Der Harburger Turnerbund bietet Migrantinnen kostenlose Pilates-Stunden an. Auch deutsche Frauen sind willkommen

Harburg. Frauen tratschen gerne. Das ist nicht nur in Deutschland so - das ist ein universales Phänomen. Auch beim Migrationssport im Clubhaus des Harburger Turnerbundes wird getratscht und geschnattert, was das Mundwerk hergibt. Kurz vor Beginn der Pilates-Stunde stehen rund 25, vor allem türkischstämmige Frauen zusammen und tauschen lautstark die neuesten Informationen aus. Verstehen kann Kursleiterin Marina Prillwitz die Gespräche nicht, denn sie selbst spricht kein Türkisch. Doch wenn die 50-Jährige pünktlich um 10.30 Uhr zur Ruhe mahnt und ihre Übungsstunde starten will, kehrt im lichtdurchfluteten Saal sofort Stille ein.

Die Teilnehmerinnen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren lauschen gebannt den Anweisungen, die Prillwitz vorträgt. Sie erklärt, dass man beim Pilates-Training stets das "Powerhouse" anspannen muss. "Das ist dieser Bauch-Bereich", sagt sie und deutet auf die Magen- und Bauchnabelregion. Dann fängt sie an, langsam die Hüften zu kreisen. Das Training beginnt.

Eine Stunde lang quälen sich die Frauen bei zahlreichen Übungen, die vor allem der Stärkung ihrer Muskulatur dienen. Der Sport, sagt Marina Prillwitz, helfe nicht nur dabei, einen straffen Körper zu bekommen, sondern vor allem auch die Integration der Frauen zu verbessern. "Viele von ihnen sprechen zwar perfekt Deutsch, aber einige haben noch große Probleme mit der Sprache", erklärt Prillwitz. Ziel der Kursleiterin ist es deshalb, mit Hilfe des Programms einen Raum für kulturellen Austausch zu schaffen, der zu einer Art Schmelztiegel wird: "Ich wünsche mir, dass wir in Zukunft nicht nur Türkinnen, sondern auch Frauen mit italienischen oder spanischen, polnischen, deutschen oder afrikanischen Wurzeln hier begrüßen können. Sie alle könnten sich dann auf Deutsch miteinander unterhalten", sagt Prillwitz. Und genau das, betont sie, sei dann gelebte Integration.

Die Möglichkeit, dass der Wunsch der engagierten Übungsleiterin in Erfüllung geht, besteht durchaus. Seit Beginn des Pilates-Kurses Anfang April steigt die Nachfrage nach dem kostenlosen und vom Bundesinnenministerium und der Hansestadt Hamburg geförderten Programm stetig. Anfangs trafen sich lediglich acht Frauen. Inzwischen nehmen Woche für Woche rund 30 Migrantinnen am Pilates-Training teil. "Das Interesse ist so groß, dass wir nun auch am späten Montagnachmittag eine Übungsstunde anbieten werden", sagt Prillwitz.

Vor allem die Werbung bei dem in Harburg ansässigen Migrantenelternbund hat die Trainingsnachfrage deutlich gesteigert. "Seit wir in Kontakt mit dem Verein stehen, melden sich ständig neue Frauen, die am Kurs teilnehmen wollen", sagt Prillwitz, "das war vorher - trotz bestehender Pilates-Angebote im Turnerbund - nicht so."

Nach dem Sommer möchte der Verein neben Pilates auch noch ein Selbstverteidigungsprogramm für Migrantinnen anbieten. Vor allem für viele Musliminnen sind derlei Offerten eine große Bereicherung. "Es ist auf jeden Fall von Vorteil, dass die Frauen hier unter sich sein können", sagt Sila Gencer, die den Pilates-Kursus gemeinsam mit ihrer Mutter Deniz besucht. Die 21-Jährige wurde in Deutschland geboren, ihre Mutter stammt aus der Türkei. Beide fühlen sich wohl in Deutschland und freuen sich, dass es in Harburg Angebote wie das Pilates-Training des Turnerbundes gibt. Dadurch, dass gezielt Migrantinnen angesprochen werden, sagt Sila, würden sich viele Frauen mit türkischen oder persischen Wurzeln endlich einmal trauen, den Schritt in einen Sportverein zu wagen und sich so zu integrieren.

Silas Mutter Deniz hat viele der Pilates-Aktiven in persönlichen Gesprächen vom Angebot des Turnerbundes überzeugt. "Einige Freundinnen von mir waren sofort begeistert, andere zögerten zunächst", erzählt die Mutter dreier Kinder. Voll und ganz überzeugt waren sie aber, als Deniz ihnen berichtete, dass es nach dem Sport auch noch ein gemeinsames Frühstück im Vereinsheim gibt. "Nur auf das häufig mitgebrachte Fladenbrot sollte man da verzichten", sagt die 44-Jährige, "sonst sind die Pfunde nach dem Training gleich wieder drauf."

Wenn es um überflüssige Kilos geht, spielen unterschiedliche Kulturen keine Rolle. Mit Kalorien, sagt Deniz Gencer, hätten schließlich alle Frauen zu kämpfen. Das ist nicht nur in Deutschland so. Nein, auch das ist ein universales Phänomen.