Das Harburger Theater inszeniert Kästners Jugendroman “Das fliegende Klassenzimmer“ von 1933 als Schauspiel für Kinder und Erwachsene.

Harburg. Jungen ohne Allüren, Schüler mit Ehre und Respekt, ein gerechter Lehrer, rührende Freundschaften: Erich Kästners "Das fliegende Klassenzimmer" hilft gerade in den Zeiten von Bildungsstudien, den Glauben an die Schule zu bewahren.

Das Harburger Theater inszeniert Kästners Jugendroman von 1933 als Schauspiel für Kinder und Erwachsene. Premiere ist am Freitag, 2. Dezember. Bis zum 20. Dezember gehört die Harburger Bühne den Abenteuern aufrechter Internatsjungen.

Jahrelang sind die Schüler aus dem Internat Kirchberg mit denen der benachbarten Realschule verfeindet. Die Kontrahenten denken sich die verrücktesten Streiche aus, um die anderen zu ärgern. Als die Realschüler Diktathefte klauen und sogar einen Schüler entführen, fordern die Gymnasiasten sie zum alles entscheidenden Kampf auf.

Regisseur Dietrich Trapp, 54, belässt die Inszenierung der knapp 80 Jahre alten Romanvorlage bewusst im Zeitgeist der 1930er-Jahre. Seine Helden tragen Knickerbocker und Schiebermützen, keine weiten Hip-Hop-Hosen und Baseballkappen. "Ich wollte historische Kostüme, eine gewisse Fremdheit, dass die Kinder im Publikum etwas zu schauen haben", sagt der Spielleiter.

Auch sprachlich biedert sich Dietrich Trapp nicht an den Zeitgeist an. Heute übliche Kraftausdrücke oder Anglizismen nehmen die Pennäler auf der Bühne nicht in den Mund - sogar das Wort "okay" ist verpönt. Würde man neumodische Inszenierung machen, argumentiert der Regisseur, müsste man ein neues Stück schreiben. Episoden wie die Suche nach dem entführten Mitschüler Rudi wären heute nicht mehr nachvollziehbar, wenn der Junge wie heute üblich ein Handy hätte.

Als seine größte Herausforderung, Kästners "Fliegendes Klassenzimmer" als Schauspiel umzusetzen, bezeichnet Dietrich Trapp, eine Sprache zu wählen, dass der Zuschauer die Zeit vor 80 Jahren erkennt, aber heute versteht.

Historische Authentizität an die Zeit Erich Kästners ist aber kein Credo dieser Aufführung. Dietrich Trapp, der an der Landesbühne Niedersachsen in Wilhelmshaven das Junge Theater leitete und jugendgerechte Bühnenfassungen für die Stücke "Peter Pan" und "Pinocchio" geschrieben hat, hat die Sprache "etwas geglättet", wie er selbst sagt. Die Spielweise der acht Schauspieler ist eine sehr direkte. Das verstärkt den Spielfluss, wirkt lebendig und kommt jungen Zuschauern entgegen.

Wer einen Roman für das Theater inszeniert, muss auf Nebenhandlungsstränge verzichten. Dietrich Trapp erfindet deshalb einen Erzähler, der zu den einzelnen Szenen überleitet und damit das Publikum an die Hand nimmt. Nebenbei zeigt die vom Regisseur geschaffene Kunstfigur den Kindern, wie Theater arbeitet: In einer Szene verwandelt sich der Erzähler, gespielt von Dirk Hoener, vor den Augen des Publikums in den Lehrer Professor Kreuzkamm.

Trotz des Zwanges, eine epische Vorlage zu kürzen, zeigt Dietrich Trapp dennoch eine kleine Episode aus Kästners Roman, die für die Haupthandlung ohne Belang ist: Die älteren Schüler im Internat verkleiden sich als Gespenster und erschrecken die jüngeren Mitschüler. Die Szene ist für die Kinder im Publikum gedacht: "Das ist einfach zum Durchatmen und Amüsieren, sonst wird es zu literarisch", erklärt der Regisseur. Kästners Geschichte vermittelt Werte: Freundschaft, Mut und Respekt. Und die will Dietrich Trapp auch den jüngsten Zuschauern begreifbar machen: "Wir haben den Anspruch, die Kinder zu fordern", sagt er.

Gefordert ist auch jeder Theaterregisseur, der die Massenszenen aus Kästners Geschichte darstellen muss. Kästner sprengt eigentlich jeden Theateretat, würde man ganze Schulklassen besetzen wollen. Das Harburger Theater zeigt eine Fassung für acht Schauspieler. Die wilde Massenrauferei zwischen Gymnasiasten und Realschülern setzt Dietrich Trapp daher mit einem Trick in Szene: Er lässt das Publikum mitwirken und gewinnt so Masse. Die einen feuern die Gymnasiasten mit ihrem Schlachtruf "Eisern" an, die anderen die Realschüler mit deren Schlachtruf "Ahoi".

Die Kinderrollen spielen ausschließlich Erwachsene. Dem Profi-Ensemble gelingt das offenbar ohne Glaubwürdigkeitsverlust. Bei einem Test hätten fünf Jahre alte Vorschüler die erwachsenen Mimen als 12-Jährige akzeptiert, sagt Dietrich Trapp. Das gelinge, weil die Schauspieler zwar jugendlich spielen, aber Kinder nicht nachäffen.

Theater regt die Fantasie an. Und das macht sich Dietrich Trapp bei den Actionszenen der Romanvorlage zunutze. Die ausufernde Schneeballschlacht setzt er als Kopftheater beim Publikum in Szene: Aus weißen Socken gewickelte Bälle fliegen im Schwarzlicht glitzernd über die Bühne - eine märchenhafte Szene, die gleichzeitig Masse suggeriert.

Das Harburger Theater erweitert die Geschichte um eine Episode, die Erich Kästner gar nicht geschrieben hat. "Das fliegende Klassenzimmer" ist nicht nur der Buchtitel, sondern auch der Name des Theaterstücks, das die Hauptpersonen des Romans vor Weihnachten an ihrer Schule inszenieren. "Die Theateraufführung selbst kommt im Roman nicht vor, dort wird nur darüber gesprochen", sagt Dietrich Trapp. Die Harburger Bühne zeigt das Theater im Theater - wenn das kein weihnachtliches Geschenk für alle Freunde des Literaturklassikers ist.

Schauspiel: "Das fliegende Klassenzimmer" nach Erich Kästner, Bühnenfassung Axel Schneider, Regie Dietrich Trapp, Harburger Theater, Museumsplatz 2, Premiere: Freitag, 2. Dezember, 11 Uhr, weitere Aufführungen bis Dienstag, 20. Dezember, Eintritt: sieben bis 13 Euro, Kartentelefon: 040/428 71 36 04.