Professor Michael Rothschuh kritisiert im Interview die Pläne zur Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße.

Wilhelmsburg. Professor Michael Rothschuh, 66, gilt als einer der Profiliertesten und entschiedensten Gegner der aktuellen Pläne zur Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße (B4/75) in Richtung Osten auf den Bahndamm. Der Professor für Sozialpolitik an der Fachhochschule in Hildesheim ist in Volksdorf und Wandsbek aufgewachsen und lebt im Norden des Wilhelmsburger Reiherstiegviertels. Rothschuh ist im Vorstand des Vereins Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg aktiv. Er bezeichnet sich selbst als "Kind der Autobahnplanung" - seine Eltern lernten sich vor dem Zweiten Weltkrieg bei Planungen für die Reichsautobahn in Österreich kennen. Rothschuhs Vater war nach dem Krieg Verkehrsplaner für Fernstraßen im Verkehrsministerium von Rheinland-Pfalz. Mit dem Hamburger Abendblatt sprach der Wilhelmsburg-Aktivist über die Zukunft der Reichsstraße.

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Hamburger Abendblatt: Professor Rothschuh, sind Sie für oder gegen eine Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße auf den Bahndamm?

Michael Rothschuh: Ich bin für ein Verkehrskonzept, bei dem der Straßenverkehr insgesamt reduziert wird und vor allem möglichst wenig belastender Verkehr durch die Wohngebiete geht. Deshalb muss die Reichsstraße so gestaltet werden, dass sie mehr Nutzen für den Stadtteil als für den Durchgangsverkehr bringt.

Also soll die B 4/75 bleiben, wo sie ist?

Rothschuh: Wenn die Funktion der Straße geklärt ist, kann man über deren Lage reden. Man muss sorgfältig prüfen, ob die jetzige Lage oder die Verlegung neben die Bahngleise geeignet sind, die Stadtentwicklung Wilhelmsburgs voranzubringen. Tatsächlich aber soll die Reichsstraße als isoliertes Projekt gebaut werden, dessen Nachteile an den aktuellen Plänen erkennbar sind.

Welche Nachteile sehen Sie denn?

Rothschuh: Erstens: Nirgendwo sonst werden eine so dicht befahrene Straße mit über 50 000 Fahrzeugen pro Tag und eine Bahnmagistrale, auf der sämtlicher Nord-Süd-Verkehr verläuft, so eng zusammengelegt. Dies führt zu extremen Sicherheitsproblemen, für die an allen vergleichbaren Doppeltrassen von Bahn und Straße Sicherheitsabstände, Schutzwälle und Rettungswälle gebaut werden. Und zweitens: Die neue Straße führt bei weitem nicht zu dem versprochenen Lärmschutz - ja, die jüngste Erklärung des Bundesverkehrsministeriums reduziert den Schutz gerade in dem Gebiet, das von der Internationalen Bauausstellung (IBA) und der Stadtentwicklungsbehörde als mögliches Wohngebiet proklamiert wird.

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Der Bund will keinen Lärmschutz nach Westen auf einer Länge von einem Kilometer zwischen Thielenstraße und Vogelhüttendeich finanzieren. Dabei hatten die Senatorinnen Hajduk und Gundelach verkündet, dass es zum Reiherstiegviertel hin leiser wird und dass hier Wohnungen gebaut werden könnten...

Rothschuh: ..es wird aber lauter werden, weil die neue Trasse auf neun Meter Höhe geführt wird und der Lärm völlig ungeschützt nach Westen dringt.

Wie sieht es insgesamt mit dem Lärmschutz für die neue Wilhelmsburger Reichsstraße aus?

Rothschuh: Es würde einige Wilhelmsburger geben, für die es besser wird, und andere, für die die Autobahn dicht neben dem Haus zur Dauerbelastung wird.

Seit Februar dieses Jahres läuft das Planfeststellungsverfahren für die neue Reichsstraße. Welche Einwände haben Sie geltend gemacht?

Rothschuh: Ich habe auf insgesamt 56 Seiten 18 Punke moniert. Dazu gehört eine Fülle von Fehlern, die aufgrund des hastigen, nichtsdestotrotz extrem langwierigen Verfahrens entstehen, ohne dass man den Sachverstand der Bewohner genutzt hätte. Dazu gehören die fehlende Konsistenz von Stadtplanung und Verkehrsplanung, die Sorge um eine verstärkte Zerschneidung des Stadtteils und die Befürchtung, dass die Straße neben den Autobahnen 1 und 7 faktisch eine dritte Nord-Süd-Autobahn wird.

Die jetzigen Miniautobahnen 252 in Georgswerder und 253 über die Süderelbe sollen in eine Bundesstraße umgetauft werden. Was bedeutet das für die Wilhelmsburger Reichsstraße?

Rothschuh: Das ist ein guter Ansatz zu einer kooperativen Lösung, denn so können zum Beispiel Geschwindigkeit, Breite der Straße und die Anbindung an den Stadtteil stadtteilverträglich geregelt werden. Deshalb plädiere ich dafür, das Planfeststellungsverfahren für die Reichsstraße zu stoppen und in einem gemeinsamen Prozess mit den Bürgern Lösungen für Hamburg und Wilhelmsburg zu finden. Das geht schneller, kostet weniger Geld und ist besseres Regieren als der Weg über Klagen und Gerichte.

Die Finanzierung der Reichsstraße ist beschlossen. Wann werden die ersten Fahrzeuge über die neue Bundesstraße fahren?

Rothschuh: Das weiß ich nicht. Es gibt keine Eile, weil niemand sich wünscht, dass im Jahr 2013 während der igs und der IBA eine neue Großbaustelle mitten in Wilhelmsburg entsteht. Dass der Bund grünes Licht gegeben habe für die Verlegung, das haben wir nun schon seit Jahren wieder und wieder gehört. Auch diesmal erkennt man allenfalls ein gelbes Signal mit vielen Auflagen insbesondere zur Reduzierung des Lärmschutzes. Und dann ist schon das nächste Signal in Sicht: die finanzielle Prüfung des Vorhabens vor der tatsächlichen Planfeststellung.

Wird es nach dem Ende des Planfeststellungsverfahrens Klagen gegen die Verlegung der Reichsstraße geben, und werden sie Erfolg haben?

Rothschuh: Wenn sich nichts grundlegend verändert, wird es Klagen geben. Und dann gilt: Vor Gericht und auf hoher See sind wir in Gottes Hand.

Vielen Dank für das Gespräch.