Reinhold Nibbe hat seine krebskranke Frau Heinke beim Sterben begleitet. Ohne das Buchholzer Hospiz Nordheide hätte er dazu nicht die Kraft gehabt

Buchholz. Als Frauchen starb, ging Dexter zu ihrem Bett und leckte ihr traurig die Hand. Monatelang hatte der zwölfjährige Labradorrüde sie Tag für Tag gemeinsam mit seinem Herrchen besucht. Der Hund hatte vor ihrer Zimmertür gelegen, war mit den beiden in den Wintergarten gegangen und hatte zugeschaut, wie sie gemeinsam Essen kochten. Das Hospiz Nordheide in Buchholz war für die drei fast schon zu einer neuen Heimat geworden. Und als die Zeit dort zu Ende ging, spürte Dexter die Trauer über den Tod seines Frauchens wie ein Mensch.

Heinke Nibbe ist am 30. Mai dieses Jahres gestorben. Weder eine Operation noch Bestrahlung und Chemotherapie konnten den Tumor in ihrem Kopf besiegen. "Gekämpft hast du allein, gelitten haben wir zusammen, verloren haben wir alle", hat Reinhold Nibbe auf die Todesanzeige seiner Frau schreiben lassen. Die Worte verdeutlichen, wie Angehörige und Freunde die Zeit zwischen Hoffen und Bangen empfunden haben, die dann doch mit der Erkenntnis endete, dass nichts ewig währt.

+++ Einsatz verdient Anerkennung +++

Ohne das Hospiz, das sagt der 70-Jährige heute, wäre die Zeit um einiges schlimmer gewesen. "Zu Hause hätte ich das nicht geschafft." Er hatte es anfangs versucht, vor über einem Jahr, im April 2011, als seine Frau nach der plötzlichen Diagnose Gehirntumor und der Operation im Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide wieder in ihr Haus nach Cranz durfte. Sieben Monate lang pflegte er sie dort. "Dann ging es einfach nicht mehr und wir haben uns gesagt, entweder geht es jetzt in ein Hospiz oder Pflegeheim", sagt er.

Sie entschieden sich für das Hospiz in Buchholz, das zwölf Plätze für Menschen mit schweren Erkrankungen anbietet, bei denen jede Heilung ausgeschlossen ist. Auch bei Heinke Nibbe war die Lebenserwartung nur begrenzt, als sie am 13. Dezember 2011 in das Zimmer mit der Nummer sieben zog. Trotzdem konnte sie an Silvester noch mit Sekt anstoßen und Berliner essen, sie konnte sich auf Pizza oder Döner freuen, die ihr Mann ihr regelmäßig mitbrachte, wenn sie einfach mal etwas anderes als das sonst Übliche haben wollte. "Wir haben auch häufig selbst gekocht", erzählt Reinhold Nibbe, der sogar extra einen Terminkalender für Besucher führte, damit Verwandte und Freunde nicht alle auf einmal zu seiner Heinke gingen, sondern sich abwechselten.

Sie sagte oft, dass sie so gerne wieder nach Hause wolle, nach Cranz, an den Estedeich. Ihr Mann versuchte, ihr so viel Heimatgefühl wie möglich ins Hospiz zu bringen. Zusammen mit Dexter blieb er täglich von nachmittags, 14 Uhr, bis zum frühen Abend nach dem Essen bei ihr. "Ich habe ihr aus der Zeitung vorgelesen und mit ihr über alles Mögliche gesprochen." Über die Arbeit in der kleinen Reederei zum Beispiel, die er gemeinsam mit Sohn Frank führte. Manchmal sahen sie auch einfach nur gemeinsam fern.

"Für viele unserer Gäste steht der Wunsch, wieder nach Hause zu können, stellvertretend für die Sehnsucht nach dem normalen Leben ohne Krankheit", sagt Mareike Fuchs, die als Sozialpädagogin im Hospiz arbeitet. Diese Hoffnung wolle das Hospiz den Gästen - so nennt das Haus seine Bewohner - auch nicht nehmen. Reinhold Nibbe hat ebenfalls gehofft, dass es seiner Frau irgendwann doch wieder besser geht. "Vielleicht wird es ja wieder" - das war der Satz, der ihm ständig durch den Kopf ging. In den knapp sechs Monaten, die seine Frau im Buchholzer Hospiz war, hat er gute Tage erlebt, an denen Hoffnung aufkeimte, und schlechte, an denen sie schlimme Krämpfe hatte und er nicht mehr an ein glückliches Ende glauben mochte. Alles lag ganz dicht beieinander.

Diese Anspannung war nicht immer leicht zu ertragen. "Ich musste manchmal einfach etwas Abstand halten", sagt er. Obwohl die tägliche Fahrt von Cranz nach Buchholz ziemlich anstrengend für ihn war, nutze er nur manchmal die Möglichkeit, im Hospiz zu übernachten. Er fuhr abends lieber nach Hause, um Kraft für den nächsten Tag zu tanken. Für die nächste Fahrt nach Buchholz, für seine Frau.

+++ Gäste bleiben im Schnitt drei bis vier Wochen +++

Auch nach ihrem Tod ist Reinhold Nibbe mehrere Male wieder ins Hospiz gekommen. Er wollte an dem Ort sein, an dem er die letzten Stunden mit seiner Heinke verbracht hatte. Und er wollte mit den Leuten sprechen, die sie auf ihrem letzten Weg begleitet hatten. "Wenn ich hierher unterwegs bin, kommt alles wieder hoch", sagt er. Dennoch schaut er noch einmal in das Zimmer Nummer sieben hinein, in dem seine Frau gelebt hatte. Das Bild an der Wand mit dem roten Herz, ja, das erkennt er wieder. Aber das Bett und das Nachtschränkchen sind neu.

"Sie war einfach nicht mehr so wie früher", sagt er über die letzten Wochen und Monate, die er gemeinsam mit seiner Frau erlebt hatte. Deshalb sei alles gut so, wie es war. Über Hospize habe er vorher wenig gewusst, aber jetzt wisse er: Hier kann man Hilfe bekommen, wenn man selbst unsicher ist. Hier wird man aufgenommen wie in einer Familie. Wenn er höre, dass manche Menschen aus anderen Häusern Ärger mit ihren Krankenkassen haben und aus dem Hospiz herausmüssen, weil es ihnen angeblich zu gut geht, kann er das nicht verstehen. "Ich bin gesetzlich versichert und hatte da nie irgendein Problem", sagt er.

Dennoch bestätigt Peter Johannsen, Geschäftsführer des Hospizes, dass es auch bei ihnen schon Fälle gegeben habe, bei denen die Gäste überraschend gesunder wurden und wieder gehen mussten - oder durften. Die Finanzierung des Hospizaufenthalts erfolgt größtenteils über die Kranken- und Pflegekasse sowie den zehnprozentigen Eigenanteil des Hospizes. "Wir brauchen jedes Jahr 200 000 Euro an Spenden, um den Betrieb aufrechtzuerhalten", sagt er. Reinhold Nibbe hat deshalb in der Traueranzeige statt Blumen um eine Spende für das Hospiz Nordheide gebeten. 5555 Euro sind zusammengekommen, die ein Dankeschön für die Hilfe sein sollen, die er erfahren hat.

Spätestens im Januar wird er wieder nach Buchholz fahren, um zu einem Treffen zu gehen, das das Hospiz alle halbe Jahre ausrichtet. Es ist eine Einladung an alle Angehörigen von Verstorbenen, ein Blatt an dem Baum zu bemalen, der im Flur an die Wand gepinselt ist. "Heinke" wird Reinhold Nibbe vielleicht auf sein Blatt schreiben.

Vielleicht wird er noch ihr Todesdatum hinzufügen, vielleicht auch etwas anderes. Es wird dann neben den anderen Blättern hängen und nur noch eines von vielen anderen Blättern sein. Für Reinhold Nibbe wird es aber immer etwas ganz Besonderes bleiben. Ein Blatt, das für seine Heinke steht.