Das Fagott ist die Dohle unter den Musikinstrumenten - es ist vom Aussterben bedroht. Ob es hilft, “Instrument des Jahres 2012“ zu sein?

Hamburg. "Das Fagott lebt in Dörfern und Städten ganz nah in unserer Nachbarschaft. Besonders gern spielt es in Konzertsälen und Kirchtürmen. Weil jedoch immer weniger Menschen Fagottisten werden, gerät die intelligente Instrumentenart in Not. Der Landesmusikrat Schleswig-Holstein und sein preußischer Partner, der Landesmusikrat Berlin, möchten das Fagott schützen und haben es daher zum Instrument des Jahres 2012 gewählt." Na gut, das Zitat ist nicht ganz echt. Ersetzt man Fagott durch Dohle und die Landesmusikräte durch den Naturschutzbund Nabu und den bayerischen Landesbund für Vogelschutz, hat man fast schon die Originalbegründung dafür, weshalb die Tierfreunde die Dohle zum "Vogel des Jahres 2012" erklärt haben.

Das Fagott teilt mit dem scheuen, unbeliebten Rabenvogel nicht nur manchen Charakterzug. Es muss auch plötzlich zwölf Monate lang das Licht erhöhter Aufmerksamkeit ertragen. Das in edlen Rottönen schimmernde Holzblasinstrument mit der neusilbernen Mechanik, den Klappen und Löchern soll am Freitag auf einer Pressekonferenz in Berlin der Öffentlichkeit als Nachfolger der Posaune präsentiert werden, die den Titel "Instrument des Jahres 2011" trug. Es ist bereits das fünfte Instrument, das der in Kiel ansässige Landesmusikrat Schleswig-Holstein für förder- beziehungsweise schutzwürdig erklärt.

Alles begann 2008 mit der Klarinette. "Wir wollten Musiker und an Musik Interessierte zusammenbringen, die sonst nicht in einem Boot sitzen", erinnert sich LMR-Geschäftsführer Hartmut Schröder, 39. Die Schirmherrin Sabine Meyer, hochberühmt als Kammermusikerin und Solistin, habe Mitgliedern etwa des Musikzugs der Freiwilligen Feuerwehr Möhnsen (Kreis Herzogtum Lauenburg) oder des Kieler Blasorchesters Concordia damals womöglich einen Motivationskick gegeben, ihr Instrument noch mehr zu schätzen, zu lieben - und die tägliche Fron des Übens auf sich zu nehmen.

Was für die seit 2009 nachfolgenden Instrumente Trompete, Kontrabass und Posaune ebenso sprach wie für die Klarinette, ist ihr genreübergreifender Gebrauch. Sie sind unverzichtbar in der Klassik, schwer entbehrlich im Jazz, beliebt in Spielmannszügen und wohlgelitten selbst in Pop, Funk und Rock.

Gern denkt Hartmut Schröder an einen Schulworkshop im Vorjahr zurück, bei dem Johnny Johnson aus der Band von Jan Delay einen Vormittag lang für den Nachwuchs auf der Posaune alles klarmachte.

Mit Nils Landgren und Stefan Schulz, dem Bassposaunisten der Berliner Philharmoniker, hatten die beiden Landesmusikräte 2011 gleich zwei Schirmherren, die ihr Amt mit Würde und Verve versahen. So lud etwa Nils Landgren im vergangenen Sommer zu einem Mitmachtag für tiefe Blechbläser auf den Lübecker Marktplatz, Stefan Schulz zu einer festlich-fröhlichen "Posaunengala" in Berlin.

Aber hat die Klassifizierung als "Instrument des Jahres" zu höheren Anmeldezahlen für die betreffenden Instrumente an den Jugendmusikschulen geführt und dementsprechend zu Umsatzzuwächsen im Handel? Udo Kahlenberg aus Kiel, in seinem Bläserstudio auf Blechinstrumente spezialisiert, verkaufte im Vorjahr nicht mehr Posaunen, "jedenfalls nicht im messbaren Bereich". Dafür beobachtet er ein generell wachsendes Interesse an Blasinstrumenten - nicht nur bei Kindern und Jugendlichen. "Es gibt eine Tendenz weg vom Computer und vom Keyboard hin zu richtigen Instrumenten", sagt Udo Kahlenberg.

Auch die Vorgängerinstrumente erlebten trotz Ritterschlags nicht gerade einen Boom. Bis heute konnte Torsten Köhler, Geschäftsführer des Holzbläser-Spezialisten ToKo aus Pinneberg, nach dem Jubeljahr der Klarinette 2008 "keine Auswirkung" auf den Klarinettenabsatz registrieren. Allerdings gehen Saxofone bei ihm eh besser. Kontrabass-Schirmherr Jörg Linowitzki dagegen habe bei einem Workshop für Schüler in Schleswig derart Eindruck hinterlassen, dass sich 2010 an der dortigen Kreismusikschule prompt fünf Halbwüchsige zum Basslernen angemeldet hätten, berichtet Schröder. Drei sind auch heute noch dabei.

Das Fagott verdankt seinen Namen nicht etwa seinem manchmal etwas frömmlerisch-verdrucksten Ton - sondern dem Umstand, dass das gebogene Rohr aussieht wie ein Bündel, was auf Italienisch fagotto heißt. Falls es durch den neu erworbenen Ehrentitel einen Aufschwung erleben sollte, wäre das ein doppeltes Wunder. Denn während man sich um den Fortbestand der bisherigen Instrumente des Jahres keine Sorgen zu machen brauchte, ist das Fagott laut Hartmut Schröder "ein gravierendes Mangelinstrument". Es leidet, ähnlich der Dohle, Not.

Keiner will es spielen, keiner will es lernen. Dabei macht das schmucke, mehrfach gekrümmte Rohr von knapp drei Meter Länge ordentlich was her. Es hat exponierte Stellen in Orchesterwerken, etwa zu Beginn von Igor Strawinskys "Sacre du printemps", als Kontrafagott kann es existenziell aus der Tiefe aufschreien wie in Alban Bergs Violinkonzert, in Holzbläserensembles liefert es melodische Bässe und präzisen Rhythmus. Doch die Sololiteratur ist schmal, und jenseits von Orchestergraben, Konzertbühne oder Kirchenmauern steht das Fagott auf verlorenem Posten.

Auch deshalb musste unbedingt Klaus Thunemann Schirmherr des Fagott-Jahres werden. Weit und breit gibt es keinen zweiten Fagottisten, der auch nur annähernd berühmt wäre und der die Kühnheit besäße, auf seinem Instrument auch öffentlich zu improvisieren. Der 1937 in Magdeburg geborene, langjährige Solofagottist des NDR Sinfonieorchesters und höchst erfolgreiche Musikpädagoge hat auf dem Fagott auch ziemlich achtbar Jazz gespielt.

Mit dem Titel "Instrument des Jahres" PR für klingende Mauerblümchen machen: Das müsste doch auch andere Landesmusikräte interessieren. Wolfhagen Sobirey, Präsident des Hamburger Verbands, lobt die Idee - und winkt ab: "Der Landesmusikrat Hamburg schätzt die Instrumentenprojekte des Landesmusikrats Schleswig-Holstein sehr. Aber eine entsprechende Kooperation hat sich bislang noch nicht ergeben."