Der neue Bürgermeister von Winsen André Wiese setzt auf die Kooperation mit einem Rat, in dem wechselnde Mehrheiten drohen.

Winsen. Frischer Wind im Rathaus, der neue Bürgermeister André Wiese tritt sein Amt an. Winsens enge Kassenlage sieht er als Hauptproblem für die künftige Entwicklung der Stadt.

Hamburger Abendblatt: Wenn die ersten Antrittsbesuche erledigt, die Mitarbeiter begrüßt und das Büro eingerichtet ist - was werden Sie dann als erstes inhaltlich in Winsen angehen?

André Wiese: Wir wollen ganz schnell einen Haushaltsentwurf für das kommende Jahre hinkriegen. Wir haben uns als Ziel gesetzt, dass der Rat Ende Februar, Anfang März abschließend darüber entscheiden soll. Das heißt, wir müssen spätestens in der zweiten Dezemberwoche so weit sein, dass wir den Haushaltsplanentwurf in der Verwaltung fertig haben. Damit die Politik dann sagen kann, was sie ändern will. Der erste Tag ist aber reserviert für Gespräche im Rathaus und eine Personalversammlung.

Sie haben versprochen, Winsen zur Familienstadt zu machen. Wie wollen Sie das konkret umsetzen?

Wiese: Winsen steht bei Krippen- und Kindergartenplätzen gut da, wenn wir uns mit Kommunen in der Region vergleichen. Die Schwierigkeit ist, dass wir zwar in der Statistik gut aussehen, in Wirklichkeit gibt es aber viele Familien, denen Plätze fehlen. Krippenplätze zu schaffen und zu finanzieren, wird ein wesentlicher Punkt sein. Auch bei der Schulkindbetreuung besteht weiterer Bedarf. Die Frage der Familienfreundlichkeit muss sich durch alle Themenbereiche ziehen. Ich werde dem Rat auch vorschlagen, eine zentrale Anlaufstelle für Familien einzurichten.

Auch Winsen muss bis 2013 für jedes dritte Kind einen Krippenplatz anbieten. Wie hoch ist der tatsächliche Bedarf?

Wiese: Wir können im Moment noch kein Ende absehen. Die 35 Prozent schaffen wir deutlich vorher. Aber das wird nicht reichen. Ich denke, dass wir knapp über 40 Prozent brauchen. Wenn alles klappt, stellen wir im kommenden Jahr zusätzlich 72 Krippenplätze zur Verfügung. Den Ausbau werden wir zum Großteil selbst finanzieren.

Mit welchen Kosten rechnen Sie?

Wiese: Das werde ich mit dem Kämmerer besprechen. Wir werden im kommenden Jahr vorschlagen, eine Krippe mit 30 zusätzlichen Plätzen in Borstel zu bauen. Das lässt sich unter einer Million fast nicht machen. Unser eigentliches Hindernis beim Krippenausbau sind aber nicht die investiven sondern die laufenden Kosten. Wir gehen in Richtung sieben Millionen Euro Zuschuss pro Jahr für Kinderbetreuung. Das ist mehr als die gesamten Grundsteuereinnahmen.

Werden die Elternbeiträge steigen?

Wiese: Ich will jedenfalls nicht ausschließen, dass wir in der Politik darüber reden müssen. Die Elternbeiträge sind beileibe nicht kostendeckend. Das sollen sie auch niemals werden. Man wird aber gucken müssen, ob die Eltern an den Kostensteigerungen prozentual beteiligt werden. Die Spirale dreht sich relativ schnell und stark nach oben.

Sie wollen sich auch für Pendler einsetzen. Wie werden Sie das umsetzen?

Wiese: Mein 10-Punkte-Plan aus dem Wahlkampf ist mit im Gepäck, wenn ich ins Rathaus komme. Wir werden da voll einsteigen müssen, die Baumaßnahmen der Bahn zum dritten Gleis beginnen ja bald. Für die Pendler soll es während der Bauphase einen zentralen Ansprechpartner im Rathaus geben. Außerdem werden wir weitere Parkmöglichkeiten angehen.

Welchen Einfluss haben Sie auf die Verbesserung der Verbindungen?

Wiese: Der Einfluss der Stadt ist begrenzt. Das ist ein dickes Brett, an dem wir bohren müssen, weil da ganz viele Beteiligte am selben Tisch sitzen. Es macht keinen Sinn, in diese Gespräche ohne ein gutes Grundkonzept und ohne Verbündete zu gehen. Insofern werde ich den Schulterschluss mit dem Landkreis Harburg suchen, der ja an einer guten Anbindung der Kreisstadt ein Interesse haben muss.

Planen Sie Veränderungen in der Verwaltung?

Wiese: Ich treffe auf ein bestelltes Haus. Ob wir Aufgaben verändern oder zusätzliches Personal brauchen, lässt sich noch nicht abschließend sagen. Wir werden sicherlich nicht massiv in die Stellenaufstockung gehen. Das passt nicht in die Zeit.

Aber es wird eher eine Aufstockung als einen Abbau geben?

Wiese: Im Moment wüsste ich nicht, wo wir großes Einsparpotenzial haben. Aber das werden wir hausintern sehen. Es kommen ja auch Aufgabenbereiche dazu. Der Bereich Familie ist zum Beispiel im Wesentlichen personell noch so strukturiert wie vor zehn Jahren. Heute muss viel mehr koordiniert werden. Und mehr Aufgaben mit weniger Personal zu schaffen, klappt nicht immer.

Wo sehen Sie im Haushalt noch Einsparpotenzial?

Wiese: Das kann ich im Moment leider noch nicht sagen, weil ich den verwaltungsinternen Haushaltsplanentwurf für 2012 noch nicht kenne. Aber wenn wir solide Finanzen wollen, dann habe ich persönlich wenig Lust, mit dem Rat und in Ausschusssitzungen stundenlang über 300 Euro für einen Seniorenclub zu diskutieren. Sondern dann müssen wir über die großen Posten im Haushalt reden. Kinderbetreuung, Personal, Sachkosten. Aber im Moment konkrete Einsparvorschläge zu machen, halte ich für voreilig.

Wo sehen Sie noch die Möglichkeit zu Mehreinnahmen?

Wiese: Wir sind in Winsen größtenteils abhängig von der allgemeinen konjunkturellen Lage, da wir im Wesentlichen von der Einkommensteuer leben und der Grund- und Gewerbesteuer. Auf Sicht werden wir etwas schneller investieren in den Bereichen, wo wir nachhaltig den Haushalt in den laufenden Ausgaben entlasten können. Straßenbeleuchtung ist ein klassisches Beispiel. Je schneller wir auf sparsame Lampen umstellen, desto weniger Energiekosten produzieren wir. Ähnlich sehe ich das bei der Sanierung städtischer Liegenschaften. Mit den Schulen haben wir schon angefangen. Aber ich habe eine Reihe von Kindertagesstätten vor Augen. Wenn wir da in den kommenden ein, zwei Jahren energetisch was machen, zahlt sich das aus. Insofern kann es durchaus sein, dass wir etwas stärker Schulden machen, um den Haushalt insgesamt zu entlasten.

Winsen hat den Ruf, vor allem von Buchholz abgehängt worden sein. Wie wollen Sie erreichen, dass Winsen auch wieder gefühlte Kreisstadt wird?

Wiese: Natürlich haben wir in Teilen der Stadt eine Diskussion gehabt, weil es die eine oder andere Verlagerung gegeben hat. Ich halte überhaupt nichts davon, in die Vergangenheit zu gucken. Was weg ist, kommt selten wieder. Wir müssen uns die Fragen stellen: Wer sind wir in Winsen, wo wollen wir hin, was sind unsere Ziele und was haben wir für Ideen? Da brauchen wir gar nicht so sehr auf andere Städte und Gemeinden gucken, sondern müssen unseren eigenen Weg finden. Grundsätzlich sind wir solide aufgestellt. Wir haben mehr Polizeibeamte als vorher, auch wenn die Polizeiinspektion weg ist. Wir haben das Finanzamt, das Amtsgericht, die Kreisverwaltung, die Stadtverwaltung und ein sehr gut funktionierendes Krankenhaus, in das jetzt massiv investiert wird. Winsen wird auch immer beliebter als Wohnort. Wir setzen nicht auf Masse. Aber unsere Baugebiete konnten wir sehr schnell an den Mann bringen und die Neubürger fühlen sich unter Strich wohl. Das spricht dafür, dass wir eine Menge Standortvorteile haben.

Wollen Sie weiteres Gewerbe ansiedeln?

Wiese: Wir werden auf Gewerbe nicht verzichten können, wenn wir wohnortnahe Arbeitsplätze wollen. Und wir brauchen auch die Gewerbesteuer, weil das eben einer der höchsten Einnahmeposten ist. Wir haben ein Gewerbegebiet mit guter Verkehrsanbindung, das sehr gut nachgefragt wird. Für die unmittelbare Zukunft sehe ich keinen Handlungsbedarf, weitere Flächen auszuweisen. Perspektivisch wird das ein Thema werden. Dann müssen wir uns rechtzeitig sehr genau Gedanken über die Auswirkungen machen.

Welche Branchen können Sie sich für Winsen vorstellen?

Wiese: Eine Grundentscheidung wird sein, ob wir wieder Schwerpunktgewerbegebiete wollen oder einen Branchen-Mix. Der Gewerbepark mit dem deutlichen Schwerpunkt Logistik funktioniert sehr gut. Wir müssen aber auch ortsansässigen Betrieben die Möglichkeit bieten, sich zu erweitern. Gut laufende Betriebe, die sich vergrößern wollen, dürfen nicht abwandern. Das wäre der größte Fehler. Über Neuansiedlungen von außen kann man sich freuen, aber letzten Endes wächst eine Stadt am gesündesten aus sich selbst heraus.

Was werden die größten Herausforderungen sein, die Winsen in den kommenden Jahren angehen muss?

Wiese (überlegt): Wir müssen unseren Haushalt in Griff behalten und den Spagat schaffen, familienfreundlich zu sein und das auch finanzieren zu können. Die positive Identität, die wir Winser eigentlich haben, müssen wir stärken und auch nach außen zeigen. Die Innenstadt ist so ein klassisches Herzensanliegen vieler Winser. Das wird ein Schwerpunkt sein, der aber schwer von hier oben aus dem Rathaus zu regeln ist. Das geht nur mit vielen Akteuren, die über die Stadt verteilt sind. Mit denen werde ich das Gespräch suchen. Und dann wird natürlich Verkehr ein großes Thema sein.

Wechseln wir das Thema. Welche Erwartungen haben Sie an die Zusammenarbeit mit dem Rat?

Wiese: Ich bin total gespannt und freue mich darauf. Für mich ist das ja ein Umstellungsprozess. Im neuen Stadtrat mit seinen sieben Gruppen muss man sehen, ob sich feste Mehrheiten bilden, die eine engere Zusammenarbeit suchen, oder ob mit wechselnden Mehrheiten gearbeitet wird. Als Verwaltung haben wir nur den Wunsch, dass wir in gewisse Grundentscheidungen Verlässlichkeit reinkriegen. Nichts ist für eine Stadt schlimmer, als wenn man in einer Sache immer hin und her wackelt und sich nicht richtig entscheidet. So kann sich Winsen nicht weiterentwickeln. Ich bin aber ganz optimistisch, dass es in Winsen gelingt, trotz der offensichtlich nicht ganz einfachen Mehrheitsverhältnissen in der Sache die Dinge voreinander zu kriegen.

Welche Rolle wird Ihre CDU-Mitgliedschaft noch spielen?

Wiese: Ich gebe meine Grundüberzeugung zu den Dingen, die in der Welt passieren, mit dem Amt des Bürgermeisters nicht ab. Ich bleibe ein politischer Mensch, der auch seine Meinung hat. Nichtsdestotrotz habe ich einen Grundauftrag, als Bürgermeister für alle da zu sein und überparteilich zu handeln. Und das werde ich nach bestem Wissen und Gewissen versuchen. (abendblatt.de)