Mit dem Ausstellungs-Prinzip “Atlas“ soll nicht das fertige Werk in den Mittelpunkt rücken, sondern eher der kreative Prozess der Ideenfindung.

Sie war schon in Madrid. Sie war in Karlsruhe. Und sie kommt jetzt nach Harburg. Die Rede ist von der Ausstellung "Atlas - How to Carry the World on Ones Back", die mit Hilfe der Deichtorhallen Hamburg nach Harburg in die Sammlung Falckenberg reist.

"Atlas", ein Wort, bei dem Geografen vielleicht in Begeisterung geraten mögen, andere eher mit schlechter Erinnerung die Schule, den abgegriffenen dunkelblauen Schulatlas und die seltsame Berechnung von Längen- und Breitengraden vor Augen haben werden. Doch wer einmal über das Prinzip "Atlas" nachdenkt, der kann darin ein merkwürdiges Sammelsurium an Wissen erkennen.

Einer, den das zu ganz kreativen Überlegungen reizte, war der große Kunsthistoriker Aby Warburg (1866-1929), Sohn einer wohlhabenden Bankiers-Familie in Hamburg. Die Ausstellung "Atlas" dockt nun an diesen großen Kunsthistoriker an, der das "Prinzip Atlas" als ein Laboratorium für die Erinnerung begriff. Es war Aby Warburg, der gegen Ende seines Lebens an einem Bilderatlas mit Titel "Mnemosyne" arbeitete - diese unvollendete und im Original verschollene Arbeit bestand aus Holzbilderrahmen, die mit schwarzem Stoff bespannt waren und zu Bildertafeln wurden, auf die der Historiker nämlich unzählige Fotos, aber auch Werbung, Zeitungsartikel und andere Trouvaillien nebeneinander konstellierte.

Ähnlich geht die Ausstellung "Atlas" vor und kombiniert Bilder in einem weiten Bogen vom 20. bis ins 21. Jahrhundert nebeneinander. Der Kurator der Ausstellung, der renommierte französische Bild-Wissenschaftler, Philosoph und Warburg-Experte Georges Didi-Hubermann, vergleicht dieses Verfahren mit dem filmischen Prinzip der Montage: Autorenfilmer Jean-Luc Godard habe gesagt, dass jedes Bild im Film nur in einer "Liebesbeziehung" mit den beiden vorhergehenden funktioniere. So ist in der großen Bilderschau, die in Harburg einziehen wird, eben auch kein Werk "isoliert" zu betrachten, so der Kurator. Es ist eine Konstellation, die einen "Wissenseffekt" produziert, obwohl das Bild historisch nie mit dem Wissen, sondern eher mit der Sinnlichkeit assoziiert wurde.

Mit dem Ausstellungs-Prinzip "Atlas" soll nicht das fertige Werk in den Mittelpunkt rücken, sondern eher der kreative Prozess der Ideenfindung. Die Frage lautet: Wie kommen Künstler zu ihren Ideen, wie entsteht ein Werk, was waren die Quellen? So wird es in Harburg nicht Paul Klees Aquarelle zu sehen geben, sondern sein bescheidenes "Herbarium" und die dadurch angeregten Ideen. Zu sehen ist: Das Werk funktioniert in der Nachbarschaft mit seinen Ideengebern.

Und natürlich darf Falckenbergs Sammlung wieder ihren eigenen Akzent setzen: Besonders günstig erweist sich dabei, dass die Sammlung bereits einigen Künstlern ein Zuhause bietet, deren montierende Sammelleidenschaft eine deutliche Nähe zu Aby Warburgs fragmentarischem Bilderatlas trägt. Da wäre Hanne Darboven zu nennen, die extensiv sammelte und in ihrer Blättersammlung versuchte, dem Wesen der Zeit in einer Materialschau hinterher zu spüren. Ihre Notationen zeugen von einer visuellen Intensität, die für den Betrachter auch so etwas wie Wissen versammelt.

Neben Reproduktionen von Warburgs Bilderatlas werden Zeichnungen, Gemälde, Fotografien und Notizen von zahlreichen Künstlern zu sehen sein (u.a. Francisco de Goya, El Lissitzky, Man Ray, Paul Klee, Guy Debord, Sol Lewitt u.v.m.). Sie alle werden versammelt in einer atlantischen Bilderschau.

Ein Mehrwert, der besucht und unbedingt erkundet sein will.

1. Oktober bis 27. November. Sammlung Falckenberg, Phoenix-Hallen, Wilstorfer Str. 71.