Traditionelle Harburger Traditionsgeschäfte, es gibt sie noch: Die Elstorfer Familie Schönecke hat in Geflügel ihre Passion gefunden.

Harburg. Alteingesessene, inhabergeführte Geschäfte - es gibt sie noch in Harburg. Oft sind es Familienbetriebe mit einer jahrzehntelangen Tradition. Sie erzählen Geschichten von Kaufleuten, die ihre Kunden noch persönlich kennen, vom Glauben an eine besondere Idee, von der Liebe zum Detail. Aber auch vom schleichenden Niedergang einer Verkaufskultur, die sich im Zeitalter der Shopping-Center und Großmärkte immer schwerer behaupten kann.

Ein misslungener Weihnachtsbraten kann das Fest der Liebe leicht ins Gegenteil verkehren. Und zur wahren Zerreißprobe für eine Ehe werden. Das bekamen Ruth Staudenmayer und Henner Schönecke, die Geschäftsführer des Geflügelhofs Schönecke, sogar mal schriftlich - in Form einer bitterbösen E-Mail. Ein Kunde hatte bei ihnen 2009 eine Gans erstanden, die sich als äußerst zäh und sehnig erwies. Darüber bekamen sich die Eheleute just am Heiligen Abend furchtbar in die Wolle. Fluchend suchte er das Weite und beschwerte sich tags darauf bei den Schöneckes. Die boten zur Güte zwei Entenbrüste als Geschenk an - doch ohne Reaktion.

"Diese Geschichte hat uns damals sehr getroffen", sagt Ruth Staudenmayer. "Schließlich sind wir ein Familienbetrieb und stehen mit unserem Namen Schönecke seit Jahrzehnten für Qualität. Wir machen uns sehr viele Gedanken um die Produkte, die wir verkaufen. Und das nicht nur zu Weihnachten."

Mit Fleisch, Geflügel und Eiern stehst du immer einen Schritt vorm Abgrund. Diese beinharte Erkenntnis hat in Zeiten von Rinderwahnsinn, anderen Tierseuchen und regelmäßig wiederkehrendem Dioxin-Alarm jeder Erzeuger und Händler in dieser Branche längst verinnerlicht. Auch Ruth Staudenmayer (37) und ihr Mann Henner Schönecke (39). "Schließlich sind wir so etwas wie Geschmacks- und Genussbotschafter", sagt Ruth Staudenmayer.

Als sich die Chefs im Mai dieses Jahres wieder einmal auf den Weg zu ihren Lieferanten nach Südwestfrankreich machen, sind auch neun ihrer Verkäuferinnen mit an Bord. Am Fuß der Pyrenäen, unweit von Bordeaux, wachsen bei besten klimatischen Bedingungen "gut, langsam und in freier Natur" jene Maishühner, Perlhühner, Wachteln, Kapaune und Kaninchen heran, die zu einem wichtigen Umsatzgaranten des Geflügelhofs Schönecke geworden sind. Ruth Staudenmayer: "Französisches Freilandgeflügel ist im Schnitt drei- bis viermal so teuer wie ein deutsches Masthähnchen. Wir wollten unserem Personal zeigen, warum dieser Preisunterschied gerechtfertigt ist. Und warum bei uns eben keine Wiesenhofprodukte über den Tresen gehen." Ein gut geschulter Mitarbeiter könne dem Kunden deutlich besser erklären, was er mit eigenen Augen gesehen habe.

Ein Prinzip, das sich die beiden Geschäftsführer auch selbst verordnet haben. Bevor das Sortiment vor sechs Jahren um französisches Geflügel erweitert wird, brechen sie 2005 zu einer Tour de France der etwas anderen Art auf. Innerhalb von zwei Wochen legt das Duett 5000 Kilometer zurück. Im Elsass, in der Bretagne und in Südfrankreich klappern sie Dutzende Erzeuger ab und lassen sich dort auch die Schlachtung zeigen. Wer nicht über das französische Qualitätssiegel "Label rouge" verfügt, hat kaum eine Chance, in den Kreis der Schönecke-Lieferanten aufgenommen zu werden.

Doch auch im Inland schaut die Doppelspitze Staudenmayer/Schönecke genau hin. Zur quasi handverlesenen Ware zählen neben Freilandenten aus Schleswig-Holstein auch Enten und Gänse eines Biohofs in Tostedt. "Von einem Volk der Gourmets wie die Franzosen sind wir Deutschen noch ein ganzes Stück entfernt", sagt Ruth Staudenmayer. Während in der Grande Nation 21 Prozent des Einkommens für die Ernährung ausgegeben werde, sei es hierzulande gerade mal die Hälfte. Dennoch habe sich auch beim Thema Essen ein gewisses Qualitätsbewusstsein herausgebildet.

In sechster Generation sind die Schöneckes jetzt im Fliegenmoor, im Neu Wulmstorfer Ortsteil Elstorf, ansässig. Die Wiege des Unternehmens aber ist der Harburger Wochenmarkt. Dort verkaufte Heinrich Schönecke, der Urgroßvater Henner Schöneckes, seit 1914 vorrangig Obst und Gemüse. "Mit einem Pferdefuhrwerk ist er immer nach Harburg gezogen. Es war die klassische Versorgung der Städter durch die Bauern", erzählt der Urenkel.

In den 60er-Jahren werden dann die ersten Legehennen angeschafft, in den 70ern steigt die Firma in den Vertrieb von Geflügel ein. Seit 1998 betreibt die Familie einen Freilandstall am Taterberg, 2009 kam in Elstorf noch ein weiterer Stall mit Bodenhaltung hinzu. In beiden leben insgesamt 33 000 Hennen der Rasse "Lohmann Braun". Jedes der durchweg braunen Tiere legt pro Jahr 260 bis 280 braune Eier. Die Nachfrage an weißen muss der Geflügelhof Schönecke deshalb durch Zukäufe bei anderen Herstellern decken. Unter anderem auch deshalb, weil das Unternehmen seit einem Jahr zu den Regionallieferanten des Handelskonzerns Rewe zählt.

Zu einem absoluten Wachstumsfaktor hat sich der firmeneigene Online-Shop gemausert. "Wir beliefern Kunden vom Karwendelgebirge bis Pellworm", berichtet die gebürtige Münsterländerin Ruth Staudenmayer, die Henner Schönecke während ihres Studiums der Kulturwissenschaften in Lüneburg kennengelernt hat. Zum Sortiment des Shops zählen außer Geflügel und Wild auch Weine und Spezialitäten wie selbst kreierter Eierlikör in den Geschmacksrichtungen Vanille, Stollen oder Latte Macchiato. "Innerhalb von vier Jahren seit 2007 konnten wir den Umsatz um 350 Prozent steigern", so Staudenmayer.

Doch auch in der "realen Welt" ist das Unternehmen Schönecke überaus präsent. Es gibt drei feste Filialen in großen Einkaufszentren in Altona, Wandsbek und Niendorf, zudem zwei mobile Marktwagen. Von denen einer sein Dauerdomizil unverändert auf dem Harburger Wochenmarkt hat. In keiner anderen Woche des Jahres ist der Stress für die insgesamt 80 Angestellten unterdessen so groß, wie in der Weihnachtswoche. "Da wird so viel verkauft, wie sonst in einem ganzen Monat", weiß Henner Schönecke.

Weshalb da auch jene Familienmitglieder mit ran dürfen, die beruflich nicht mit der Firma verbunden sind, wie Schöneckes Schwestern Silke, eine Bauingenieurin, und Nina, eine Diplomkauffrau: An zwei Tagen werden traditionell "ganz in Familie" die mehr als 2000 Weihnachtsvorbestellungen für die Auslieferung sortiert: "Da machen wir viele Menschen glücklich."

Manchen Kunden auch etwas später. Wie den Autor der eingangs erwähnten Beschwerde-Mail. Mitte des Jahres meldete er sich dann doch. Ob er auf das Angebot noch mal zurückkommen könne, fragte er, es stünde ein Versöhnungsdinner an. Natürlich hat er die zwei versprochenen Entenbrüste vom Geflügelhof Schönecke erhalten. Fürs ungetrübt leckere Happy End.