Zivi-Notstand: In Hamburg gilt der Bundesfreiwilligendienst als Erfolg. Auf dem Land klagen die Einrichtungen dagegen über fehlende Bewerber.

Stade. Elfer raus! Bei dem launigen Kartenspiel ist Torsten Behrens in seinem Element. Sorgfältig legt der 31-Jährige, den ein Autounfall vor 13 Jahren zu einem schwer Körperbehinderten gemacht hat, eine Karte nach der anderen auf der Leiste vor ihm ab und wetteifert mit Heinrich Michel, 21. Michel ist der Bundesfreiwillige bei den Schwinge Werkstätten in Stade, ein "Top-Mann" wie sein Chef, Dirk Schweer, sagt. Einer, den er mit den behinderten Menschen alleine lassen kann und der auch für den Spaß in der Tagesfördergruppe sorgt, indem er etwa Karten spielt.

"Spaß zu haben ist wichtig für die Behinderten", sagt Heilerzieher Schweer, 49. Doch wie es jetzt aussieht, hat der Spaß bald ein Ende. Denn Heinrich Michel aus Stade schließt noch im September seinen Bundesfreiwilligendienst ab, da er einen Studienplatz ergattert hat. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Es gibt bislang keine Bewerber. Der Bundesfreiwilligendienst, der mit dem Wegfall der Wehrpflicht vor gut einem Jahr den Zivildienst abgelöst hat, hat Lücken bei den Schwinge Werkstätten hinterlassen. Als es den Zivildienst noch gab, hatten die Schwinge Werkstätten 35 Stellen für die Hilfskräfte. Für die Bundesfreiwilligen wurden den Werkstätten lediglich 15 Stellen bewilligt und davon sind derzeit lediglich elf besetzt. Ein Grund für Ulrich Tipke, harsche Kritik am Freiwilligendienst zu üben: "Der Wegfall der Wehrpflicht hat zu einem Kahlschlag bei den Hilfskräften geführt", sagt der Leiter der Schwinge Werkstätten.

Die Zivis hatten beim An- und Ausziehen geholfen, beim Füttern und beim Toilettengang. Sie waren da, wenn die hauptamtlichen Kräfte zur Teambesprechung oder ganz einfach mal auf Klo mussten. Sie hatten bei Ausflügen unterstützt, den Fahrdienst für die einzelnen Behinderten übernommen, beispielsweise zu den Sportangeboten des Deutschen Roten Kreuzes (DRK).

Mit 15 Bufdi-Stellen können die Schwinge-Werkstätten dieses Rundum-sorglos-Paket nicht mehr bieten. Die Einrichtung musste insbesondere die Fahrdienste und Ausflüge drastisch herunterfahren. "Es ist einfach keiner mehr da, der hilft und die Behinderten beaufsichtigt", sagt Ulrich Tipke. "Wir müssen ständig Prioritäten setzen. In Zeiten des Zivildienstes war das gar nicht nötig." Aus seiner Sicht wurde mit der Einführung des Bundesfreiwilligendienstes eine Chance vertan, eine Dienstleistungspflicht für Männer und Frauen einzuführen.

Anne Brandt, Sprecherin bei den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen, bestätigt, dass die Besetzung der Stellen in ländlichen Regionen schwierig sei. Die Arbeiterwohlfahrt beispielsweise habe in den Landkreisen im südlichen Speckgürtel von Hamburg kaum Interessenten gefunden. Zurzeit sind bei den Verbänden der Wohlfahrtspflege, also bei der Caritas, dem Deutschen Roten Kreuz, der Diakonie, dem Paritätischen und der Arbeiterwohlfahrt landesweit rund 1400 Bufdis im Dienst. "Zuvor hatten wir das dreifache an Zivildienstplätzen", sagt Brandt.

Das zuständige Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (Bafza) räumt zwar ein, dass die Zahl der Freiwilligen nicht an die Durchschnittszahlen des früheren Pflichtdienstes heranreicht. "Allerdings engagieren sich die Freiwilligen in der Regel zwölf Monate und damit deutlich länger", so Peter Schloßmacher, Sprecher des Bafza. Für die Einsatzstellen bedeute dies höhere Planungssicherheit, da der Zivildienst zuletzt nur sechs Monate gedauert habe.

Das sieht Ulrich Beecken, Abteilungsleiter im Rettungsdienst des DRK Harburg Land, hingegen völlig anders. Er spricht von Planungsunsicherheit. "Der Zivildienst war Pflicht. Da hatten wir unsere Hand drauf. Ein Freiwilliger hingegen kann von heute auf morgen gehen", sagt er. Und in so einem Fall sei die fast viermonatige und 3000 Euro teure Ausbildung zum Rettungssanitäter verschenktes Geld.

Beecken ist ein gebranntes Kind, da ihm vor drei Jahren drei junge Menschen im Freiwilligen Sozialen Jahr abgesprungen sind, weil sie in letzter Minute doch noch einen Studienplatz bekommen hatten. Das war schmerzhaft, weil die Freiwilligen auf dem Rettungswagen nicht als Mitläufer, sondern als gleichwertige Mitarbeiter angesehen werden. Und so werden sie auch im Rettungsdienst eingeplant.

Jetzt verzichtet Beecken lieber ganz auf freiwillige Mitarbeiter und bildet lieber junge Menschen zum Rettungsassistenten aus. Ein bisschen trauert er den Zeiten des Zivildienstes hinterher. Denn vielen jungen Männern hat der Leiter des Rettungsdienstes in Harburg den Weg ins Medizinstudium geebnet. Und die kehrten später nach abgeschlossenem Studium nicht selten als Notarzt in den Harburger Rettungsdienst zurück. "Das waren gute Leute, die wir da hatten.", sagt Beecken. "Es hat richtig Spaß gemacht."

Auch Uwe Lütjen, stellvertretender Geschäftsführer vom DRK Kreisverband Stade, der im gesamten Kreisverband einen Bedarf an rund 130 Hilfskräften hat und seit dem Ende des Zivildienstes nur die Hälfte davon als Bufdis und FSJler beschäftigen kann, hat die Zahl der Heilerzieher in Ausbildung drastisch erhöht: von sechs auf 19 Auszubildende. "Die sind allerdings längst nicht so einsetzbar wie die Zivis es waren", sagt er. Aus einem einfachen Grund: Sie sind nur drei Tage im Betrieb. Deshalb rügt auch Lütjen das neue System: Die zu betreuenden Menschen würden zwar alle satt und sauber, "aber das, was das Leben lebenswerter macht, ist für uns jetzt problematisch zu erfüllen."