Drei zeitgenössische Künstler spielen auf Schloss Agathenburg ein doppeltes Spiel

Agathenburg. Was ist eigentlich eine falsche Fährte in der Kunst? Sorgt sie zwangsläufig für Täuschung, Enttäuschung und Konfusion beim Betrachter? Oder kann sie vielleicht auch eine neue Sehlust wecken, wenn man die eingefahrenen Sehmuster verlässt und auf neuem, unsicheren Terrain Erfahrungen macht? Die Kunstgeschichte kennt jedenfalls das "Trompe loeil", das schon immer ein Faszinosum war und durch geschickte Perspektiven das Auge an der Nase herumführte und illusionistisch für falsche Raumerfahrungen sorgte, die doch immerhin ästhetische Erfahrungen waren.

Die aktuellen Fährtenleger auf Schloss Agathenburg sind die Kuratorin Bettina Roggmann und drei zeitgenössische Künstler, die die Schlossherrin zu sich bat, um das Thema "Falsche Fährte" in einer reichhaltigen Gruppenschau zu inszenieren. An einem Ort, der wie die Faust aufs Auge passt: Denn das alte Schloss in Agathenburg scheint wahrlich den roten Vorhang zu lüften für einen Umgang mit kunstgeschichtlichen Trugbildern und Ikonen der Malerei.

Margret Eicher offenbart ihr Bildgedächtnis

Da wäre allen voran die auch international erfolgreiche Künstlerin Margret Eicher, 55, die in ihren vor barocker Bildfülle strotzenden Tapisserien, eine Art von riesigen Bordüren gezierten Wandteppichen, ein Spiel von Materialaneignung und Zitierfreude offenbart: Kunstgeschichtlicher Kanon trifft hier auf Gegenwart. In den monumentalen Wandbehängen gibt sich Eicher allerdings weniger als Illusionistin, als dass sie direkt zeigt, dass hier etwas aus verschiedenen Kontexten eklektizistisch zusammenmontiert wurde und zum neuen künstlichen Bildspeicher und Bildgedächtnis der Künstlerin geworden ist.

Eicher klaubt sich ihre Motive frei nach "Open Source-Mentalität" aus Medien und Presseerzeugnissen heraus und vermählt sie in einer digitalen Collage- und Wiederverwertungstechnik: Auf ihrem Wandteppich "Nach der Jagd" findet sich so eine künstliche skurrile Szenerie wieder, die das historische Porträt "Mr. and Mrs. Andrews" des englischen Porträt- und Landschaftsmalers Gainsborough aus dem Jahr 1748 raffiniert in eine neue Nachbarschaft versetzt. Neben dem in originalgetreuer Pose lässig an einem Baum lehnenden Mr. Andrews, einem Landadeligen, taucht plötzlich der Gangsterrapper Snoop Dogg auf, der nicht zuletzt mit sexistischen Texten für Furore sorgte.

Eicher nutzt das Bildreservat der Massenmedien, um so etwas wie den Bildbegriff und archetypische Bilder in unseren Köpfen sowie die Täuschungen durch die allgegenwärtigen Massenmedien zu befragen und sie mit der Kunstgeschichte durch digitales Zusammenfügen zu amalgamieren. Die historischen Wandteppiche dienen ihr dafür als machtvolles Symbol ehemals aristokratischer Repräsentation und Repräsentierfreude sowie zugleich als Tableau und Spielfeld, auf dem sie ihr Zitierfeuerwerk eröffnen und die Gesellschaft befragen kann - denn das Zusammenführen ergibt immer einen Mehrwert an Sinn.

Doch die Tapisserien spielen nicht nur mit dieser vergangenen Machtaura (jetzt hängt der Teppich im Herrschaftssaal), die jetzt vielleicht die Medien inne haben: Sie sind auch Fälschungen (und keine echten Gobelins), die aufgrund digitaler Daten in einer Weberei in Belgien hergestellt wurden, der eigentlichen Heimat der Tapisserie.

250 Jahre liegen also zwischen Gainsboroughs aristokratischem Bildhelden und dem Gangsterrapper und doch enthüllt die Künstlerin in der männlichen Pose, der selbstgewissen Attitüde Verwandte im Geist: Aura, Blick, die lässige Selbstverständlichkeit ähneln sich. "In ihrem öffentlichen Gebaren mache ich sie zu Komplizen", sagt Eicher. Die Kunstgeschichte dient der Mannheimer Künstlerin, die an der Kunstakademie Düsseldorf studierte, als Bildspeicher, der zitiert, in ein Spiel von Fälschungen integriert und um zeitgenössische mediale Aspekte erweitert wird. Diese "doppelte Strategie" war es, die Bettina Roggmann an ihren Künstlern interessierte.

Übertragungen von der Fotografie zur Malerei

Sabine Dehnel treibt ebenfalls ein doppeltes mediales Spiel: Malerei oder Fotografie? Fotografie oder Malerei? Das ist beim Blick auf ihre Werke erst mal nicht so klar, die eine raffinierte Medienstrategie inszenieren. Mannigfache Übertragungen von der Fotografie zur Malerei sorgen für Unschärfen, Verschiebungen und manchmal für Übertragungsverluste. Die Haut ihrer Modelle wird beispielsweise im Studio mit Kreide so geschminkt, dass die Fotografien später wie Malerei anmuten. Ihre Serie Mona I bis III ironisiert den Ikonenstatus von Leonardos Mona Lisa. Und zwar nicht mit einem Lächeln, wie erwartet, sondern mit der Inszenierung eines kopflosen Ausschnitts. Das Dekollete der gezeigten Damen ist jedes Mal von einem Schmuckanhänger mit einer modernen Ikone geziert: mal ist es Marilyn Monroe, mal Romy Schneider oder Maria Callas.

Christian Hagemann wiederum traut sich mit seinen jungen Jahren, der Künstler ist Jahrgang 1976, an altmeisterliche Stillleben heran. Doch kombiniert er diese mit dem postmodernen Alltag. CD-Hüllen und aufgerissene Packungen oder gar zerstoßenes Eis inszeniert er mit der Tiefgründigkeit eines Stilllebens und mit perfekt gesetzten Oberlichtern. Seine streng arrangierten Materialassemblagen scheinen stets auf ein vergangenes Ereignis hinzuweisen, das wie eine Leerstelle das Bild dynamisiert, die nur im Kopf des Betrachters rekonstruiert werden kann.

Normalerweise sind Fälschungen mit einem gefühlten Verlust an Wert verbunden. Doch in der aktuellen Schau auf Schloss Agathenburg bekommt das Ganze plötzlich einen realen künstlerischen Mehrwert, der die Besucher anregt, hinter die doppelbödigen Strategien zu blicken und die Kultur des Sampelns und das Spiel mit den Kontextverschiebungen zu genießen, die in der Täuschung, Wiederverwertung und Umdeutung neue Erfahrungen freilegen.

Vernissage von "Falsche Fährte" am 18. September, 18 Uhr, Ausstellung bis 14. November, Schloss Agathenburg, Hauptstraße, Agathenburg.