41 Jahre Blumenbinderei Irena Reinhardt. Das Geschäft hat goldene Zeiten hinter sich - Jetzt ist es vom Internethandel bedroht.

Harburg. Alteingesessene, inhabergeführte Geschäfte - es gibt sie noch in Harburg. Oft sind es Familienbetriebe mit einer jahrzehntelangen Tradition. Sie erzählen Geschichten von Kaufleuten, die ihre Kunden noch persönlich kennen, vom Glauben an eine besondere Idee, von der Liebe zum Detail. Aber auch vom schleichenden Niedergang einer Verkaufskultur, die sich im Zeitalter der Shopping-Center und Großmärkte immer schwerer behaupten kann.

Wer in diesen Tagen den kleinen Heimfelder Laden Feldner-/Ecke Meyerstraße betritt, lässt Jacke und Mantel lieber hoch geschlossen. Drinnen ist es nur unwesentlich wärmer als draußen, was seinen guten Grund hat. Hier werden seit 1998 Blumen und andere Grünpflanzen verkauft und die vertragen nun mal keine übermäßige Hitze.

Irena Reinhardt, die Chefin, hat sich an die kühlen Temperaturen längst gewöhnt. "Das hält frisch", sagt die 63-Jährige und verzieht keine Miene. Hätte sie was anderes gewollt, hätte sie ja in ihrem Lehrberuf als Kellnerin bleiben können. Wollte sie aber nicht.

"Schuld" daran war ihr erster Mann. Genauer gesagt, dessen Vater, Friedrich-Wilhelm Reinhardt. Der hatte eine Gärtnerei in Sprötze. Die ganze Familie war in den Betrieb involviert, also auch die Schwiegertochter. Irena Reinhardt: "Damit hatte ich kein Problem. Man war viel an der frischen Luft und hatte immer Grün um sich." Nur, die besten Voraussetzungen hätte sie nicht gerade mitgebracht, gesteht sie, "denn ich konnte Tulpen kaum von Narzissen unterscheiden".

Das sollte sich dank ihres Schwiegervaters bald ändern. Dem half sie oft beim Auf- und Abladen und ließ sich dabei jede einzelne Pflanzensorte erklären. Das sei eine wunderbare Schule gewesen, gewissermaßen "learning by doing" in Reinkultur. Spielend klassifiziert die gebürtige Hollenstedterin heute 50 verschiedene Rosensorten und weiß auch alles über Zucht und Hege.

1970 eröffnet die Familie Reinhardt ihr erstes Blumengeschäft in Heimfeld, in der Meyerstraße 8. Geführt wird es von Irena und ihrem Mann. Drei Jahre später überträgt ihr der Schwiegervater den Laden ganz. "Anfangs hatte ich mächtigen Bammel", erinnert sich Irena Reinhardt, "denn ich stand nun auf eigenen Beinen. Mit gerade 25 Jahren, einem zweijährigen Sohn und einer riesigen Verantwortung".

Doch das Geschäft entwickelt sich prächtig. So gut, dass sie 1998 den Sprung auf die andere Straßenseite wagt, wo kurz zuvor ein Raumausstatter aufgegeben hat. Statt 24 Quadratmeter Verkaufsfläche hat sie jetzt 45. Hinzu kommen noch 45 weitere in zwei Räumen. In denen jene Sträuße, Gestecke und Kränze entstehen, für die die "Blumenbinderei Reinhardt" weithin bekannt geworden ist. Bis zu vier Floristinnen beschäftigt sie in besten Tagen. Heute sind es nur noch zwei Aushilfskräfte auf 400-Euro-Basis.

Denn der Laden hat seine goldene Zeit hinter sich. Wie viele andere auch. "Als wir 1970 in Heimfeld begonnen haben, gab es hier fünf Blumenläden. Und die warfen so viel ab, dass die ganze Familie davon leben konnte", erzählt Irena Reinhardt. Von diesen alteingesessenen Geschäften sei heute nur noch ihres übrig geblieben. Und jüngst habe sogar ein namhafter Grünhändler im Großmarkt dicht gemacht. Doch auch sie hat zu kämpfen: Innerhalb der vergangenen drei Jahre ist der Umsatz um ein Drittel eingebrochen.

Das Geschäft habe sich verlagert, ins Internet und in die Baumärkte, erklärt Irena Reinhardt. In deren expandierenden Gartencentern würden Pflanzen aller Art durch den massenhaften Abverkauf immer günstiger. Mit Bünden, also Blumen einer Sorte ohne zusätzliches Grün, könne sie deshalb kaum noch Geld verdienen: "Da sind wir einfach nicht mehr konkurrenzfähig." Das gleiche gelte auch für die Sparte Dekoartikel, in dem sie ihr Sortiment um fast die Hälfte zurückgefahren habe.

Der Leidenschaft für ihre Profession tat diese Entwicklung keinen Abbruch. Jeden Tag verlässt sie gegen fünf Uhr morgens ihr Haus in Wennerstorf bei Hollenstedt, wo sie noch immer wohnt. Dreimal in der Woche fährt sie mit ihrem zehn Jahre alten Peugeot Expert zum Hamburger Großmarkt in der Amsinckstraße, wo sie bis zu 25 Stände abklappert. "Mir ist wichtig, dass die Pflanzen möglichst aus der Region stammen, denn die ,Nachbarn' sollen ja auch leben", erklärt die Blumenfrau. Die selbst gar keine Lieblingsblume hat: Zu dieser Jahreszeit mag sie Ranunkeln ganz gern, im Sommer Cosmea.

Jede der bis zu 30 Sorten Frischblumen und etwa zehn Sorten Bindegrün, jede Topfpflanze, Vase, Kerze oder Glückwunschkarte, die täglich bei ihr erhältlich sind, wurden von der Chefin persönlich ausgesucht und transportiert. Nur Erde und Packpapier lässt sie sich anliefern.

Ob nun Sträuße für alle Anlässe, Hochzeits- und Trauerfloristik oder Balkonbepflanzungen im Frühjahr - Irena Reinhardt weiß genau, was ihre (Stamm-)Kunden wünschen. Von denen sie viele am Telefon schon an der Stimme erkenne, bevor die überhaupt ihren Namen nennen. Ohne sie wäre vielleicht längst Schluss, denn Laufkundschaft käme immer seltener.

Gerade hat der Laden aber wieder richtig gebrummt. Weil, wie in jedem Jahr, auch diesmal viele Adventsgestecke und -kränze geordert wurden. In denen steckt viel Arbeit, für einen aufwendig dekorierten braucht es bis zu 45 Minuten.

"Wahre Künstler gestalten nicht nur, sie erzeugen Gefühle" steht auf einem Plakat, das in ihrer Werkstatt an der Wand hängt. So hat auch Irena Reinhardt ihren Job immer verstanden. Doch immer öfter sehnt sie sich nach dem kleinen Laden auf der anderen Straßenseite zurück, der inzwischen einen Allerweltskiosk beherbergt. Es sei zu viel auf der Strecke geblieben, sagt sie. Wie zum Beispiel eine gewisse Trauerkultur, die heute nur noch in den alten Familien gepflegt werde. Weil auch dieser Teil des Geschäftes inzwischen von den Bestattern und ihren Partnern betrieben wird. So denkt Irena Reinhardt nur noch von Jahr zu Jahr. Mit 65 soll definitiv Schluss sein. Auf die Frage, was dann wohl aus dem Laden werde, antwortet sie: "Vielleicht wird er mal eine Wohnung. Aber einen Blumenladen wird es hier sicher nicht mehr geben."