Die Nager werden bei Kindern und Jugendlichen als Haustiere immer beliebter, weil sie von sich aus Nähe suchen und hohe Intelligenz zeigen.

Harburg. "Mama, ich will ein Meerschweinchen." Dieser Satz wird wenige Eltern überraschen, schließlich sind Kaninchen, Hamster oder eben Meerschweinchen klassische Haustiere für Kinder. Ungewöhnlicher war bislang der Wunsch nach einer Ratte. Allerdings steigt deren Beliebtheit in Deutschland. Laut einer Studie des Zentralverbandes Zoologischer Fachbetriebe werden in deutschen Haushalten durchschnittlich 2,2 Ratten gehalten. Auch in der Metropolregion geht der Trend zur Ratte, wie eine Abendblatt-Umfrage zeigt.

Seit etwa zwanzig Jahren werden so genannte Farbratten speziell als Haustiere gezüchtet, trotz anfänglicher Skepsis vieler Zoohandlungen. "Mein Chef wollte lange keine Ratten verkaufen, das kam gar nicht in Frage", sagt Claudia Lange, Mitarbeiterin der Zoohandlung Zoolasa in den Harburg Arcaden. Mittlerweile hat sich das geändert. Verstärktes Interesse an Ratten kann auch die Zoohandlung Futterhaus Harburg bestätigen. Vor allem Jugendliche ab der 5. oder 6. Klasse seien häufig Kunden, sagt Mitarbeiterin Cornelia Goede. "Mit der Zeit weicht die Skepsis vieler Kunden ihrer Neugier."

Die hohe Intelligenz der Tiere und der interaktive Umgang mit ihrem Halter seien besonders reizvoll. "Ein Meerschweinchen lässt sich füttern, säubern und streicheln, aber es würde einem nie von selbst auf den Schoß klettern." Ratten hingegen suchen durchaus Nähe und Kontakt zum Menschen. Trotzdem sehen sie vor allem Erwachsene vielfach noch nicht als geeignetes Haustier.

Woher die eigentlich längst überholten Vorurteile gegen diese Tiere in den Köpfen vieler Menschen kommen, ist offensichtlich. Schließlich war das Nagetier im Mittelalter das Symbol für Krankheit und Tod, der Überträger der Pest und wurde als böses Wesen abgetan.

Erst in den 80er-Jahren, als die entstehende Punk-Szene sie für sich entdeckte, begannen Mensch und Ratte sich einander anzunähern. Eine Ratte herumzutragen, schockte die Mitmenschen. Das war reizvoll für viele, die ihre Individualität, ihre Anti-Haltung gegenüber einer konservativen Gesellschaft zur Schau stellen wollten.

Dabei sind Ratten tatsächlich die zahmsten Kleinnager und dazu sehr sauber. "Einmal pro Woche wird der Käfig gesäubert", so Rattenhalterin Sabine Nielsen, 61, aus Harburg. "Anders als Meerschweinchen oder Hamster sind Ratten so reinlich, dass sie kaum einmal stinken." Schon viele Jahre begleiten sie die Tiere, meist in Gruppen von zwei bis drei Individuen. Was sie besonders an ihnen schätzt, ist ihre Zutraulichkeit und die enge Bindung, die man zu ihnen aufbauen kann. Obwohl die Sozialpädagogin tagsüber arbeitet, bleibt abends genug Zeit, sich mit ihren kleinen Mitbewohnern zu beschäftigen und ihnen den nötigen Auslauf und viel Abwechslung zu bieten.

+++ Süß, sauber und verspielt: Die Ratte als Hundeersatz +++

Empfindlich sind die durchschnittlich zwei bis vier Jahre lebenden Nager nicht. "Manchmal sind sie auch schon auf meiner Schulter mit ins Kaufhaus gekommen, versteckt natürlich. Sie sind neugierig und wollen immer Neues erleben." Und als ihr Sohn eine Ratte mit in die Schule brachte, waren zwar die Lehrer verärgert, die Mitschüler aber fanden es großartig.

"Allgemein eignen sich Ratten für Kinder ab dem Einschulungsalter, wenn die Eltern ein Auge darauf haben", sagt Claudia Lange. "Für Berufstätige oder Studenten sind sie ideal, denn man kann sie problemlos einige Stunden unter sich lassen und trotzdem dressieren und an sich binden." Das Wichtigste sei dabei nur, mindestens ein Paar, also zwei Ratten, bestenfalls aber ein Rudel ab drei Tieren zu halten, denn allein lebende Ratten neigen zu Depressionen und seien anfälliger für Krankheiten.

"Meerschweinchen und Kaninchen sind als Haustiere für Kinder eigentlich völlig ungeeignet, aber das interessiert die Wenigsten", meint Christine Brandt, Mitglied des Vereins der Rattenliebhaber und -halter in Deutschland. "Vor allem der lange Schwanz, der den Ratten zum Klettern und zur Wärmeregulierung dient, schreckt viele ab."

Norbert Holthenrich, Präsident des Zentralverbandes Zoologischer Fachbetriebe Deutschlands, beklagt in diesem Zusammenhang, dass in Zoohandlungen noch zu selten auf die zahlreichen Vorzüge von Ratten hingewiesen werde. Laut Claudia Lange sind Rattenhalter allerdings auch anspruchsvolle, oft komplizierte Kunden. "Manche halten sich für etwas ganz Besonderes, was ja auch in Ordnung ist", sagt sie. "Aber viele schießen völlig über das Ziel hinaus und steigern sich zu sehr in Themen rund um ihre Lieblinge hinein. Es sollte alles im Rahmen bleiben, schließlich handelt es sich immer noch um Haustiere."