Volksbankchef Reiner Brüggestrat nimmt Protestbewegung gegen Banken ernst. Frank-Walter Steinmeier (SPD) fürchtet eine Krise der Demokratie.

Harburg. Bei Crèmesuppe von Waldpilzen mit Bündner Fleisch diskutierten Dr. Frank-Walter Steinmeier und Jochen Winand, Chef des Wirtschaftsvereins im Hamburger Süden, was die Protestbewegung "Occupy Wall Street" und die Wahlerfolge der Piratenpartei bedeuten könnten. Eine halbe Stunde später äußerte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gastredner beim Herrenabend des Wirtschaftsvereins am Freitagabend im Hotel Lindtner, vor mehr als 400 Unternehmern, Politikern und leitenden Verwaltungsangestellten seine Befürchtung, dass Deutschland auf eine Krise der Demokratie zusteuern könnte.

Dr. Reiner Brüggestrat, 55, indes ist überzeugt davon, dass Banken und Politiker die Chance haben, gemeinsam das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Das Abendblatt sprach während des Herrenabends mit dem Vorstandssprecher der Hamburger Volksbank über die Proteste gegen Banken und wie es sich anfühlt, wenn der eigene Berufsstand zum Feindbild wird.

Als Menschen im Oktober das Bankenviertel in Frankfurt symbolisch besetzen (englisch occupy), reagieren die Volks- und Raiffeisenbanken mit ganzseitigen Zeitungsanzeigen. Unter dem Bild der bunt maskierten Demonstranten werben die Genossenschaftsbanken mit den Werten ihres Selbstverständnisses: "Demokratisch. Regional. Sicher - seit 1843." Die Volksbanken okkupieren die Occupy-Bewegung. Die Botschaft ist klar: Wir sind nicht wie die Hypo Real Estate.

"Wir machen nur Geschäfte, die wir auch verstehen", erklärt Reiner Brüggestrat die Philosophie seiner Bank, "und nur mit Kunden, die wir kennen." Sorgfaltspflicht und das gesprochene Wort, das sind Grundprinzipien, die in der Branche an Bedeutung verloren haben. Etwas von dieser Bodenständigkeit könnte den Großbanken in Zukunft verordnet werden. Experten sehen in der strikten Trennung von Investmentbanken und Geschäftsbanken einen Weg, die Gefahr einzudämmen, dass Bankenkrisen ganze Staaten oder gar Staatengemeinschaften in den Abgrund stürzen können.

Reiner Brüggestrat, ein Heimfelder, lebt nicht abgeschottet in einer Scheinwelt. Seine Kunden, sagt er, können ihm auf die Finger gucken. Läge er ein Geschäftsgebaren an den Tag, wie es die Demonstranten anprangern, er könnte sich nicht mehr auf der Straße sehen lassen. Mann kennt sich eben.

Es ist kein schwarzer Block, der vor den Banken seine Empörung äußert. Die Protestierer sind junge Akademiker, die sich um ihre Zukunft betrogen fühlen. Es sind situierte Leute - mit einem Sparbuch, einem Job. Menschen also, die Banken gerne als Kunden nähmen. Seine Branche, räumt Brüggestrat ein, habe viel Unheil angerichtet. Er könne die Leute der Occupy-Bewegung verstehen. "Wir haben uns hart erarbeitet", fügt er süffisant hinzu, "dass man auf Banken ganz anders Obacht gibt."

Der Chef der Hamburger Volksbank hält die Occupy-Bewegung nicht für eine Modeerscheinung, die sich schnell erübrigen würde. "Hier wird gegen tief greifende Missstände demonstriert", sagt er. Er nimmt sie ernst.

Hyänen, Haie, Heuschrecken - es sind wenig schmeichelhafte Tiergestalten, mit denen Banker beschrieben werden. Reiner Brüggestrat hat von einer Umfrage gehört, dass nur noch Prostituierte und Totengräber ein schlechteres Image hätten als seine Branche. "Das ist nicht schön", sagt er. Er persönlich oder seine Familie seien aber noch nie beschimpft worden.

Noch demonstrieren die Menschen auf den Plätzen in New York, Athen oder Berlin nicht gegen die Machthaber. Sie appellieren vielmehr an sie, sich für den Verrat an den gemeinsamen Werten zu schämen. Reiner Brüggestrat ist zuversichtlich, dass die Proteste nicht in Gewalt umschlagen. Er sei überzeugt, dass Politik und "ordentliche Banken" dafür sorgen werden, die Ungleichgewichte zu beseitigen.

Politik und Banken in Deutschland müssen das Vertrauen der Menschen in ihre Arbeit zurückgewinnen, sagt Reiner Brüggestrat. Einen Fehler dürften die Akteure dabei auf keinen Fall machen: Das Privatvermögen der Leute als letzte Ressource anzusehen. "Der falsche Weg wäre", sagt er, "noch höhere Abgaben zu fordern."