Auch Pflegeheim-Bewohner haben Freude am virtuellen Freizeitsport

Harburg. "Strike!", dröhnt es durch den Gemeinschaftsraum. Marga Steffens hat gleich im ersten Versuch alle zehn Kegel umgeworfen und erntet den Applaus ihrer vier Mitstreiter, die gebannt in Richtung Flachbild-Fernseher blicken. Sie alle sitzen im Rollstuhl oder sind etwas wackelig auf den Beinen, sodass eine richtige Partie Bowling nicht mehr in Frage kommt. Aber dank der Spielkonsole Wii können sie die Sportart in leicht veränderter Form dennoch durchführen - und zwar virtuell. "Ein riesiger Spaß", bemerkt Marga Steffens, während sie sich schon wieder höchst konzentriert auf den nächsten Wurfversuch vorbereitet.

Seit Herbst vergangenen Jahres gibt es in der Seniorenresidenz Harburger Sand bereits das Angebot, Sportarten wie Tennis, Bowling oder Boxen einzeln oder in kleinen Gruppen über die Wii-Konsole zu spielen. Das Besondere daran: Die Steuerung des Videospiels funktioniert nicht - wie gewöhnlich - über einen Joystick, sondern ausschließlich über einen Infrarotkontroller, der die Hand- und Körperbewegungen der Aktiven auf dem Bildschirm abbildet und dadurch auch die Motorik und Orientierung der Spieler fördert. "Das ist anstrengender und komplizierter, als man denkt", erklärt Steffens, "schon wenn man das Handgelenk nur ganz leicht verdreht, reagiert der Kontroller sofort, und man kassiert prompt einen Fehlwurf."

Letzteren kann die 62-Jährige an diesem Tag glücklicherweise vermeiden. Ihre Technik ist ausgeklügelt. Und auch, wenn Marga Steffens aufgrund eines Schlaganfalls vor einigen Jahren im Rollstuhl sitzt, hat sie sichtlich Freude an der virtuellen Bowling-Partie. "Von Spiel zu Spiel wird man immer besser", sagt die ehemalige Erzieherin und lacht. Eine Erkenntnis, die auch die leitende Ergotherapeutin der Seniorenresidenz, Viola Krist, nur bestätigen kann. "Bei den Spielern wird die räumliche Orientierung angeregt und die Auge-Hand-Koordination gefördert. Selbst bei dementen Patienten können die Wii-Spiele dazu beitragen, ihre Wahrnehmung zu verbessern", erklärt die 49-Jährige ihre Beobachtung.

Bestätigt werden Krists Annahmen durch eine Pilotstudie, die das Universitätsklinikum Erlangen im vergangenen Jahr in Zusammenarbeit mit der Diakonie Bayern erarbeitet hat: Durch den gezielten Einsatz von Sportspielen auf der Wii-Konsole könne bei Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohnern "ein günstiger Einfluss auf die kognitiven Fähigkeiten" erreicht werden, heißt es in der Studie.

Da verwundert es kaum, dass in ganz Deutschland immer mehr Pflege- und Betreuungseinrichtungen ihren Bewohnern den virtuellen Sport via Spielkonsole anbieten und darauf hoffen, dass die zumeist älteren Herrschaften Gefallen am technischen Trubel auf dem Flachbild-Fernseher finden. Doch genau darin, sagt Ergotherapeutin Viola Krist, liege oftmals auch eine gewisse Problematik. "Viele ältere Bewohner sind von der Technik einer Spielekonsole abgeschreckt. Wir erleben es häufig, dass sie die Spiele gerne beobachten, selbst aber nicht aktiv werden möchten." Aus diesem Grund, betont Krist, können Innovationen wie die Wii-Konsole immer nur ergänzend zu anderen Programmen verstanden werden. "Die Beschäftigung mit der Wii ist nur eine von vielen Freizeitaktivitäten, die unsere Seniorenresidenz den Bewohnern anbietet. Wer keinen Spaß daran hat, muss sich damit auch nicht auseinandersetzen", sagt Krist.

Sie versucht stets die Individualität und die Interessen der einzelnen Bewohner zu berücksichtigen und ist deshalb stolz darauf, ihren Klienten eine Vielzahl von Freizeitangeboten vorstellen und schmackhaft machen zu können. Neben Gymnastik, Sitztanz, Koch- und Malunterricht, musikalischen Angeboten, einem Kinoabend, Gedächtnis-Training am Computer oder ergotherapeutischen Maßnahmen im sogenannten Snoezelen-Raum gibt es in der Seniorenresidenz Harburger Sand eine große Anzahl von Veranstaltungen und Unternehmungen, unter denen bislang jeder Bewohner eine für ihn passende Beschäftigung gefunden hat.

Genau das ist es auch, was Marga Steffens so an der Einrichtung schätzt. Sie respektiert und achtet die Philosophie des Hauses, von den Betreuern und Therapeuten nicht nur umsorgt, sondern auch gezielt gefordert zu werden. Sei es mit Hilfe einer Spielkonsole oder aber im Rahmen anderer Aktivitäten. Dass ihre Bowling-Mitstreiterin, Frau Kröger, nun lieber eine Runde Baseball spielen möchte - virtuell, versteht sich - ist für Steffens kein Problem. "Mein Erfolgserlebnis hatte ich ja schon", sagt sie. Zumindest den Strike, das weiß die 62-Jährige, kann ihr heute niemand mehr nehmen.