Carsten Meier testet 200 bis 300 Proben am Tag. Seine Liebe zu Kräutern entstand in Omas Garten

Hittfeld. Schlürfen, schmatzen und spucken ist erwünscht. Bei 200 bis 300 Tassen Tee am Vormittag mag Carsten Meier nicht runter schlucken. Meier ist einer von höchstens 50 Teeverkostern, die in Deutschland arbeiten. Meiers Arbeitsplatz ist die Teeküche der Ostfriesischen Tee Gesellschaft (OTG) in Hittfeld. Hier hat er vor 14 Jahren angefangen, seine Geschmacksknospen auf das Heißgetränk zu trainieren. Kräuter habe er schon als kleiner Steppke bei seiner Oma im Garten kennen und lieben gelernt, erzählt der 44 Jahre alte Harburger. Und von den Kräutern aus Omas Garten bis zu den Marken-Tees der OTG sei es dann, so Meier, kein großer Schritt mehr gewesen. Dennoch, das Handwerk des Teeverkosters ist ein lernintensives.

"Man braucht einen guten Lehrer, den hatte ich hier. Dann braucht man viel Geduld und Übung", sagt der gelernte Außenhandelskaufmann, der für seinen früheren Arbeitgeber Kräuter ein- und verkaufte, bevor er zur OTG nach Hittfeld kam. Inzwischen schult Meier den Nachwuchs und ist einer der insgesamt fünf Teeverkoster der OTG. Ein klassischer Ausbildungsberuf sei das Teeverkosten nicht, "sensorische Empfindsamkeit und tägliches Training sind wichtige Voraussetzungen. Das Schmecken lernt man wie ein Koch", so Meier. Und dann schreitet der Mann, der bei der OTG mit seinen Kollegen darüber entscheidet, wie die Beutel-Tees der Marken Meßmer und Milford zu schmecken haben und welche neuen Teesorten eingekauft werden, zur Tat.

Vor ihm stehen aufgereiht 30 Teetassen, gefüllt mit schwarzem und grünem Tee, mit Früchte- und Kräutertees. Bei jeder Probe entscheidet Meier im Bruchteil einer Sekunde nach Geruch, Aussehen und Geschmack, ob die Standards erfüllt sind. Carsten Meier zu den schwarzen Teesorten: "Nach der Teeernte werden jedes Jahr die Karten neu gemischt, kein Jahr ist wie das vorangegangene, keine Ernte ist exakt wie die Vorjahresernte. Aber wenn der Kunde im Geschäft ins Regal nach seiner Sorte greift, will er auch seine Sorte trinken." Deswegen arbeitet die OTG zu fast 95 Prozent mit Mischungen. Meier hat die Rezepturen in seinem Gedächtnis der Geschmacksrichtungen.

"Nach sieben Jahren Training durfte ich zum ersten Mal alleine ins Ausland", sagt Carsten Meier und meint den "Ursprung". So nennen Teeleute die Anbaugebiete wie China oder Indien. "Das war für mich ein sagenhaftes Erlebnis. Im Ursprung schmeckt der Tee anders, mag sein, dass die Atmosphäre da mit reinspielt", so Meier und erklärt, dass Tee schon in Bayern anders und nicht so frisch wie in Norddeutschland schmecke. Das liege am Härtegrad des Wassers. Der Härtegrad des Wassers bestimmt bei der OTG in Hittfeld auch den Tagesablauf des Teeverkosters. Meier: "Wir verkosten am Vormittag. In dieser Zeit haben wir das weichste Wasser. In der Tat, als uns die Unterschiede im Geschmack auffielen, riefen wir bei den Wasserwerken an. Dort erklärte man uns, dass wir in Hittfeld am Vormittag mit Heidewasser versorgt werden. Das ist sehr weich." In den Nachmittagsstunden kommt aus den Wasserhähnen der OTG härteres Trinkwasser, weil das Wasser mit Hamburger Wasser gemischt werde. Je weicher das Wasser, so der Teeverkoster, der auch gerne mal einen Kaffee trinkt, um so besser und deutlicher der Geschmack und um so klarer sein Urteil.

Meier setzt nach fünf Minuten Ziehzeit den ersten von 30 Teebechern an, schlürft einen Schluck. Der Tee wird mit Sauerstoff vermischt. Das ist wichtig für den Geschmack. Dann bearbeitet er die Kostprobe schmatzend im Mund und spuckt sein Probe in den Spucknapf. "Die Mischung, die wir hier zum Verkosten nehmen, würde kein normaler Mensche trinken." Um aber belastbare Vergleiche anstellen zu können, sei es wichtig, dass Teemenge und Ziehzeit exakt übereinstimmen - und das weltweit. Profi-Aufguss nennt sich das. Die Teemenge entspricht genau dem Gewicht einer alten englischen Six-Pence-Münze, 2,86 Gramm. Traditionen gelten noch heute im Teegeschäft. Beim Verkauf und Einkauf gilt das Wort, Verträge braucht es nicht. Und auch die Wassermenge für den Profiaufguss ist überall auf der Welt identisch: 150 Milliliter. Meier: "Mit der hohen Einlage", damit meint der Verkoster die große Menge Tee im Wasser, "kitzeln wir die kleinsten Geschmacksnuancen aus dem Aufguss heraus."

Ein Polizist treibt Sport, um fit im Beruf zu bleiben. Aber was macht ein Teeverkoster, um seine Geschmacksnerven fit für die täglichen Teeproben zu halten? "Ich vermeide scharfes Essen und Knoblauch, wenn ich arbeite. Aber wenn ich ein freies Wochenende habe, dann gehe ich auch gerne am Freitagabend zum Griechen. Bis zum Montag bin ich den Knoblauchgeschmack wieder los", sagt Carsten Meier. Aber ansonsten, so Meier, gebe es für ihn keine Tabus beim Essen und Trinken. Sicher, sein Beruf bringe es mit sich, dass er viel eher die Nuancen im Essen rausschmecke als andere Menschen. Und neben dem Geschmackssinn sei auch die Nase eines Teeverkosters feiner, Gerüche erkenne er oft schneller und intensiver als andere.

Meier schmeckt sich durch die schwarzen und grünen Tees, danach kommen die Früchtetees, und am Ende der Reihe sind dann die Kräutertees dran. Weil es wenig Sinn mache, "zuerst den Pfefferminztee zu kosten. Der Mentholgeschmack würde die weiteren Proben überlagern. Es dauert keine vier Minuten, und Meier hat ein exaktes Urteil über 30 Teeproben. Jetzt weiß er, ob der Teemischer der OTG korrekt gemischt hat. Ob er denn einen Lieblingstee habe, den er vor und nach der Arbeit trinke? Meier: "Nein, und nach der Arbeit darf es auch gerne mal ein Bier sein. Ich trinke immer verschiedene Sorten Tee, natürlich auch aus dem Angebot der Konkurrenz, einfach um einen Überblick zu haben über den Markt, um zu schmecken, warum jemand gerne Earl Grey trinkt oder welche Früchtetees die Konkurrenz gerade im Sortiment hat." Eines sei ihm besonders wichtig, "endlich mit diesem aberwitzigen Vorurteil aufzuräumen, Beutel-Tees seien von schlechterer Qualität als lose Tees. Das ist Blödsinn. Die einzigen Unterschiede liegen in der Größe des Blattes, aber geschmacklich gibt es keine Unterschiede", sagt Carsten Meier.