Sie gelten als Urform der hiesigen Kulturlandschaft und bilden die Lebensgrundlage für 5000 Tier- und Pflanzenarten

Toppenstedt. Der Trend geht zu Monokulturen, weil die moderne Landwirtschaft das so verlangt: Mais als Futter für die immer größer werdenden Viehbestände und Energiepflanze für Biogasanlagen. Der Verlust der Artenvielfalt ist die Folge. Seit einem Jahr versucht der Lüneburger Streuobstwiesen-Verein der Entwicklung entgegenzusteuern.

"Der Erhalt der noch bestehenden Streuobstwiesen und der Aufbau neuer Bestände hat nichts mit Öko-Spinnerei und Nostalgie zu tun", sagt Vorsitzender Ulrich Hellfritz. Vielmehr böten Streuobstwiesen eine hohe Artenvielfalt, die in einem Maisfeld nicht mehr zu finden sei. "Uns geht es auch darum, alte Obstsorten zu erhalten, indem wir sie vermehren", so Hellfritz. Zielgruppen sind Landwirte und Privatpersonen, die die Früchte nutzen wollen, Streuobstwiesen-Besitzer, die alters- oder gesundheitsbedingt ihre Bestände nicht mehr pflegen können, sie aber gern erhalten möchten, und in der Umweltbildung tätige Menschen, für die eine Streuobstwiese ein ideales Lehr- und Lernfeld ist. Der Verein arbeitet mit dem Naturschutzbund Deutschland (Nabu) zusammen. Laut Nabu sind Streuobstwiesen in ihrer Vielfalt der Anbauformen prägender Bestandteil der mitteleuropäischen Kulturlandschaften, vergleichbar mit Oliven- oder Mandelhainen in Südeuropa. Für die Artenvielfalt spielen sie mit mehr als 5000 Tier- und Pflanzenarten sowie über 3000 Obstsorten eine herausragende Rolle. "Gefährdet waren Streuobstbestände mit ihren hochstämmigen Bäumen in den 1950er- bis 1970er-Jahren durch teils öffentlich geförderte Rodungen, die meist die Umwandlung in niederstämmige Monokulturen zum Ziel hatten", so der Nabu. Heute seien die Bestände durch Bebauung, Intensivierung von Gärten mit englischem Rasen und Nadelbäumen sowie in ländlichen Räumen durch Nutzungsaufgabe und Brachen gefährdet.

Dem Streuobstwiesen-Verein haben sich in seinem ersten Jahr 35 Mitglieder angeschlossen. "Die Interessenten- und Unterstützerkreis ist mit 100 Frauen und Männern aber wesentlich größer", sagt Hellfritz. Ihm zufolge gibt es in der Region noch mehrere Dutzend Streuobstwiesen. Zurzeit führe der Verein Gespräche über die Bewirtschaftung von drei Flächen im Stadtgebiet Lüneburg. Seit fast 20 Jahren ist eine Streuobstwiese das Lebenselixier für Werner und Jutta Rauche aus Toppenstedt im Kreis Harburg. Im Kronsmoor bei Tangendorf hatten sie 1992 begonnen, nach und nach eine 2,5 Hektar große Weide in eine Streuobstwiese umzugestalten. Inzwischen stehen dort 243 Apfelbäume, an denen Früchte von mindestens 220 alten Sorten wachsen.

Zu ihrem zeitaufwändigen Hobby sind sie gekommen, weil sie gerne Äpfel essen. "Ein bis eineinhalb Kilogramm jeden Tag. Äpfel sind gesund", sagt Werner Rauche. Auch der Spaß am Veredeln, dem Vermehren von Pflanzen, hat ihn zum Anbau der Streuobstwiese gebracht. "Als ich erst sechs Jahre alt war, hat mir unser Nachbar, der technischer Leiter des Hamburger Stadtparks war, schon die Pflanzenveredelung beigebracht", so der 74-Jährige über den Beginn seiner Leidenschaft. Zudem ist er von dem Obst als Kulturgut fasziniert. Jedoch würden die meisten neuen Sorten nicht schmecken.

Der "Toppenstedter Schützenapfel" aus der eigenen Zucht ist ein Zufallsprodukt. "Den gibt es nur einmal auf der Welt", sagt Jutta Rauche. Der Urvater steht auf der Streuobstwiese. "20 Jahre lang hat der Baum nie Äpfel getragen, weil keine Blütenbestäubung stattgefunden hat. Doch eines Tages war es dann für uns völlig überraschend doch so weit." Vor rund 150 Jahren habe es noch 10 000 verschiedene Apfelsorten gegeben, sagt Werner Rauche. "Heute sind es vielleicht nur noch 5000." Früher seien auf einem Hektar nur hochstämmige 120 Bäume gewachsen, in den Plantagen seien es heute 3000 kleine. "Es werden aber nur höchstens zehn verschiedene Sorten angebaut." Die Streuobstwiese kostet viel Arbeit. Baumschnitt und Ernte müssen erledigt werden. "In der Woche bin ich zwei bis drei Tage hier und pflege die Bäume", sagt Rauche. "Bienen, Schmetterlinge, Würmer, Hasen, Rehe fühlen sich neben vielen anderen auf unserem Gelände wohl, wie auch Meisen, Rotkehlchen, Feldlerchen und Fledermäuse in den 86 Nistkästen, die in den Bäumen hängen", sagt seine Frau. Denn auch die Tiere laben sich an der Apfelernte, die bis zu 30 Zentner betragen kann.

So viel werfen die 27 Bäume auf der Streuobstwiese, die Gärtnermeister Dirk Nastke vor drei Jahren in Lüdershausen angelegt hat, nicht ab. Auf der einstigen Brache wachsen alte Apfelsorten und Mirabellen. "Wir essen gerne Äpfel und setzen dabei auf Bioprodukte von der eigenen Wiese", sagt Nastke. "Kunstdünger und andere Chemie gibt es bei uns nicht. Der Boden wurde nur mit Pferdemist kultiviert." Das passt zu den Zielen des Streuobstwiesen-Vereins. "Wir wollen die Biozertifizierung für unsere Produkte", so Vorsitzender Hellfritz.

Dirk Nastke sagt, gerade auf dem Land stünden viele Flächen zur Verfügung, die in Streuobstwiesen umgewandelt werden könnten. "Wir müssen das Ökosystem wieder bereichern und der Natur Gutes tun, auch indem wieder mehr Grünland geschaffen wird." Der Gärtnermeister will seinen Beitrag leisten. "Auf der Streuobstwiese pflanze ich noch Pflaumen und Kirschen."