Unter Harburgs Oberfläche liegen noch ungezählte gefährliche Relikte aus dem Zweiten Weltkrieg, sagt der Kampfmittelräumdienst.

Harburg. Die Bombe die auf einem Baugelände an der Julius-Ludowieg-Straße gefunden worden ist und, wie berichtet, Mittwoch stundenlang die Harburger Innenstadt lahm legte, ist längst entschärft und abtransportiert worden.

Doch immer noch sorgt der jüngste explosive Fund aus dem Zweiten Weltkrieg für Gesprächsstoff in Harburg. "Wie viele Knaller mögen hier noch unter der Erde liegen?", fragte sich ein Passant. Genau das ist der Knackpunkt.

"Wir schätzen, dass sich im gesamten Hamburger Stadtgebiet noch etwa 3000 Bomben befinden. Wie viele Granaten, Panzerfäuste und Munition noch unter der Erde schlummern, ist nicht bekannt", sagt Peter Bodes, Chef des Kampfmittelräumdienstes der Hamburger Feuerwehr, der mit seinen acht Mitarbeitern die gefährlichen Kriegs-Relikte entschärft. "Das sind keine wissenschaftlichen Erhebungen, sondern die Informationen beruhen auf Kriegspropaganda. Man weiß es also nicht", berichtet Martin Schneider, Pressesprecher der Hamburger Feuerwehr. Dementsprechend gebe es keine genauen Zahlen für Harburg.

Allerdings können Grundeigentümer, die Bauvorhaben planen, von der Verwaltung erfahren, ob das Areal auf einer sogenannten Verdachtsfläche liegt, also einem Bereich, auf dem ehemals Fliegerbomben abgeworfen wurden. Obwohl entsprechende Luftbilder vorliegen, sind entsprechende Daten, die Aufschluss über die Fundorte geben könnten, immer noch nicht erhoben worden - obwohl dies durchaus von öffentlichem Interesse wäre. "Das geschieht immer nur auf Anfrage eines Grundeigentümers", so Dezernatsleiter Thomas Otto.

Wie viele Bomben indes über Harburg abgeworfen wurden und welche verheerende Wirkung sie entfaltenden, wurde dokumentiert. Penibel haben Polizeibeamte in den Kriegstagen Meldung gemacht - ein Tagebuch des Schreckens. Die ersten Bomben fielen in der Nacht vom 17. auf den 18. Mai 1940. Fliegeralarm wurde nicht ausgelöst, sodass viele Harburger im Schlaf überrascht wurden. 27 Menschen starben, zahlreiche Gebäude im Binnenhafen und am Schwarzenberg wurden zerstört. Es sollte erst der Auftakt sein.

Bis Oktober 1940 erfolgten weitere Angriffe. Während der Feuersturm 1943 im Rahmen der Royal-Airforce-Offensive "Operation Gomorrha" über Hamburg tobte, blieb Harburg verschont - noch. Ein Jahr später, am 25. Oktober 1944 erlebte Harburg einen Luftangriff von bis dahin nicht gekanntem Ausmaß. Dabei starben 623 Menschen, ganze Straßenzüge lagen in Trümmern. Der Stadtteil erlebte danach weitere Großangriffe. So wurden am 7. März 1945 etwa 30 Minuten lang Bomben abgeworfen. Die Fliegerkette, die sich am Himmel zeigte, zog sich laut Angaben von Zeitzeugen von Hamburg bis Helgoland und warf ihre tödliche Fracht ab. Viele Harburger bangten in den Kellern ihrer Häuser oder in Luftschutzeinrichtungen um ihr Leben.

Bis am 3. Mai 1945 britische Panzer durch Harburg rollten und das Kriegsende markierten, waren 1708 Harburger bei den Luftangriffen gestorben. Von den im Jahr 1939 registrierten 29 980 Wohnungen wurden 10 400 dem Erdboden gleich gemacht, 5750 schwer und 11 500 leicht beschädigt. Rathaus und Helms-Museum waren nur noch Ruinen, genau wie die Dreifaltigkeitskirche, die St. Johanniskirche und die katholische St. Marienkirche. Die Versorgung mit Trinkwasser und Strom funktionierte längst nicht mehr reibungslos. Menschen irrten obdachlos durch die Straßen.

Nüchtern berichtet eine Luftschutzschadensmeldung der Polizei vom Bombenangriff am 7. März 1945, Arbeitstitel "Streng geheim": "Erster Bombenabwurf: 21.50 Uhr. Letzter Bombenabwurf: 22.20 Uhr. Abwurfmittel: Etwa 80 Minenbomben, 2300 Sprengbomben davon 155 Blindgänger, 3000 Stabbrandbomben und 100 Leuchtbomben verschiedener Art." 151 Menschen, davon zehn Kinder starben in den Trümmern. 220 Männer und Frauen waren unter dem Schutt ihrer Häuser begraben, 132 wurden tot geborgen, nur sieben Menschen waren unversehrt.

Nicht immer boten Keller und Bunker Schutz: Am Luftschutzstollen an der Grumbrechtstraße detonierte eine Sprengbombe direkt vor dem Eingang. Der Stollen wurde nicht beschädigt, allerdings verloren durch die Druckwelle 36 Harburger ihr Leben. 5500 Harburger wurden obdachlos. "Die Personenschäden sind erheblich", heißt es dazu im Polizeibericht. Der Angriff wurde als "mittelschwer" eingestuft.

Viele ältere Harburger, die diese Zeiten überlebt haben, waren während des jüngsten Bombenalarms in Angst und Schrecken versetzt worden. Kein Wunder, dass sie niemals vergessen werden, was damals passiert ist.