Der Heimfelder Mediziner Dr. Rainer Holzhüter widmet sich in der Freizeit dem Schauspiel und spielt im Weihnachtsmärchen “Aschenputtel“ mit.

Harburg. Wenn Rainer Holzhüter von der Bühne steigt, um im Auditorium nach einem passenden Mädchenfuß für einen Tanzschuh zu fahnden, vergessen junge Damen schon mal, dass sie gern selbst Prinzessin sein wollen. Mit seinem sonoren Bass, der grauen Mähne und dem üppigen Schnauzbart ist ihm die Rolle des Hofmarschalls im Weihnachtsmärchen "Aschenputtel" wie auf den Leib geschrieben. Respektheischend dirigiert der 64-Jährige im Hamburger Kellertheater am Brahms-Platz mit seinem Marschallstab nicht nur den Hofstaat seiner Majestät, des Königs. Auch das Publikum bleibt nicht verschont. Dabei ist der Mime im bürgerlichen Leben eigentlich Mediziner.

"Diese beiden Passionen treiben mich schon lange um", sagt Holzhüter. Den Menschen als Arzt zu dienen, habe er seit jeher ebenso spannend gefunden, wie auf der Bühne zu stehen. Dass er sich letztlich für den Beruf des Arztes entschieden hat, geht auf eine Empfehlung des Schauspielers Wolf Redl zurück. Strebe Holzhüter eine sichere Existenz an und wolle später auch mal für eine Familie sorgen, dann solle er doch lieber Medizin studieren, rät ihm einst der Stiefbruder des Filmstars Christian Redl.

Das tut Holzhüter auch, von 1967 bis 1973 in Erlangen. Doch die mittelfränkische Stadt ist nicht nur Uni-, sie ist auch Theaterstadt. Eines Tages entdeckt er einen Aushang der hiesigen Studiobühne. Die sucht für ein neues Stück Schauspieler. "Erlangen hatte damals einen erstklassigen Ruf in der europäischen Theaterszene. Die Bühnen spielten Thomas Bernhard, Peter Handke und Fernando Arrabal. Das fand ich spannend. Also bewarb ich mich, sprach vor und wurde genommen", erinnert sich Holzhüter.

Es ist die Zeit des gesellschaftlichen Aufbruchs, der Studentenrevolten, des zivilen Ungehorsams. Das findet seinen Widerhall auch auf den Bühnen. Erlangen gilt als Hochburg des avantgardistischen, experimentellen Theaters. Als die Uni eine eigene Bühne gründet, ist der junge Hamburger sofort dabei: "Wir verstanden uns als Revolutionstheater, das den Zeitgeist einfangen wollte. Es gab Publikumsbeschimpfungen und andere Provokationen."

Um Interaktivität herzustellen, werden die Zuschauer mit auf die Bühne geholt, in Käfige gesperrt oder müssen sich auf alten, blutfleckigen Matratzen niederlassen. "Bei uns stand die erste Nackte auf einer deutschen Nachkriegsbühne, eine nette Finnin mit dem schönen Namen Tytti Väntynnen. Und auch ich habe mal die Hose herunter gelassen und den blanken Hintern gezeigt", gesteht Holzhüter freimütig.

Oft wird bis Mitternacht gespielt oder geprobt, um anschließend noch im "Hühnertod", einer bekannten Studentenkneipe, einzukehren. Erst gegen drei Uhr morgens im Bett, steht der talentierte Mime um acht Uhr schon wieder im OP: "Das war eine wilde, sehr kreative Zeit, in der ich zwar intensiv gelebt, aber auch viel gelernt habe."

Holzhüter befolgt Redls Rat und bringt sein Medizinstudium erfolgreich zum Abschluss. Fürs Praktikum kehrt er schließlich in seine Heimatstadt zurück und arbeitet als Arzt in den Justizvollzugsanstalten am Holstenglacis und in Fuhlsbüttel. "In Fu 2 gingen viele Mörder und andere schwere Jungs durch meine Hände, darunter auch der legendäre Schränker Kurt Nagel", berichtet Holzhüter. Nagel gilt als bester Geldschrankknacker der Nachkriegszeit. Weshalb ihm sogar neue Tresore ins Gefängnis geschickt werden, wo sie Nagel "testen" darf. "Bei der Gütekontrolle eines besonders teuren Exemplars drehte die Polizei einen Lehrfilm. Lang ist der aber nicht geworden - der Schränker brauchte keine fünf Minuten. Als die Tür geöffnet war, verbeugte er sich und wurde unter tosendem Applaus der Beamten wieder in seine Zelle eskortiert", so Holzhüter.

Nach einer Stippvisite als Geburtshelfer im Krankenhaus Mariahilf lässt er sich 1977 als Allgemeinmediziner in der Harburger Innenstadt nieder. Und arbeitet seitdem an seinem Ruf als "schwarzes Schaf unter den Göttern in Weiß".

Holzhüter ist ein Befürworter alternativer Behandlungsmethoden und gerät damit immer öfter in Konflikt mit den Krankenkassen. Die wollen von Naturheil-, Körpertherapie- und Entspannungsverfahren, von Homöopathie, Osteopathie oder Akupunktur lange nichts wissen. Und bezahlen nur, was im engen Rahmen der konservativen Schulmedizin opportun ist. Dennoch wird Holzhüter gegen viele Widerstände zu einem Vorreiter der Ozon- und Sauerstofftherapie.

Seinen gesammelten Frust über das deutsche Gesundheitswesen hat sich der Vater dreier Kinder in mehreren Sachbüchern von der Seele geschrieben. Schon deren Titel lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: "Wehrt Euch, Patienten - Ein deutscher Kassenarzt packt aus", "Vorsicht, Krankenhaus - Die Misere in deutschen Krankenhäusern" oder "Überleben trotz Krankenkasse - Ratschläge eines Insiders" erleben allesamt mehrere Auflagen und gehören viele Jahre zu Klassikern der Sparte.

"Angesichts einer überbordenden Diagnostik fehlt zunehmend Geld für die Therapie", lautet einer seiner Hauptvorwürfe. Und es könne ja wohl auch nicht sein, dass ein Allgemeinmediziner für einen Hausbesuch mit maximal 35 Euro abgespeist werde, während radiologische Praxen leicht Hunderte von Euro abrechnen dürften. "Ich halte im Übrigen auch nichts von den viel beschworenen Medizinischen Versorgungszentren. Da gehst du mit Hämorrhoiden rein und kommst mit einer diagnostizierten Mandelentzündung wieder raus", so Holzhüter.

Mit solchen und anderen markigen Sentenzen avanciert der streitbare Mediziner in den 90er-Jahren zu einem Liebling der Talkshows. Bei Margarethe Schreinemakers diskutiert er ebenso witzig und geistreich wie bei Erich Böhmes "Talk im Turm", wo er den damaligen Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer ziemlich alt aussehen lässt. Das zuweilen recht skurrile Gebaren im Medium Fernsehen vermag ihn aber auf Dauer nicht zu fesseln. Holzhüter drängt es zurück auf die wahren Bretter, die die Welt bedeuten.

Vor zehn Jahren trifft er bei einer Geburtstagsfeier seinen alten Lehrer Alfred Krink wieder. Der hat ihn dereinst in einem Kommentar unter einer verhauenen Geschichtsklausur am Heimfelder Friedrich-Ebert-Gymnasium einmal wissen lassen, er halte den jungen Holzhüter für "ahnungs- und hoffnungslos". Nun muss Krink feststellen, dass aus seinem einstiegen Problempennäler doch noch etwas geworden ist. Er ermutigt ihn, sich wieder stärker seiner alten Leidenschaft, der Schauspielerei, zu widmen.

Rainer Holzhüter, der übrigens selbst kein passionierter Theatergänger ist, sondern lieber Konzerte, bevorzugt von Leonard Cohen, besucht, übernimmt schließlich drei Rollen in Schullehrfilmen. 2008 kommt er - erneut durch eine Geburtstagsfeier - mit Günter Dose in Kontakt. Der Intendant des Kellertheaters begeistert ihn für das Repertoire der Amateurbühne und trägt ihm im Herbst dieses Jahres die Rolle des Hofmarschalls im Weihnachtsmärchen "Aschenputtel" an.

Lange Zeit konnte Rainer Holzhüter mit Kindertheater nach eigenem Bekunden wenig anfangen. "Es ist per se ja erst einmal nicht so anspruchsvoll", erklärt er sein Fremdeln. Doch bei einer Probeaufführung erlebt er, wie sich junges Publikum für gutes Theater begeistern lässt. "Kinder gehen ganz anders mit, sie sind spontaner, auch emotionaler." Deshalb sei die Rolle des Hofmarschalls auch ein echter Glücksfall für ihn: "Da kann ich viel improvisieren und kommunizieren. Genau das ist es, warum ich die Schauspielerei so liebe.

Weihnachtsmärchen "Aschenputtel", Kellertheater Hamburg, Johannes-Brahms-Platz 1, im Brahmskontor gegenüber der Laeiszhalle. Eintritt: 15 Euro, ermäßigt 12. Termine: 3.12./15 Uhr, 4.12./ 16 Uhr, 10.12./15 Uhr, 11.12./16 Uhr, 17.12./16 Uhr, 18.12./18 Uhr. Tickethotline: 040/84 56 52, Fax: 040/84 57 47, E-Mail: kellertheater@t-online.de .