Hamburger Krebsgesellschaft und Barmer GEK suchen “1000 mutige Männer für Harburg“. Interview mit Proktologe Manfred Giensch.

Harburg. Jahr für Jahr sterben in Deutschland 29 000 Menschen an Darmkrebs. Dabei ist dies eine Krebsart, die sich durch eine effektive Vorsorge erfolgreich behandeln lässt. Doch genau hier liegt das Problem: Zu viele Betroffene ignorieren die Symptome zu lange und handeln zu spät. Hier setzt jenes Präventionsprojekt an, das am Dienstag kommender Woche beginnt. Dann suchen die Hamburger Krebsgesellschaft und die Barmer GEK "1000 mutige Männer für Harburg". Sie sollen sich bis zum 30. März 2013 einer Darmspiegelung unterziehen - und so mit gutem Beispiel vorangehen. Das Abendblatt sprach im Vorfeld der Kampagne mit Dr. med. Manfred Giensch, 70, einem der profiliertesten Proktologen der Stadt, über Polypen, Risikofaktoren und den Goldstandard Koloskopie.

Abendblatt: Herr Dr. Giensch, wie bewerten Sie dieses Projekt?

Manfred Giensch: Ich halte es für äußerst sinnvoll und effektiv. Weil ich weiß, dass die Kampagne in anderen Städten bereits mit großem Erfolg gelaufen ist. Vielfach wurden Vorstufen entdeckt und beseitigt. Dadurch konnte die Anzahl an Darmkrebserkrankungen in den betreffenden Gebieten signifikant gesenkt werden.

Was genau geschieht im Körper eines Betroffenen?

Giensch: In der Schleimhaut des Dickdarms können sich Knoten bilden, besser bekannt als Polypen. Wachsen sie unkontrolliert, können sich daraus Karzinome, also Krebs, entwickeln. Nicht jeder Polyp wird ein Karzinom. Aber jedes Karzinom war mal ein Polyp.

Welches sind die häufigsten Symptome?

Giensch: Vor allem Blut beim Stuhlgang. Das kann natürlich auch mal von Hämorrhoiden stammen, die jeder Mensch in sich trägt. Auch häufiger Wechsel von Verstopfung und Durchfall kann ein Alarmsignal sein. Bei unserer Aktion "1000 mutige Männer für Harburg" wollen wir jedoch diejenigen untersuchen, die noch keine Symptome haben, weil im Frühstadium eines Karzinoms oder auch bei Polypen im Allgemeinen noch keine spürbaren Symptome vorhanden sind.

Wer ist besonders gefährdet?

Giensch: Vor allem Personen, die familiär vorbelastet sind. Sobald in der Familie Fälle von Darmkrebserkrankungen bekannt sind, sollte man sich regelmäßig untersuchen lassen, am besten im Drei-Jahres-Rhythmus. War ein Elternteil erkrankt, so ist das Erkrankungsrisiko der Kinder zwei- bis dreifach erhöht. Ansonsten zählen zur allgemeinen Risikogruppe vor allem die 50- bis 70-Jährigen, weil sich in diesem Alter das körpereigene Regulationsprinzip für einen Tumor verändert. Negative Einflüsse sind etwa chronische Erkrankungen. So haben Patienten mit einem Diabetes mellitus, also der Blutzuckerkrankheit, ein dreifach erhöhtes Risiko für Dickdarmkrebs.

Gibt es eindeutig negativ beeinflussende Faktoren?

Giensch: Risikosteigernd ist zum Beispiel dauerhaftes Übergewicht durch Bewegungsmangel oder falsche Ernährung. Bei den Übergewichtigen ist das Risiko, an Dickdarmkrebs zu erkranken, deutlich höher als bei Normalgewichtigen. Natürlich zählt auch das Rauchen dazu. Schon deshalb, weil es die Durchblutung aller Organe spürbar einschränkt.

Auf welche Weise kann ich beim Essen das Darmkrebsrisiko reduzieren?

Giensch: Keine Frage, eine einseitige Ernährung leistet Darmkrebserkrankungen Vorschub. Vor allem übermäßiger Fleischgenuss ist problematisch. Wer hingegen viel Obst und Gemüse sowie Ballaststoffe zu sich nimmt, ist wesentlich besser gewappnet.

Wie kann ich mir Gewissheit verschaffen, ob mein Darm tatsächlich gesund ist?

Giensch: Die Koloskopie, also eine Darmspiegelung, gilt nach wie vor als "Goldstandard". Sie dauert 15 bis 20 Minuten und ist praktisch schmerzfrei, weil der Patient während der Untersuchung betäubt wird. Mittels eines Endoskops kann der untersuchende Arzt mögliche Darmwanderkrankungen identifizieren und sofort aktiv werden, indem er die Polypen abträgt oder Gewebeproben entnimmt. Besser, effektiver und schneller geht es nicht.

Warum ist die Hemmschwelle offenbar dennoch so groß?

Giensch: Ich führe das auf die Horrorgeschichten über die Vorbereitungsphase zurück. Damit der Darm vor der Untersuchung möglichst optimal gereinigt wird, muss der Patient viel trinken. Konkret sind das vier bis sechs Liter innerhalb von 36 Stunden. In der Vergangenheit waren die entsprechenden Abführpräparate nicht gerade schmackhaft. Das hat sich inzwischen aber deutlich verbessert.

Gibt es Alternativen zur Koloskopie?

Giensch: Mit der sogenannten virtuellen Spiegelung wurde in den vergangenen Jahren viel herumexperimentiert. Dabei handelt es sich um eine Computertomografie, die allerdings mit einer hohen, völlig unnötigen Strahlenbelastung einhergeht. Vielleicht hat sie sich deshalb nie wirklich durchsetzen können.

Und wie sieht es mit der Kostenübernahme durch die Krankenkassen aus?

Giensch: Einen verbürgten Anspruch auf eine Darmspiegelung gibt es in der gesetzlichen Krankenkasse ab einem Alter von 55 Jahren. Eine Koloskopie kann aber auch wesentlich früher beantragt werden, wenn der behandelnde Arzt eine klare Indikation gegeben sieht. Mir ist kein Fall bekannt, in dem eine Kasse die Kostenübernahme verweigert hätte. Weil präventive Maßnahmen in der Regel deutlich preiswerter sind als aufwendige, langwierige Therapien eines zu spät entdeckten Dickdarmkrebses.