Junge Leute aus Hamburg und Amsterdam kochen in ihrer Küche unter freiem Himmel für Wilhelmsburger. “Zum Anstand“ nennt sich das Projekt.

Wilhelmsburg. Das Leben kann sehr schön sein auf der Elbinsel Wilhelmsburg. Keine Wolke steht am Himmel über der Honigfabrik, es weht ein laues Lüftchen bei 28 Grad, und auf dem Tisch warten Zucchini, Tomaten, Karotten, Paprika und Oliven, mit denen Finn Brüggemann, 23, gleich eine leckere Gemüsepfanne im Steinofen zubereiten wird.

Am Holztisch im Hinterhof der Honigfabrik sitzen Finns Freunde: Josefine Buckenauer, 21, sie will Kulturanthropologie an der Uni Hamburg studieren, ihr Bruder Nick, 23, er will Soziale Arbeit studieren, sowie Kajsa Böttcher, 22, und Lara Lewis Schmalohr, 23, - die beiden studieren mit Finn Liberal Arts and Sciences an der Universiteit van Amsterdam. Viele weitere junge Menschen und Junggebliebene werden an diesem Nachmittag zur Honigfabrik kommen und bis spät in den Abend eine schöne Zeit verbringen. Sie genießen Finn Pizzen aus dem Steinofen, die so köstlich sind, dass viele Italiener in Hamburg blass werden würden.

Außer montags und mittwochs kochen die jungen Leute jeden Tag in der Honigfabrik. Nachmittags für Kinder aus dem Reiherstiegviertel, die umsonst essen können. Und abends für Besucher, die eine kleine Spende entrichten. Zu trinken gibt es Club-Mate, Bionade, Astra, Jever und Wein. Donnerstags läuft hier ein Open-Air-Film, freitags gibt es ein Live-Konzert mit Pizza und sonntags einen kreativen Workshop.

"Projektküche zum Anstand" nennen die Initiatoren ihr Projekt im Wilhelmsburger Reiherstiegviertel. Es endet Ende August. "Probieren geht über studieren", sagt Lara und lacht. "Es geht darum, sich selber auszuprobieren und ein Projekt von Anfang bis zum Ende durchzuziehen. Und es geht darum, etwas für die Mitmenschen, für die Nachbarschaft zu tun."

Wie es sich für angehende Studenten des 21. Jahrhunderts gehört, gibt es für das Projekt eine Facebook-Seite: www.facebook.com/ZumAnstand . 166 Menschen haben bisher auf den Button "Gefällt mir" geklickt. Das Projekt hat dem Sanierungsbeirat so gut gefallen, dass er 820 Euro bereitgestellt hat.

"Zum Anstand" erscheint auf den ersten Blick als ein antiquierter Name für ein Nachbarschaftsprojekt im Reiherstiegviertel. Die jungen Leute finden ihn hochmodern. Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt hat Lara und Finn auf den Namen gebracht. "Herr Schmidt hat in einer Dokumentation viel über Anstand gesprochen. Anstand gegenüber unseren Mitmenschen ist eine Schlüsseltugend in der Gesellschaft", sagt Finn.

Helmut Schmidt ist Mitbegründer des InterAction Council, einer losen Verbindung früherer Staats- und Regierungschefs. Die Ideen des Council gefallen den Machern von der Projektküche. "Der Rat hat eine 'Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten' vorgeschlagen", sagt Finn. "Der Hauptgedanke ist, sich anständig gegenüber den Mitmenschen zu verhalten. Das ist eine Menschenpflicht."

Im Ofen brennt nun das Feuer und Finn schiebt einen frischen Butterkuchen hinein, den seine Mutter Urte aus Hollern-Twielenfleth im Landkreis Stade mitgebracht hat. Auch Oma Grete aus Hagen im Landkreis Stade sitzt mit am Tisch.

Es sind schon viele Leute hier gewesen, aus der ganzen Welt. Die 24-jährige Maayan aus Israel hat den Ofen mit aufgebaut. Alexander, 21, aus Holland war da. Andrea aus Italien hat Musik mit seiner Loop-Maschine gemacht. Und der Australier Justin hat Banjo gespielt. Freitags dauert die Party mit Pizza und Live-Musik oft bis zum nächsten Morgen um 5 Uhr. Rund 80 Leute feiern dann hier gemeinsam.

Neulich waren türkische Kinder da, die später von ihren Eltern abgeholt wurden. Die Mütter haben den Ofen gesehen - und mit Mehl, Hefe und Wasser türkisches Brot gebacken. Am nächsten Tag sind sie wieder gekommen, diesmal mit einem großen Bottich gefüllt mit gewürztem Hackfleisch. Daraus haben die Frauen das türkische Nationalgericht Lahmacun gemacht.

Den Ofen haben die Freiwilligen selbst gebaut. Der Hafenfacharbeiter Arne Wortmann, 44, die gute Seele auf dem Hof der Honigfabrik, stand ihnen dabei mit Rat und Tat zur Seite. Nach Ende des Anstandsprojekts kommt der Steinofen in den Interkulturellen Garten Hamburg-Wilhelmsburg.

Die jungen Leute kochen, feiern, lachen, spielen Gitarre und diskutieren. "Es gibt viele Unterschiede zwischen den Menschen", sagt Lara, "aber trotzdem haben wir grundsätzliche Gemeinsamkeiten. Wir haben Hunger und Durst, wir lieben Gemeinschaft, wir wollen akzeptiert werden und uns selbst ausleben und verwirklichen können." Junge Männer mit Rucksäcken auf dem Rücken schauen vorbei. Jeder ist willkommen hier in der anständigen Wilhelmsburger Welt. "Es ist ganz einfach, nett zu sein zu anderen Menschen", sagt Lara. "Wer soziale Netzwerke knüpft, der schadet seinen Mitmenschen nicht."