt ist einer derjenigen, der das Anfangsfeuer des damaligen Chorleiters zu spüren bekommen hat. Wolfgang Sims kam als Waisenkind aus Schlesien nach Tostedt. Er war in der Jugendarbeit der Kirche aktiv, und Löffelbein warb ihn für den Posaunenchor an. Fast täglich besuchte er Wolfgang Sims, um mit ihm die Musikstücke für eine Vorführung an Heiligabend einzustudieren. Sie hatten nur noch vier Wochen Zeit. Zu wenig, um noch die Noten zu lernen. Also malte Löffelbein jede Posaunenstellung einfach auf. "Es war sagenhaft", sagt Wolfgang Sims. "Und wir schafften es."

Wenn der 78-Jährige an den Tag des Auftritts zurückdenkt, meint er, wieder den Duft des dampfenden Butterkuchens, die damals die Kirchenvorsteherin als Dank für den Auftritt auf die Empore trug, in der Nase zu haben. Für das damalige Waisenkind war der Posaunenchor sein neues Zuhause. Und das ist er noch heute. "Wenn ich nicht hierherkommen kann, fehlt mir was", sagt Wolfgang Sims.

So und ähnlich geht es den anderen Chormitgliedern auch. Erich Senkbeil, 72, aus Tostedt geht beispielsweise nach jeder Probe glücklich nach Hause. Die Mitglieder sprechen von Heimat, von einer Bereicherung und von einem offenen Chor, der Zugezogene und Menschen jeder Gesellschaftsschicht wohlwollend aufnimmt und der auch generationenübergreifend arbeitet.

Scheidet jemand aus, füllen Zugezogene die Lücke wieder auf. Zusammen mit den Jungbläsern, die ab einem Alter von zehn Jahren lernen, ein Blasinstrument zu spielen, zählt der Chor 29 Mitglieder, während sich um Tostedt herum manch andere Posaunenchöre - etwa in Hollenstedt und Meckelfeld - inzwischen in Luft aufgelöst haben.

Was diesen Chören aber zum Teil gefehlt hat, ist eine beständige Leitung. In Tostedt dagegen gibt es mit Wiebke Corleis und ihrem Vorgänger Paul-Gerhard Schneider, 83, seit mehr als 37 Jahren eine Leitung in hauptamtlicher Funktion. Auch an der traditionellen Hauptaufgabe, dem Gottesspiel, hat sich im Wesentlichen nichts geändert. Zwar beherrscht der Chor das freie Spiel und auch Tangostücke. "Aber unsere Hauptaufgabe ist nach wie vor der Verkündungsauftrag", sagt Wiebke Corleis. Vor allem aber hat der Chor mit Wiebke Corleis eine Frau an der Spitze, die als studierte Kirchenmusikerin hohen Wert auf Qualität legt. "Sie probt so lange mit uns, bis wir ein gewisses Klangerlebnis herausgearbeitet haben", sagt Heinz Berndt, 72, aus Rosengarten. Das spornt die Bläser an und stellt sie zufrieden. Dann üben sie gern und immer wieder den Zungenstoß und das Lippenspiel.