Harburger Traditionsgeschäfte mit Liebe zum Detail: Seit 104 Jahren gibt es die Fleischerei Quast an der Meyerstraße in Heimfeld.

Harburg. Alteingesessene, inhabergeführte Geschäfte - es gibt sie noch in Harburg. Oft sind es Familienbetriebe mit einer jahrzehntelangen Tradition. Sie erzählen Geschichten von Kaufleuten, die ihre Kunden noch persönlich kennen, vom Glauben an eine besondere Idee, von der Liebe zum Detail. Aber auch vom schleichenden Niedergang einer Verkaufskultur, die sich im Zeitalter der Shopping-Center und Großmärkte immer schwerer behaupten kann.

Morgens um elf ist in Heimfeld die Welt noch in Ordnung. In der Fleischerei Quast in der Meyerstraße 21 stehen fünf Frauen im Laden, plaudern über Essen und Enkelkinder und warten auf Leckereien, die Matthias Thielmann, 47, und seine Frau Kerstin, 47, zubereitet haben: Mettwurst, Rotwurst, Fleischwurst, Landleberwurst, vier verschiedene Fleischsalate, Eier- und Krabbensalat.

Anneke Fehling, 66, besorgt "seit urgrauen Zeiten" ihr Fleisch und ihre Wurst bei Quast. "Wenn ich Filetbraten kaufe, dann nur hier", sagt die Eißendorferin. "Es ist ein Unterschied von Tag und Nacht, ob ich ein Steak vom Fleischer in die Pfanne haue oder ein Supermarktstück. Die Ware hier ist wirklich erstklassig. Das Gulasch kann man so in den Pott geben, da ist nicht eine einzige Sehne dran. Und ich bekomme immer noch einen schönen Knochen für die Soße dazu."

Warten hat in der Fleischerei Quast Tradition, vor allem am Wochenende. Dann stehen die Kunden oft bis zu 20 Minuten Schlange. Die Stimmung ist fast wie auf dem Jahrmarkt, die Kunden quatschen und lachen - man kennt sich im Viertel, und das Ehepaar Thielmann kennt jeden Kunden, vom Hartz-IV-Empfänger bis zum Professor.

Lore Schulz aus Heimfeld schätzt die "nette persönliche Bedienung im Laden. Die Thielmanns sind nicht nur freundlich, sondern verstehen auch etwas von ihrem Fach". An diesem Vormittag bestellt Lore Schulz 60 Wiener Würstchen für einen Kindergeburtstag. Normalerweise wiegen die Würste 85 bis 90 Gramm, aber Matthias Thielmann wird extra "Kinderwürste" à 60 Gramm in seiner Wurstbude machen. "Der Kunde ist bei uns König", sagt der Fleischermeister.

Seit 1907 bietet die Fleischerei Quast Wurst und Fleisch in der Meyerstraße an. Firmengründer war Günther Quast, er kam aus Cuxhaven. Bis 1984 betrieb das Ehepaar Gisela und Hans Ort die Geschäfte, danach ging es bergab mit dem Laden. "Ein junger Mann übernahm den gut gehenden Laden und hat ihn innerhalb von dreieinhalb Jahren heruntergewirtschaftet", sagt Matthias Thielmann. "Der hatte nicht die richtige Einstellung zum Ganzen. Danach versuchte ein Iraner noch ein Jahr lang sein Glück. Dann war hier tote Hose."

Matthias und Kerstin Thielmann haben die Fleischerei Quast im September 1998 übernommen. Kerstins Vater, ein Schlachtermeister, hatte eine Anzeige in der Zeitung gelesen: "Laden abzugeben". "Da haben wir nicht lange gezögert, denn wir wollten wieder zusammenarbeiten", sagt Matthias Thielmann. "Das funktioniert bei uns besser."

Ganz klein haben die Thielmanns angefangen, nur wenige Menschen verirrten sich anfangs in den Laden. "Aber nach vier Wochen war es dann schon so weit, dass man sagen konnte: 'So kann es weitergehen'", sagt Matthias Thielmann. Gelernt hat der gebürtige Marmstorfer in der Schlachterei Aldag in Fischbek. Auch Fleischergesellin Kerstin Thielmann hat das Handwerk von der Pike auf bei ihrem Vater in Barmbek gelernt. Dort hat das Ehepaar neun Jahre zusammengearbeitet - "ich wusste, was auf mich zukommt, wenn ich mich selbstständig mache", sagt Matthias Thielmann.

Ein Jahr lang haben die beiden in Neuhaus an der Elbe malocht, dort hatten Kerstin Thielmanns Eltern ein Hotel gekauft. Matthias arbeitete in der Küche, seine Frau im Service. "Aber es hat uns in Neuhaus nicht so gut gefallen, weilt dort abends die Bürgersteige hochgeklappt werden", sagt Matthias Thielmann. Das Ehepaar zog es wieder nach Hamburg, er arbeitete als Abteilungsleiter in der Fleischabteilung der Pro in Altona, sie bei Matthias' Lehrmeister in Fischbek - bis ihr Vater die Anzeige in der Zeitung las.

Kennengelernt haben sich die Thielmanns, wie könnte es anders sein, auch über die Wurst: in der Berufsschule. "Am Abend der Freisprechung der Fleischergesellen sind wir im Januar 1984 zusammengekommen", sagt Matthias Thielmann. 14 Monate später haben sie geheiratet. Beide haben eine Tochter: Stefanie, 23. Sie ist Fachinformatikerin und wird nicht in die Fußstapfen ihrer Eltern treten.

Aber über die Nachfolge machen sich die Thielmanns noch keinen Kopf. "Wir haben hier im Laden immer gute Stimmung und flaxen auch untereinander", sagt Matthias Thielmann. Kerstins Schwester, die Fleischereifachverkäuferin Susanne Burmester, 37, unterstützt sie im Laden.

Mittwoch ist in der Meyerstraße Wursttag. Dann macht der Fleischermeister Matthias Thielmann Brühwurst, Kochwurst, Bratwurst und Sülzen, von 6.30 Uhr bis 20 Uhr. "Ich bin gerne mal einen ganzen Tag in der Wurstbude", sagt Matthias Thielmann. "Dann habe ich den Kopf frei und kann ein wenig abschalten."

Rund 400 Vorbestellungen erwartet der Fleischermeister in der Vorweihnachtswoche. "Der Geschmack dreht sich alle zwei, drei Jahre", sagt Matthias Thielmann. "Vor drei Jahren haben die Kunden viel Geflügel verlangt, letztes Jahr standen Schmorbraten, Schweinebraten und Rouladen auf dem Küchenzettel."

Geöffnet hat der Laden in der Meyerstraße dienstags bis freitags von 8 bis 13 Uhr und von 14.30 Uhr bis 18 Uhr, sonnabends von 7 bis mindestens 12 Uhr. Viele Stammkunden schwören auch auf den wechselnden Mittagstisch, der von 11 bis 13 Uhr vom Schweinesteak bis zur Gulaschsuppe warme Speisen bietet.

Viel Freizeit bleibt dem Ehepaar Thielmann da nicht. Nur am Sonntag, daheim in Neu Wulmstorf, ist fofftein angesagt. "Dann schlafe ich gerne mal bis neun Uhr", sagt Matthias Thielmann. Zu seinem Hobby Angeln kommt er indes kaum noch: "Ich habe das Geschirr in den letzten fünf Jahren nur einmal ausgepackt."