Die Saison beginnt: Ein Betrieb bei Winsen versorgt den Hamburger Markt mit dem Naturprodukt Fisch.

Bahlburg. Die Karpfensaison in Niedersachsen hat begonnen - etwa zwei Wochen später als normalerweise üblich. Die "Ernte", so heißt das Abfischen, in den heimischen Teichen wird nach Angaben der Landwirtschaftskammer geringer als im Vorjahr ausfallen. Wegen des extrem langen und kalten Winters sowie der kühlen Temperaturen im August bringen die fangfrischen Karpfen in diesem Jahr weniger Gewicht auf die Waage: 18 Grad warm soll das Wasser schon sein, damit ein Karpfen frisst. Ein Karpfen für den Handel wiegt etwa eineinhalb bis zweieinhalb Kilo.

Zehn Familienbetriebe und zahlreiche kleine Karpfenteichwirtschaften im Nebenerwerb in Niedersachsen werden voraussichtlich 250 Tonnen Karpfen abfischen. Im Vorjahr sind es 260 Tonnen gewesen. Das Kilo Karpfen kostet beim Erzeuger etwa sieben Euro, das grätenfreie Filet liegt bei 17 Euro je Kilogramm.

Drei Jahre wachsen Karpfen in naturnahen Teichen heran. Erzeuger füttern die Fische dabei lediglich mit Getreide als Beifutter. Abgefischt werden die Karpfenteiche von September bis Dezember. Vor allem zur Advents- und Weichnachtszeit steigt die Nachfrage.

Etwa 500 Tonnen Karpfen verspeist die Bevölkerung in Hamburg und Umgebung in der Saison. Wenn der Süßwasserfisch in den Restaurants der Freien und Hansestadt auf den Tisch kommt, stammt er meist aus dem Landkreis Harburg. In dem kleinen Dorf Bahlburg bei Winsen hat die Möller & Reichenbach GmbH, einer der führenden Lebendfisch-Importeure, Hälterbecken und einen Verarbeitungsbetrieb. Ein Hauch Hafenduft weht hier - umgeben von Feldern mitten im niedersächsischen Flachland.

Das 1889 in Hamburg gegründete Unternehmen versorgt nach Angaben ihres Geschäftsführenden Gesellschafters Jens Schrader nahezu vollständig den Hamburger Markt mit lebendem Karpfen. Möller & Reichenbach beliefert Restaurants, Ladengeschäfte und Supermärkte. Insgesamt 35 Mitarbeiter beschäftigt Möller & Reichenbach: 20 in Bahlburg, 15 in der Niederlassung am Hamburger Fischmarkt. Die Fische bezieht der Importeur von Züchtern aus Brandenburg und Sachsen. In der Saison hält der Betrieb ständig fünf bis zehn Tonnen Karpfen in Becken vor, die mit Wasser aus der Aue gespeist werden. Frischwasser ist eine Grundvoraussetzung für den guten Geschmack.

In dem 2000 Quadratmeter großen Becken schwimmen nicht nur Karpfen, sondern auch andere Fische wie Aale und Forellen. "Wir könnten hier bis zu 200 Tonnen lebende Fische lagern", sagt Jens Schrader. Früher hat der Betrieb ausschließlich mit lebendem Karpfen gehandelt. Heute bevorzugen viele Kunden lieber frisch geschlachtete Fische. "Wir sind einer der wenigen, die das machen", sagt Jens Schrader. "Selber schlachten, das können meist nur noch ältere Fischhändler."

Wie kommt ein Fischverarbeitungsbetrieb zwischen die landwirtschaftlichen Felder vor einem niedersächsischen Dorf? Wegen einer Ölverschmutzung in der Alster entschloss sich die Möller & Reichenbach GmbH 1963 eine neue Hälteranlage bei Winsen zu errichten. Früher sei dort eine Mühle gewesen. "Mit dem Standort übernahmen wir auch das für uns wichtige Staurecht", erklärt Jens Schrader.

Die Essgewohnheiten haben sich geändert: Karpfen in traditioneller Form, zum Beispiel "Karpfen blau", kennt beinahe nur noch die ältere Generation. Jüngere verspeisen den Fisch lieber als Filet.

Der Karpfen habe nicht mehr den Stellenwert wie vor 20 Jahren", sagt Jens Schrader. Eigentlich unverständlich, denn eigentlich müssten Ernährungswissenschaftler und Vermarkter diesen Fisch als modernes Nahrungsmittel feiern. "Der Karpfen ist ein Produkt, das in die Zeit passt", sagt Jens Schrader. Ein Naturprodukt, eine Alternative zur Massentierhaltung. Der Karpfen werde nicht gemästet und kaum gefüttert. Bis auf das Getreide als Beifutter, ernähre sich der Fisch davon, was er im Teich findet.

Wie die Renaissance des Karpfens vorangetrieben werden könnte, zeigt ein Plakat aus Tschechien in dem Flur vor Schraders Büro in Bahlburg: Eine junge attraktive Frau im urbanen Sex & The City-Stil trägt einen Karpfen im Einkaufsnetz. Der Fisch wirkt dabei auf dem ersten Blick wie eine Designertasche.