Bundeswehrsoldat erlebte Raketenangriffe und lernte Menschen kennen, die sich für Hilfeleistungen bedankten
Wilstorf. Die gepanzerten Wagen holpern über Geröll. Die Soldaten werden auf ihren Sitzen hin und her gerüttelt. Sie tragen Helme und Handschuhe. Es ist kalt im Marmal-Gebirge. Plötzlich stoppt der Konvoi. Jan-Mitsuo Stüve ist als Hecksicherer dabei. Durch eine kleine Luke hinten im Wagen soll er beobachten, was sich hinter den Fahrzeugen tut. Warum der Wagen stoppt, kann er nicht erkennen. "In diesem Moment habe ich es das erste Mal richtig mit der Angst zu tun bekommen", erinnert sich Jan Stüve. Doch es war kein Angriff, eine Schafherde hatte die Straße blockiert.
Jan-Mitsuo Stüve, 30, wurde in Harburg geboren und lebt seit 25 Jahren in Wilstorf. Er ist Oberfeldwebel bei der Bundeswehr und war von Februar bis Mai 2009 in Afghanistan. Im Camp Marmal, in der Nähe der Stadt Mazar-e-Sharif, war er, zusammen mit knapp 2000 anderen Soldaten, stationiert.
Vor dem Auslandseinsatz einen Organspendeausweis unterschrieben
Von seinem Einsatz zu erzählen, fällt Jan Stüve nicht leicht. Über Raketenangriffe, Explosionen und Gefechte - Szenen, die wir jeden Tag im Fernsehen sehen, mag er nicht sprechen. Dafür sind die Erlebnisse noch zu frisch.
Jan Stüve hatte während seiner Schulzeit ein Betriebspraktikum in der Kaserne Fischbek gemacht. Das hatte ihm so gut gefallen, dass er sich 1998 als Freiwilliger meldete und für zwölf Jahre verpflichten ließ. Zu Beginn seiner Dienstzeit muss jeder Zeitsoldat unterschreiben, dass er für Auslandseinsätze zur Verfügung steht. Damit, dass er noch für einen Auslandseinsatz eingeteilt werden würde, hatte er jedoch nicht mehr gerechnet, denn seine Dienstzeit endet im Oktober 2010. Im Oktober 2008 erfuhr Jan Stüve, dass er nach Afghanistan gehen sollte. Er war überrascht, aber er regte sich nicht auf. "Ich sah diesen Einsatz als Teil meines Berufes", sagt Jan Stüve.
Trotzdem traf er Vorsichtsmaßnahmen. Von seinen Versicherungen ließ er sich bestätigen, dass sein Versicherungsschutz bestehen bleibt, trotz des risikoreichen Einsatzes. Er füllte einen Organspende Ausweis aus. "Es gab so viel Papierkram zu tun, dass ich wenig Zeit hatte, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen, was alles passieren könnte", erinnert er sich.
Im Camp Marmal war Jan Stüve für die Versorgung des Feldlagers zuständig. In Containern werden alle größeren elektronischen Geräte gelagert. Jan Stüve hatte die Verantwortung für diese Container. Wenn irgendwo in dem 2000 Quadratmeter großen Lager eine Heizung oder Klimaanlage kaputt ging, musste er dafür sorgen, dass das Gerät repariert oder ausgewechselt wurde - Tag und Nacht.
Zu Beginn seines Aufenthaltes im Februar waren in Mazar-e-Sharif noch Temperaturen um Null Grad, aber schon Ende März kletterte das Thermometer jeden Tag auf mindestens 35 Grad Celsius, "da wurde die Nachfrage nach Klimaanlagen natürlich größer", sagt Jan Stüve.
Seine Unterkunft: Ein zehn Quadratmeter großer Container - schusssicher. Den teilte er sich mit zwei Kameraden. An Privatsphäre war nicht zu denken. Mit Lebensmitteln waren die Soldaten dafür gut versorgt. Meistens gab es zwei bis drei Gerichte zur Auswahl, zum Beispiel Schweinefleisch oder Geflügel und als Beilage Nudeln, Kartoffeln oder Reis. "Die Gerichte mit Geflügel waren allerdings manchmal für die muslimischen Soldaten reserviert, denn auch unter den deutschen Soldaten gibt es viele Moslems.", berichtet Jan Stüve. "Der Nachschub kommt allerdings über Pakistan und wenn er da aufgehalten wird, ist meistens nur die Hälfte, von dem, was auf der Speisekarte steht, erhältlich."
Ein Vater zeigte seine Dankbarkeit mit Tränen in den Augen
Über negative Erlebnisse, die er während seines Einsatzes in Afghanistan gemacht hat, spricht Jan nicht gerne, aber an die positiven Dinge denkt er oft zurück, denn sie geben ihm das Gefühl, dass sein Einsatz einen Sinn hatte. Dazu gehört zum Beispiel die Reaktion der afghanischen Bevölkerung auf die ausländischen Soldaten. "Es war ein schönes Gefühl, wenn die Menschen uns zuwinkten und lächelten, wenn wir durch die Dörfer fuhren", erzählt Jan Stüve. "Einmal, als wir eine Grundschule um ein etwa 60 Quadratmeter großes Zelt erweitert haben, kam der Vater eines kleinen Jungen zu uns, um sich zu bedanken. Ihm standen Tränen in den Augen." Die Kinder mussten vorher unter freiem Himmel in glühender Hitze unterrichtet werden.
Zu seinen Eltern hatte Jan über Telefon Kontakt. Die Gespräche waren zwar ziemlich teuer, aber dafür machten seine Eltern sich weniger Sorgen. Er hatte ihnen erst sechs Wochen vor der Abreise von seinem Einsatz in Afghanistan erzählt, um sie möglichst lange mit dieser Nachricht zu verschonen. "Natürlich waren sie nicht begeistert. Meine Mutter machte sich große Sorgen, darum habe ich auch fast täglich mit ihr telefoniert", so Jan Stüve.
Als er nach Hause zurückkam ging er gleich in die Bundeswehrfachschule Hamburg, um dort sein Fachabitur in Wirtschaft nachzuholen. Er hatte sich schon vor dem Einsatz dafür entschieden.
Aus Zeitgründen hat Jan Stüve bis jetzt noch nicht an einem Nachbereitungsseminar teilgenommen, die für die zurückkommenden Soldaten eingerichtet sind, um ihnen bei der Verarbeitung ihrer Erlebnisse zu helfen.
Wenn er das Fachabitur bestanden hat, will er ein solches Seminar aber noch besuchen. Und dann wird er sich nach einem Arbeitsplatz umsehen, entweder im öffentlichen Dienst, oder als Logistiker in einer Firma. Vielleicht wird ihm sein Afghanistaneinsatz dabei noch von Nutzen sein. "Zuverlässigkeit und Belastbarkeit sind schließlich Eigenschaften, die in jedem Beruf wichtig sind", meint Stüve.
Aber auch, wenn sich durch den Afghanistaneinsatz keine direkten Vorteile für ihn auftun, bereut Jan Stüve nicht, dass er sich als Zeitsoldat für Auslandseinsätzen bereitgestellt hat. "Trotz der Einschränkungen ist der Afghanistaneinsatz ein besonderer Abschnitt meines Lebens, den ich nicht missen möchte", sagt Jan Stüve. "Es ist ein schönes Gefühl, wenn man merkt, dass man etwas Positives bewirkt, auch wenn man natürlich nicht überall gleichzeitig helfen kann."