40 Anwohner der Vogteistraße sind es leid, dass Lastwagen ihre Häuser passieren. Die geplanten Maßnahmen greifen nicht, sagen sie.

Harburg. Stuttgart 21 ist überall in Deutschland, auch im Hamburger Süden, in Harburg. An diesem Nachmittag treffen sich 40 Harburger und ein paar Politiker in der Vogteistraße 6, im Innenhof eines properen Gelbklinkerbaus aus den 70er Jahren. Die Luft ist heiß, die Nerven werden gleich blank liegen. Es geht um eine Straße, um ihre Straße. Es geht um Lebensqualität.

Eingeladen hat die Bürgerinitiative Vogteistraße/Jägerstraße. Sprecherin ist Isabel Wiest, 41, sie ist Juristin und Immobilienmaklerin. Sie hat sich das Haus, in dessen Einfahrt die Nachbarn und die Politiker gerade stehen, gekauft, als es noch ruhiger war in ihrer Vogteistraße. An diesem Nachmittag fährt etwa alle fünf Minuten ein Lkw vorbei. Pkws passieren das Haus die ganze Zeit.

Seit Oktober 2010 gibt es eine neue Straßenbrücke in Meckelfeld über die Bahngleise. Und seitdem donnere der Verkehr an ihren Häusern vorbei, sagen die Anwohner der Vogteistraße und der Jägerstraße - vor allem der Schwerlastverkehr: "1650 schwere Lkw, Transporter und Busse am Tag", erläutert die Sprecherin des Protests. Und dagegen agieren die Betroffenen an diesem Tag mal wieder. 1200 Unterschriften haben sie gesammelt. "Keine Transit-Trasse in Zone 30", steht auf einem Plakat.

Eigentlich ist die Sache schon durch. Die Bewohner sind genervt. Die Politik hat - nach vielen Jahren - reagiert. Nun soll Geld fließen in die Straße, die eine Anwohnerstraße ist, wo die Autos nur Tempo 30 fahren dürfen.

250 000 Euro wird der Bezirk Harburg in die Straße stecken, damit es den Anwohnern besser geht. "Spätestens bis Mitte Oktober", sagt der Leiter des Harburger Tiefbauamtes, Jörg Penner, werden "provisorische Maßnahmen" die Vogteistraße beruhigen.

Es kommen Straßeneingänge, Sprunginseln und neue Bushaltestellen; die Knotenpunkte sollen umgebaut werden. Danach sollen die Bürger "beteiligt" werden. Sie sollen Vorschläge machen können, wenn ihnen etwas nicht gefällt und dürfen "bessere Lösungen" entwickeln. "Die verkehrsberuhigenden Auswirkungen treten schon mit den Provisorien ein", verspricht Jörg Penner. Vor und nach Errichtung der Provisorien werden professionelle Zähler den Verkehr messen.

Aber der Verkehr ist stur. Er bahnt sich seinen Weg von Meckelfeld bis Harburg und dann weiter auf die Wilhelmsburger Reichsstraße (B4/75). Anna Hoschützky, 80, aus der Jägerstraße kennt das Problem. Sie hat zwölf Jahre lang für Tempo 30 in ihrem Wohngebiet gefochten. Sie sagt dem SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Frank Wiesner: "Kacheln sind in Häusern von der Wand gesprungen. Da sind Häuser von 1895. Die Lastwagen kommen aus der ganzen Welt." Frank Wiesner kennt Harburg wie seine Westentasche. Frau Hoschützky gestikuliert wild mit den Armen, bedrängt ihn: "Hören Sie mir zu, verstehen sie uns!" Frank Wiesner sagt: "Wenn ich immer wieder bei Adam und Eva anfange, frage ich mich, ob sie uns als Politiker vorführen wollen."

Die Stimmung ist jetzt aufgeladen im Innenhof der Juristin und Immobilienmaklerin. Anfangs waren die Politiker noch Helden. Sie verkündeten die frohe Botschaft: Es wird besser bei euch! Aber die betroffenen Bürger finden, dass das Maß voll sei. Fast niemand probiert den Butterkuchen, auch das Mineralwasser bleibt fast unberührt.

Je länger das Treffen dauert, umso aufgeregter sind die Anwohner. Dem Genossen Frank Wiesner läuft der Schweiß. Er versucht zu beschwichtigen. Ja, er habe schon andere Stuttgart-21-Fälle erlebt in Harburg. Massiver Bürgerprotest sei da gewesen, als in Neuland der Deich zurückverlegt werden sollte. Als die Asylbewerber- und Flüchtlingsunterkunft an die Winsener Straße kam. Als am Rönneburger Kirchweg ein Containerdorf für Aussiedler errichtet wurde. Der Kasus knacktus heute und hier, sagt Frank Wiesner, sei die Eisenbahnbrücke in Meckelfeld. Als sie defekt war, durften maximal 16-Tonner passieren. Seit Oktober 2010 ist sie heil. Jetzt können auch 40-Tonner die Brücke überqueren und von Niedersachsen aus durch die Vogtei- und Jägerstraße nach Harburg fahren.

Das Resümee der "Ortsbegehung" ist ernüchternd. Der Bezirk Harburg wird 250 000 Euro in die Straßen investieren. Aber der Verkehr wird weiter durch die Jägerstraße fließen. Der sozialdemokratische Innensenator war gegen eine Gewichtsbeschränkung für Lkw in der Jäger- und Vogteistraße. Die Lkw kommen aus Norddeutschland, ja, aus Europa und aus dem Gewerbegebiet Meckelfeld und fahren durch Straßen, in denen sie keine Maut zahlen müssen. Es bleibt die Frage, was "provisorische Maßnahmen" bringen, wenn seit Jahren kein Gesamtverkehrskonzept für den Hamburger Süden vorliegt?

"Die Meckelfelder", sagt eine Harburger Anwohnerin, "müssten zur Auffahrt Maschen und dann weiter nach Hamburg fahren. Dann fahren sie nicht durch Harburg, und wir haben unsere Ruhe. Aber das sagt denen leider kein Politiker aus Niedersachsen."

Der Leiter des Tiefbauamtes, Jörg Penner, ist Realist und ehrlich: "Eine Straße mit Durchgangsverkehr führt zu Konflikten. Die Probleme können nicht zu 100 Prozent beseitigt werden. Aber wir werden sie mildern."

So ist Stuttgart auch in Harburg. Natürlich auch in Wilhelmsburg, wo manche Anwohner gegen eine Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße kämpfen, die ganz dicht an ihren Häusern vorbeiführen soll. Und auch im Landkreis Harburg, wo Gasleitungen verlegt und Gewerbegebiete gebaut werden. Der Wut gegen Projekte macht nicht an der Stadtgrenze halt.

Für den Wilhelmsburger Bürgerschaftsabgeordnete Metin Hakverdi (SPD), der dem Urgestein Hans-Ulrich Klose im Deutschen Bundestag nachfolgen will und auch nach Harburg kam, ergibt dieser Tag des Protests folgendes Resümee: "Man sagt oft, die Emotionen bei Protesten seien immer die gleichen. Aber das stimmt nicht. Die Menschen sind immer unterschiedlich betroffen - auch hier in Harburg."