Häftlinge der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand trainieren den Umgang mit Aggressionen und nehmen an einem speziellen Bewegungstraining teil

Hahnöfersand. Sie sitzen wegen Diebstahl, Körperverletzung, Raub und Autoschieberei. Zum Teil haben sie so schwere Dinger gedreht, dass sie zur mehrjährigen Haftstrafe verdonnert wurden. Doch jetzt zeigen sich die drei Häftlinge der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand von einer ganz anderen Seite: Sie tanzen.

Trainer Heiko Büter, 41, gibt die Bewegungen vor, die stark ans Ballett erinnern - bis in die Zehenspitzen gestreckte Beine, schwingende Oberkörper, langsame Drehungen, kreisende Arme. Ihre Nachnamen und ihre Gesichter wollen die Häftlinge nicht in der Zeitung veröffentlicht sehen - wegen ihrer dunklen Vergangenheit.

Nichts erinnert in der Sporthalle an einen Knast. Im Hintergrund erklingt ernsthafte, melodische Musik vom Hip-Hop-Musiker "Nemesis", mal bassintensiv, mal nicht. Zu diesen eher ruhigen Klängen tanzen die Gefangenen in einer ganz normalen Halle mit Basketballkörben, Klettergerüsten und Matten an der Wand. Selbst Gefängnisaufseher bleiben der Turnhalle fern. Stattdessen begleitet Julia Haas, 31, eine der Leiterinnen der Sozialtherapieabteilung, die Inhaftierten in die Sporthalle und tanzt mit. Ballett und Jazz sind ihre Hobbys.

Bevor es zur Turnhalle geht, versammeln sich die jungen Männer in der Halle der geschlossenen Anstalt. Der Umgang ist locker, die Stimmung gelöst. "Gangster Heiko", rufen die drei Männer, als der Tanztrainer vom Bildungsunternehmen Grone Netzwerk mit schwarzer Sonnenbrille auf der Nase das Gebäude betritt.

Kurze Begrüßung, Händeschütteln, Schulterklopfen, auf geht's zur Sporthalle. Zwei verriegelte Türen trennen die Insassen vom Gefängnisgelände. Die Therapeutin Haas hat die Schlüssel und öffnet die Türen. Die Gruppe schlendert an der geschlossenen Anstalt vorbei. Hände von Jugendlichen, deren Gesichter verborgen bleiben, baumeln zwischen den Gitterstäben. "Hey, Mister T", ruft einer und meint damit den schwarzhäutigen Thomas. Der grüsst lässig zurück.

Auf dem Weg zur Halle tauschen sich Thomas, 21, Phil, 19, und Marcin, 20, über das gestrige Fernsehprogramm aus. Ein Streifen mit Hip-Hop- und Breakdance-Einlagen lief am Vorabend. "Coole, schnelle Nummern waren das und nicht so n' Zeitlupentanz", sagt Thomas. "Wir machen aber keinen Hip-Hop-Tanz", antwortet der Tanztrainer gedehnt.

Dass die Bewegungen zu langsam, manchmal gar schwul aussähen und die Musik langweile, hört Büter von seinen Schützlingen immer wieder. Davon lässt er sich aber nicht beeindrucken. Der Trainer studiert mit den Häftlingen bewusst langsame, weiche und fließende Bewegungen ein. "Dadurch entsteht ein ganz anderes Körperbewusstsein", sagt Büter.

Weich statt hart, den Körper beherrschen statt Kräfte zu messen, kurz: Tanz statt Aggression. Das ist die Formel, mit der aus den Häftlingen bessere Menschen gemacht werden sollen. Ob das gelingt, vermag Michael Völkel, der seit 2009 Leiter der Anstalt ist, nicht so recht zu sagen. Nur so viel ist klar: Zwei junge Häftlinge, die im vergangenen Jahr beim Hamburger Tanzprojekt "making a move", das in Aufführungen auf der Kampnagel-Bühne in Hamburg gipfelte, mitgemacht haben, wurden in der Anstalt nie wieder gesehen. "Toi, toi, toi", sagt Ulrich Donner, 57, Leiter der Abteilung Berufliche Bildung und Arbeit.

"Making a move" wurde 2007 vom Grone Netzwerk initiiert. Ziel des Projekts ist es, schwer vermittelbaren Jugendlichen und gering qualifizierten Arbeitssuchenden bessere Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen. Beim Tanzen in der Gruppe sollen die Teilnehmer ihre Disziplin und Teamfähigkeit verbessern und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gewinnen.

Donner hatte die Häftlinge im vergangenen Jahr regelmäßig zu ihren Trainingsstunden in einer Hamburger Tanzschule begleitet. Das Projekt, das der britische renommierte Künstler Royston Maldoom leitete, war für die Gefangenen in jeder Hinsicht neu - nicht nur, weil sie jetzt tanzten. "Sie wurden draußen akzeptiert, also von solchen Leuten, die sie sonst abfällig behandeln", sagt Donner. Nach den Trainings fuhr der Beamte völlig ausgepowerte, aber zufriedene Jugendliche zurück in den Knast.

Diese wertvolle Erfahrung wollte Donner hinüberretten in den Alltag im Gefängnis. Deshalb bot die Anstalt den Häftlingen im vergangenen Jahr zum ersten Mal Tanzen als Wahlpflichtfach an. Es sollte ein Gegenpol sein zu dem sonst so gefragten "dumpfen Krafttraining" wie Donner sagt. "Bei den Jungs gilt immer: powern, powern, powern. Das sind richtige Kraftpakete."

Anders als das Stemmen von Gewichten ist das Tanzen allemal. So anders, dass sich die Gefangenen nicht von der Angst befreien können, für homosexuell gehalten zu werden. "Das sieht doch schwul aus", sagt Marcin, als er die Beine nach hinten, dann nach links und rechts schwingen, sich drehen soll, daraufhin mit den Beinen einknicken und am Ende mit den Hüften wackeln soll.

Dennoch: Für die Häftlinge ist der Tanzunterricht eine willkommene Abwechslung vom Knastalltag. "Es lenkt ab und beruhigt", sagt Marcin. Auch Thomas und Phil freuen sich, etwas Neues zu lernen. "Zwar wäre etwas mehr Geschwindigkeit schön. Die Bewegung in Zeitlupe ist nicht so meine Sache", sagt Thomas, der auch vor seiner Inhaftierung schon getanzt hat. "Aber ich lerne neue Schritte." Für Phil hingegen kommt es nicht in Frage, "draußen" weiterzutanzen. "Aber es ist schön, so eine Erfahrung zu machen."

Um dem Dasein hinter Gittern für ein paar Stunden zu entkommen, machen die Männer aber auch nicht alles mit, was Büter von ihnen fordert. Heftiger Protest schlägt dem Trainer bei der nächsten Tanzsequenz entgegen. Die Eingesperrten finden es mehr als befremdlich, ihren Kopf auf den Armen zu wiegen, dann einen Finger an die Nase zu halten und schließlich zu simulieren, dass sie etwas trinken. "Das geht doch nicht. Was denken denn Außenstehende, wenn sie so etwas sehen", sagt Phil und meint damit, dass Zuschauer die Bewegungen mit Drogenmissbrauch assoziieren könnten. Büter aber bleibt hart: "Versuch' nicht darüber nachzudenken wie es aussieht, sondern mach' einfach."

Der Trainer weiß, dass er von den Knastbrüdern nicht zu viel erwarten darf. Dass sie zum Beispiel nicht paarweise tanzen oder Hebefiguren erlernen wollen. "Mit Anfassen muss man vorsichtig sein", sagt der Trainer. Das gilt auch für das Berühren des eigenen Körpers. Denn eigentlich sollen sich die Männer selbst ein paar Klapse auf den Popo geben. So sieht es Büters Choreographie vor. Doch das ist absolutes Tabu, geben ihm die Männer zu verstehen.

Und weil jetzt für den Tanzschritt eine Alternative gefunden werden muss, wittern Marcin, Thomas und Phil ihre Chance. Sie übernehmen das Kommando und wollen sich - wenigstens in dieser Sequenz - wie Will Smith als Prince of Bel Air oder Michael Jackson, dem King of Popo, bewegen. Büter lässt sie gewähren und macht den Spaß mit. Immer wieder zählt er bis acht, um zu überprüfen, ob die Choreographie-Ideen der Inhaftierten in den Takt passen. Den größten Spaß haben die Männer, als Büter sich selbst im Moonwalk von Michael Jackson versucht. Ungläubig schüttelt Marcin den Kopf und lacht: "Den müsste der Typ nun wirklich drauf haben."

Dass Büter am Ende tatsächlich ein paar Vorschläge, die an Break-Dance und Hip-Hop erinnern, aufnimmt, zeigt, dass der Spaß beim Tanzen im Vordergrund steht. "Wenn man mit striktem Reglement daran geht, bekommt man keine Durchlässigkeit, keine Weichheit in den Körper", sagt Büter. "Und sich zu disziplinieren, lernen die Häftlinge beim Tanztraining in einer Gruppe ganz nebenbei."

Als die Männer gemeinsam herumalbern, wirken sie wie vier Kumpel beim Sport. In einer ganz normalen Turnhalle. Weit weg vom Gefängnis. Weit weg von Gittern und Beamten, die mit Schlüsselbunden klirren.