Am Gymnasium am Kattenberge sollen Quereinsteiger die Unterrichtssituation entschärfen. Besonders MINT-Fächer unterbesetzt.

Buchholz. Eine bemerkenswerte E-Mail fanden dieser Tage Eltern von Schülern des Gymnasiums am Kattenberge (GaK) in ihren elektronischen Postkästen. Darin ließ der Schulelternratsvorsitzende Rüdiger Kuehn wissen, dass die Lehreinrichtung dringend eine Vertretungskraft für die Fächer Biologie und Chemie suche. Falls jemand einen beruflichen Hintergrund oder ein Studium in diesen Bereichen habe und kurzfristig zur Verfügung stehe, möge er sich umgehend bei Schulleiter Armin May melden.

"Wenn jetzt schon auf diesem Wege Lehrer gesucht werden, dann zeigt das doch nur, wie dramatisch die Situation ist", sagt Pascal Zimmer, Erster Vorsitzender des Landeselternrats Niedersachsen. Im Computerzeitalter, in dem so gut wie alles statistisch erfasst werde, müsse doch eine Bedarfsplanung möglich sein, die aktuellen und künftigen Erfordernissen Rechnung trage: "Und auch ein rasches Reagieren auf kurzfristige Engpässe ermöglicht."

Tatsache ist unterdessen, dass gerade in den sogenannten MINT-Fächern, gemeint sind Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, signifikant viele Lehrer fehlen. Bis 2020 werden es jährlich bis zu 500 sein, hat die Kultusministerkonferenz ermittelt. Deren Präsident, Niedersachsens Ressortchef Bernd Althusmann, sah sich denn auch veranlasst, festzustellen: "Alle Bundesländer stehen vor großen Herauforderungen bezüglich der Einstellung von Lehrkräften in den sogenannten Mangelfächern." In diesem Jahr hätten gerade Gymnasien besondere Schwierigkeiten gehabt, Lehrkräfte namentlich für Informatik, Physik und Chemie zu verpflichten.

Dabei ist diese Situation bereits seit Jahren bekannt. Geeignete, effiziente Gegenmaßnahmen blieb die Politik indes weitestgehend schuldig. "Nicht nur der Mangel selbst ist problematisch, sondern auch der Umgang der Länder mit dem Mangel", stellte Jürgen Langlet, Bundesvorsitzender des Deutschen Vereins zur Förderung des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts (MNU) erst im Mai 2011 in einer offiziellen Stellungnahme fest.

Viele Länder würden versuchen, dem Lehrermangel mit der Einstellung von Quer- und Seiteneinsteigern zu begegnen. So hätten Diplom-Mathematiker, Diplom-Chemiker oder Diplom-Physiker ohne Staatsexamen (Quereinsteiger) zwar beste Chancen, ihnen fehle aber häufig eine hinreichende Lehrbefähigung. Der MNU fordert von den Bildungsadministratoren der Länder daher eindringlich, "Seiten- und Quereinsteiger aktiv beim Erwerb fachdidaktischer Qualifikationen zu unterstützen", so Langlet. Und zwar mit einem fundierten, bundesweit modularisierten Weiterbildungsprogramm.

Die Realität ist aber ganz anders. So fühlen sich insbesondere Seiteneinsteiger oft allein gelassen und überfordert, da sie ohne angemessene Vorbereitung von Beginn an eine hohe Stundenzahl unterrichten müssen. In einigen Ländern ist eine begleitende Ausbildung nicht einmal vorgesehen. Langlet: "Und das, obwohl schon das Durchlaufen eines Referendariats ohne erstes Staatsexamen eine Notlösung darstellt."

Offiziell sind die Kriterien für Quereinsteiger in Niedersachsen recht rigide. Wer an einem Gymnasium unterrichten will, muss einen Hochschulabschluss mit Mastergrad, den Master einer Fachhochschule, die erste Staatsprüfung fürs Lehramt oder den Master of Education nachweisen. In jedem Fall sei für den Einstieg in den Schuldienst "die erfolgreiche Teilnahme am Bewerbungs- und Auswahlverfahren erforderlich", heißt es im "Merkblatt für den direkten Quereinstieg", zu finden auf der Homepage des Kultusministeriums.

So muss es verwundern, wenn ein Gymnasium wie das GaK Buchholz per E-Mail an die Elternschaft Lehrkräfte zu akquirieren gedenkt. "Es handelt sich doch nur um eine zweimal vierwöchige Vertretung für einen Lehrer, der in Elternzeit gehen will", verteidigt Schulleiter Armin May den unorthodoxen Vorstoß.

Und erhält Rückendeckung durch die Landesschulbehörde. "Das ist natürlich immer eine Abwägungssache. Aber hier geht es immerhin um ein Mangelfach wie Chemie, in dem Lehrkräfte generell rar sind. Da sind wir immer dankbar für Lösungsvorschläge", sagt Sprecher Christian Zachlod. Natürlich würden aber auch in solch einem Fall die Unterlagen und Qualifikationen der Aushilfskräfte sehr genau geprüft.

Auch der Elternratsvorsitzende des GaK verteidigt das Vorgehen. "So für Ersatz zu sorgen, sollte sicher nicht die Regel sein. Aber hier geht es um eine Interimslösung", sagt Rüdiger Kuehn. Überdies täte es dem Unterricht ganz gut, wenn er mal von "Leuten aus dem normalen Leben" gehalten würde. Nachteile für die Schüler auf dem Weg zum Abitur befürchten weder May noch Kuehn. "Ein grundsätzliches Problem mit dem Ausfall von Unterrichtsstunden gibt es bei uns nicht", so May.

Das sieht Armin R. - der seinen richtigen Namen besser nicht in der Zeitung lesen möchte, weil sein Sohn Schüler des Gymnasiums ist - ganz anders: "Ich höre von meinem Sohn immer wieder, dass Stunden ausgefallen sind. Die Quote liegt bei gefühlten zehn Prozent, was für meinen Geschmack zu viel ist." Dass der besorgte Vater mit seinem Gefühl durchaus richtig liegt, bestätigt Pascal Zimmer. "Die uns zur Verfügung stehenden Zahlen belegen, dass niedersachsenweit quer durch alle Fächer zwischen acht und zehn Prozent aller Unterrichtsstunden ganz ausfallen oder nicht lehrplangemäß durchgeführt werden", so der Vorsitzende des Landeselternrates. Dabei sei die Situation im Bezirk Harburg noch vergleichsweise gut: "Unsere geografische Lage nahe Hamburg ist schon ein großer Vorteil. Wir finden hier eher Lehrer als zum Beispiel Schulen in den neuen Bundesländern, wo gar nicht mehr verbeamtet oder schlechter gezahlt wird."

Wie zur Bestätigung konnte die Landesschulbehörde dem Buchholzer Gymnasium jetzt eine Vertretung organisieren. Doch das generelle Problem des Lehrermangels in den MINT-Fächern ist noch lange nicht gelöst.