Die Loewe-Stiftung bietet Pflege für psychisch Kranke im Landkreis Harburg an. Ziel sind weniger Psychiatrieaufenthalte

Lüneburg/Winsen. Psychische Erkrankungen nehmen seit Jahren zu. Depressionen und Burnout-Syndrom sind inzwischen zur Volkskrankheit geworden. Doch das Gesundheitssystem ist starr, Bilanzen diktieren oft, wie therapiert wird. Die Konsequenz ist, dass Lücken bei der Behandlung psychisch Kranker klaffen. "Eine wollen wir mit unserer neu ins Leben gerufenen ambulanten psychiatrischen Pflege schließen", sagt Katja Puhlmann von der Johann und Erika Loewe-Stiftung in Lüneburg-Ochtmissen. Motto des Angebotes für Patienten in den Kreisen Lüneburg und Harburg, das von den Krankenkassen anerkannt wird: "Professionelle Unterstützung für die Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben".

"Unser oberstes Ziel ist es, den betroffenen Menschen in ihrem eigenen sozialen Umfeld ihre Selbstständigkeit zu erhalten und zu fördern, um so stationäre Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken zu vermeiden oder wenigstens zu verkürzen", so Puhlmann. Denn, das weiß auch Krankenpfleger Milan Jakuplec von der Stiftung, für viele Kranke sei das Leben zwischen den Klinikaufenthalten wie zu einer Drehtür geworden. Sie gehen für ein paar Tage in die Klinik hinein, dann wieder hinaus, um schon kurz danach wiederzukommen. "Manche lassen sich sogar einweisen, um Urlaub vom Alltag zu machen", sagt Puhlmann.

"Wir wollen den Kreislauf durchbrechen. Weil die Nachbetreuung zu Hause fehlt, geht die Behandlung oft an der Realität vorbei. Die Alltagsprobleme werden nicht gelöst", sagt Jakuplec, der mit vier weiteren Kollegen bei der ambulanten psychiatrischen Pflege an den Start geht.

Die Johann und Erika Loewe-Stiftung wurde 1976 zur Unterstützung und Hilfe von psychisch kranken Menschen gegründet. Im Ortskern des Lüneburger Stadtteils Ochtmissen betreibt sie ein Wohnheim mit 72 Plätzen, eine Werkstatt für Behinderte, in der 86 Menschen arbeiten. Außerdem bildet die Stiftung junge Leute mit seelischen Behinderungen in den Berufsbereichen Büro, Tischlerei, Maler, Küche, Bäckerei und Landwirtschaft aus. Hofladen mit Poststation, Hofcafé und Bäckerei gehören ebenfalls zur Einrichtung im Ortskern.

Siegfried Ziehe vom Stiftungsvorstand sagt, Anstoß für das bisher noch nie da gewesene Angebot der psychiatrischen Pflege hätten Versorgungslücken gegeben, die immer offensichtlicher geworden waren. "Uns ist aufgefallen, dass bei der ambulanten Hilfe Patienten nicht alles geboten werden kann, was sie im Einzelfall benötigen. Das gilt vor allem in akuten Krisen." Im Klartext heißt das, aus Kostengründen wurde die Aufenthaltsdauer in Krankenhäusern reduziert. "Damit ist die Nachsorge umso wichtiger geworden", so Ziehe.

Die 220 Betten der Erwachsenenstation in der Psychiatrischen Klinik Lüneburg sind bereits seit einigen Jahren im Unterschied zu früher fast immer alle belegt. Es werden sogar zusätzliche Betten benötigt. "Auch wir verzeichnen steigende Fallzahlen, bei sinkender Aufenthaltsdauer", sagte Chefärztin Dr. Angela Schürmann gegenüber dem Hamburger Abendblatt.

Um eine reibungslose Betreuung für die Betreuten zu schaffen, arbeitet die Loewe-Stiftung eng mit den niedergelassenen Ärzten und Fachärzten zusammen. "Der Arzt verordnet die Pflege. Wir sind bei der Anfrage da und informieren den Arzt stetig über die gesundheitliche Entwicklung eines Patienten", so Milan Jakuplec.

Menschen im Erwachsenenalter mit akuten psychiatrischen Erkrankungen wie affektiven Störungen, Depressionen, Schizophrenie, Angst, Zwangs- und Panikstörungen, Persönlichkeits- und posttraumatischen Belastungsstörungen werden behandelt. Suchtkranke dürfen nicht betreut werden. "Die Zahl der Betroffenen ist schwer zu schätzen. Ich gehe davon aus, dass es in den Kreisen Lüneburg und Harburg wohl etwa 1000 Menschen sind, die Hilfe benötigen und daheim gepflegt werden können", sagt Jakuplec.

Einer von ihnen ist Georg Heinzelmann (*Name von der Red. geändert). In einem zweijährigen Probelauf, den nicht seine Krankenkasse, sondern das Sozialamt bezahlt hatte, habe er, wie er es selber formuliert, die ambulante psychiatrische Pflege genossen.

"Ich bin gesundheitlich stabiler geworden und habe jetzt wieder eine Struktur im Tagesablauf", sagt der 55-Jährige. Die war ihm im Lauf der Jahre völlig abhanden gekommen. "Ich wusste nichts mehr mit der Zeit anzufangen, bin über Stunden kilometerweit und ziellos durch meine Wohnung gelaufen, konnte keine Post öffnen, weil ich Angst vor bösen Briefen hatte", schildert er sein Leben, das aus den Fugen geraten war, wie riesige Berge ungeöffneter Post bei ihm zuhause sichtbar machten.

Eine eindeutige medizinische Diagnose für sein Verhalten gibt es nicht. "Mein Krankheitsbild umfasste Psychosen. Ich war gewalttätig gegenüber meiner Frau, war von wahnhafter Eifersucht befallen, hatte Depressionen, kam drei Jahre nicht mehr vom Sofa herunter", erzählt der 57-Jährige, der inzwischen Rentner ist, weil er wegen seiner seelischen Erkrankung nicht mehr in seinem Beruf als Tischler weiterarbeiten konnte. Nach seiner Scheidung hatte er endgültig den Boden unter den Füßen verloren. "Plötzlich war jeder Halt weg." Besser wurde es erst, als er ambulant zu Hause betreut wurde. "Mein Leben hat wieder eine Ordnung."

Alle Schwierigkeiten wurden mit Hilfe eines Wochenplanes und vielen Gesprächen mit der Betreuerin aufgearbeitet und zum Teil behoben. Wichtig für den Erfolg sei gewesen, dass seine Pflege zuverlässig war. Das habe ihm Sicherheit und Vertrauen gegeben.

"Mittlerweile kann ich wieder stundenweise in meinem Nebenjob als Tischler arbeiten, weil ich zuverlässiger geworden bin. Früher war das anders. Ich bin einfach zu Hause geblieben, wenn ich keine Lust zum Arbeiten hatte", sagt er. Zudem habe er ein Hobby für sich entdeckt. "Ich schraube an Motorrädern herum. Das Basteln macht mir Spaß."