Im Stöckter Hafen läuft ein Sozialprojekt für Jugendliche ohne Lehrstelle
Stöckte. Verträumt dümpelt der 19 Meter lange Frachtensegler in der Sonne. Vor seinem grün gestrichenen Bug schwimmen einige Möwen auf und ab.
Lange lag der Besan-Ewer so da, vernachlässigt, unbeachtet.
Bis ihn die gemeinnützige Quäker-Haus-Gesellschaft aus Buchholz entdeckt hat. Seit Oktober letzten Jahres restaurieren Jugendliche die "Eule von Tollerort", so heißt das Schiff mit der bewegten Vergangenheit. Sie werken täglich auf und unter Deck, schweißen, Pinseln, schneiden Holz zu. Fünf Plätze sind bei dem Sozialprojekt auf einmal zu vergeben. Jugendliche, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Lehrstelle finden, sollen so an Arbeit herangeführt werden, darüber einen Praktikumsplatz, vielleicht sogar eine Lehrstelle finden. Angelegt ist das Projekt auf zwei Jahre. 15 bis 20 junge Frauen und Männer können in dieser Zeit zum Einsatz kommen. Unterstützt werden die Restaurationsarbeiten von der benachbarten Eckhoff-Werft. Am Ende soll der Traditionssegler grundüberholt für touristische Fahrten und Sozialprojekte in See stechen.
Marvin Brüggemthies ist einer der Jugendlichen, die hier einen Platz gefunden haben. Der 20-Jährige steht im Vorpiek, dem vorderen Teil des Schiffes und trägt mit einem Pinsel gleichmäßig weiße Farbe auf der Holzverkleidung auf. Vier Kojen sollen hier eingebaut werden. "Ich hatte schon einen Ausbildungsplatz, aber dann habe ich meine Krankmeldung einen Tag zu spät abgegeben und bin gefeuert werden", sagt der Seevetaler. Marvin bewarb sich und bekam eine Absage nach der anderen. "Es war demütigend", erinnert er sich. Und immer nur Zuhause abhängen und warten, dass war nicht sein Ding. Der Pro-Aktiv-Center, angesiedelt bei der Reso-Fabrik Winsen, hat ihm den Platz vermittelt. Hier tankt er neues Selbstbewusstsein.
"Ich freue mich sehr, dass es mit dem Projekt noch geklappt hat", sagt Uwe Hillebrecht, 56, Geschäftsführer der Quäkerhäuser. Immer wieder war die Finanzierung unklar, verschob sich das Projekt. Bis die Gesellschaft das Geschäft mit dem Vorbesitzer Bernd Schmiel doch noch abwickeln konnte. Jetzt gehört das 1895 in Boizenburg vom Stapel gelaufene Schiff den Quäkern.
Auch Heidi Reinhold von der Initiative Kulturhafen freut sich über das geschäftige Treiben, das durch den Restaurationsarbeiten in den Stöckter Hafen eingezogen ist. "Schauen Sie sich doch einmal um, wer möchte denn hier hin kommen und Urlaub machen?", fragt sie und zeigt auf die Dixi-Toiletten nahe eines mobilen Imbisswagens. Vor etwa drei Jahren hatte die Wirtschaftsförderungsgesellschaft im Landkreis Harburg (WLH) eine Aufwertung des Hafens angestoßen: Die Schiffs-Liegeplätze sollten aufgestockt werden, Ferienhäuser gebaut sowie eine Uferpromenade mit Restaurants, Café, Segelschule und Geschäften angelegt werden. "Davon ist hier bisher nichts zu sehen", so Heidi Reinhold. "Das Schiffsbauprojekt ist bisher das einzige, was angegangen wurde."
Ein ambitioniertes Projekt, das nur mit viel Leidenschaft für die Schifffahrt umgesetzt werden kann, so Uwe Hillebrecht. Der Schiffs- und Bootsbaumeister Bernd Thal wurde eingestellt und auch die beiden Sozialpädagogen, die die Jugendlichen betreuen, haben einen maritimen Hintergrund. "Bodo Heinsch war Starkstromelektriker bei Blohm & Voss, und ich bin leidenschaftlicher Segler", sagt Stephan Zugek, 59 lachend und streicht mit der Hand über das glatt gehobelte Holz. Dann wendet er sich einem jungen Mann zu. "Gut gemacht", lobt er Marco Legahn. Der 19-Jährige kommt aus Meckelfeld und hat seit knapp drei Monaten einen Platz im Stöckter Hafen - für ihn ein Traumjob. "Mein Vater ist Segelmacher und meine Schwester arbeitet bei einer Werft, ich möchte unbedingt auch in den Bereich", sagt er und setzt den Hobel auf dem Mast auf. Knapp 20 Meter sind die beiden Douglasienstämmen aus dem Rosengartener Forst lang. In den letzten Tagen haben Marco und Marvin daraus die Schiffsmasten erst gesägt, dann gehobelt. Morgen werden sie per Kran eingesetzt. Am 15. August soll das Projekt in einem Festakt der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Dann soll das Schiff auch umgetauft werden, von "Eule von Tollerort" in seinen ursprünglichen Namen "Melpomene", mit dem es 1895 in See gestochen ist.
"Denn der Name passt zu uns sehr gut", so Uwe Hillebrecht. In der Griechischen Mythologie war Melpomene die Tochter von Zeus und eine der neun Musen, Sie hat sehr viel Unglück und Leid gesehen und hilft durch ihren Gesang, neue Kraft in den menschlichen Geist zu transportieren. Sie führt Schwache durch den Sturm des Lebens.
Zwei der Projektteilnehmer haben es übrigens schon geschafft, sie konnten einen Lehrvertrag unterschreiben, etwas worauf Marco und Marvin auch noch hoffen.