Mitarbeiterinnen der Harburger Tafel an der Buxtehuder Straße haben für Bedürftige Weihnachtstüten voller Lebensmittel zusammengestellt.

Harburg. Die ersten kommen gegen 5 Uhr morgens. Frierend stehen sie mit ihren Einkaufstrolleys vor dem Eingang der Harburger Tafel an der Buxtehuder Straße. "Sie wollen unbedingt die ersten in der Schlange der Wartenden sein", sagt Sabine Pena, die an diesem Tag das Geschehen in der Tafel-Ausgabe leitet und sich passend zur Vorweihnachtszeit eine rote Weihnachtsmütze aufgesetzt hat.

Weihnachten ist nicht nur für die Geschäfte in der Harburger Innenstadt eine stressige Zeit, auch die Helfer bei der Tafel sind mehr gefordert als sonst. 130 Menschen warten täglich auf die Lebensmittelspenden. Das Tresenteam mit Petra Hocke und Monika Frank sind von 9.30 Uhr an bis13.30 Uhr im Dienst.

Ihr Arbeitstag beginnt allerdings schon früher. Denn morgens müssen die Lebensmittelspenden - unter anderem Obst, Gemüse, Milchprodukte sowie Fertiggerichte - abgeholt, nach Frische sortiert und in die Regale gepackt werden.

Die Ehrenamtler haben sich auch dieses Jahr wieder die Mühe gemacht, den vielen Bedürftigen Weihnachtstüten zusammenzustellen. "Da sind Nudelpakete, Gemüseeintopf, Tee und weitere Kleinigkeiten drin", sagt Petra Hocke. Diesmal allerdings fehlt eine besondere Überraschung, die im vergangenen Jahr viele Tafelkunden erfreut hat. "Es gibt leider keine Ente, da werden einige enttäuscht sein", sagt Hocke. Überhaupt seien Fleisch- und Wurstwaren Mangelware. Für viele Menschen, egal ob arm oder reich, gehöre der Weihnachtsbraten allerdings dazu. Die Erwartungen an Weihnachten seien hoch. "Etwas Gutes zu essen, das muss schon sein", sagt die 53 Jahre alte Silvia B. aus Harburg, die in der vorderen Hälfte der langen Schlange steht. Seit sechs Jahren ist die gelernte Apothekenhelferin schon arbeitslos, lebt von Hartz IV. "Das ist schon hart. Ich schreibe viele Bewerbungen, erfolgreich ist das bis jetzt nicht. Leider", sagt sie und blickt zu Boden. Weihnachten will sie ihren Ärger und die vielen Sorgen für ein paar Stunden vergessen, will sich mit ihrer Freundin treffen, frühstücken und klönen. Beate P., die hinter B. wartet, verbringt die Feiertage allein mit ihren drei Katzen. "Vielleicht gönne ich mir ein Glas Glühwein oder mache mir Tee", sagt sie. Bereits seit sechs Jahren ist sie auf Hartz-IV angewiesen, ist froh über das Tafel-Angebot und über das Engagement der Freiwilligen.

Am Ausgabetresen nimmt sich Petra Hocke die Zeit, um mit ein paar Kunden zu reden. So, wie mit Brigitte A., ebenfalls Hartz-IV-Empfängerin. Seit einem Jahr kommt A. zur Tafel. "Weihnachten gibt es bei mir und meinen drei Kindern ganz traditionell Ente mit Rotkohl und Klößen", sagt sie stolz.

Dafür lohne es sich, zu sparen. Und auch für die Tafel-Mitarbeiter hat sie ein kleines Mitbringsel. "Ich habe Plätzchen für die Damen dabei. Die sind immer so nett mit den Leuten", sagt A. und packt einen Blumenkohl in ihre Einkaufstasche, auf der ein lachender Weihnachtsmann abgebildet ist.

Sabine Pena freut sich. Unter anderem auch darüber, dass dieses Jahr Weihnachten genügend Spenden für die Bedürftigen angekommen sind. "Es hat allerdings etwas nachgelassen, obwohl es weiterhin viele arme Menschen gibt", sagt sie.

So meldet der Paritätische Wohlfahrtsverband in seinem aktuellen Armutsbericht, dass jeder neunte Erwachsene und jedes fünfte Kind in Hamburg in Armut leben. Daher fordert der Verband den Senat auf, eine konsequente Armutspolitik zu verfolgen, sich für höhere Hartz-IV-Regelsätze stark zu machen, den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor auszubauen und die abgehängten Stadtteile zu stärken. Denn auch in Zeiten starken Wirtschaftswachstums sei die Armutsquote nicht zurückgegangen. Auch nicht im Brennpunktstadtteil Harburg.

"Armutspolitik in Deutschland bleibt weitestgehend wirkungslos", sagt Gerd Häuser, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutsche Tafel e.V., angesichts von mehr als zwölf Millionen armen Menschen.

Die sinkenden Arbeitslosenzahlen täuschen nach Ansicht des Bundesverbandes über das reale Ausmaß der Armut hinweg. "Arbeit schützt längst nicht mehr vor Armut", so Gerd Häuser. Immer mehr Menschen arbeiten nur in Teilzeit oder können in Niedriglohnberufen ihr Einkommen trotz Vollzeittätigkeit nicht sichern. Ebenso sei eine steigende Zahl von Rentnern auf staatliche Grundsicherung angewiesen. Besonders betroffen macht die Tatsache, dass Alleinerziehende und ihre Kinder fast dreimal so häufig arm sind (43 Prozent) wie die Haushalte mit Kindern insgesamt (14,6 Prozent).

Und ein Tabuthema ist es immer noch. Viele Betroffene schämen sich, gerade zur Weihnachtszeit beim Geschenkekauf nicht mithalten zu können, stundenlang bei der Tafel anstehen zu müssen, weil es sonst für warme Mahlzeiten an den Festtagen nicht reicht. Der Frust macht manche aggressiv. Argwöhnisch wird am Ausgabetresen registriert, wer wie viele Gaben erhält. Die Butterkuchen-Stücke auf dem Teller, von dem sich jeder Kunde eines nehmen kann, sind in etwa gleich große Stücke geschnitten worden - Zeit für Diskussionen haben die Tafel-Helfer nicht.

Trotz der Lautstärke, des Stresses am Tresen und der vielen traurigen Schicksale der Menschen um sie herum ist Teamleiterin Sabine Pena in Weihnachtsstimmung. "Ich verbringe die Festtage bei meinen Eltern, es gibt Bockwurst mit Kartoffelsalat, und ich treffe einige Freunde", sagt sie, lächelt und rückt ihre Weihnachtsmütze zurecht.

Hartz-IV-Empfängerin Anja K. hat unterdessen von Petra Hocke ihre Überraschungstüte erhalten. Glücklich marschiert sie die Einfahrt der Tafel hoch, pfeift "Lasst und froh und munter sein..." vor sich hin.