Es bleiben viele Ungereimtheiten im tragischen Fall des Slawic C.

Winsen. "Ich kann nur meinen heutigen Wissenstand wiedergeben. Aber danach sind die Vorwürfe, wie sie gegen die Ausländerbehörde des Landkreises und teilweise auch gegen mich persönlich erhoben werden, ungerechtfertigt. Der Vorgang wird umfassend aufgearbeitet." Das sagte der Winsener Landrat Joachim Bordt (FDP) Montagabend in einer eilig einberufenen Pressekonferenz. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hatte der Ausländerbehörde in Winsen nach dem Selbstmord von Slawik C. in der Justizvollzugsanstalt Lagenhagen vorgeworfen, sich "wissentlich falsche Passersatzpapiere" besorgt zu haben, um den Mann abschieben zu können. Dem Hamburger Abendblatt liegen Dokumente vor, die dafür sprechen, dass der 58 Jahre alte Slawik C. aus Jesteburg entgegen den Beteuerungen von Bordt auf Grund falscher Daten am 28. Juni im Kreishaus in Abschiebungshaft genommen wurde. Bei ihrem Haftantrag an das Winsener Amtsgericht beruft sich die Ausländerbehörde auf das Ergebnis des Personenfeststellungsverfahren, das angeblich einwandfrei die Identität von Slawik C. geklärt habe.

Wie berichtet, war der Asylantrag der Familie C. 2003 abgelehnt worden. Um die beiden abschieben zu können, musste die Ausländerbehörde sogenannte Passersatzpapiere des Heimatlandes besorgen. Die Aserbaidschanische Botschaft, das Land hatte die Familie 1999 bei ihrer Einreise nach Deutschland als Heimatland angegeben, wollte keine Papiere ausstellen. Die Ausländerbehörde leitete ein Personenfeststellungsverfahren ein. Armenien aber bestätigte, dass der Mann die armenische Staatsangehörigkeit habe, lieferte aber falsche Daten und ein falsches Foto.

Im Mai 2009 kam vom Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden die Nachricht in Winsen an, dass es sich bei den armenischen Daten nicht um Slawik C. handelt. Dennoch hat die Ausländerbehörde Winsen anschließend über die Zentrale Aufnahme- und Ausländerbehörde Niedersachsen (ZAAB) in Lüneburg ein Passersatzpapier bei der armenischen Botschaft besorgt. Bordt: "Uns war klar, dass das Verfahren kein Ergebnis gebracht hat. Die Nachricht aus Wiesbaden war für uns Anlass, diese Daten beiseite zu legen. Wir haben dann das Passersatzpapier für den Mann auf Grund der Daten, die er uns anschließend selbst gegeben hat, beantragt."

Bordt versprach lückenlose Aufklärung. Aber so genau kann der Landrat die Akte "Slawik C." seiner Ausländerbehörde noch nicht gelesen haben. "Am 25. Mai lag uns das Passersatzpapier für Slawik C. vor", erklärt Bordt. Erst mit diesem Papier, so Bordt weiter, stellten die Mitarbeiter der Behörde einen Antrag auf Haftbefehl. Allerdings musste der Landrat einräumen, dass in dem Passersatzpapier der Nachname anders geschrieben war, als von Slawik C. angegeben und ein zweiter Vorname "Tsolak" vermerkt war. Diesen könne er nie angegeben haben, weil er keinen zweiten Vornamen gehabt habe, erklärten später der Sohn Samwel gegenüber dem Abendblatt.

In dem "Antrag auf Abschiebungshaft und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung" der Ausländerbehörde an das Amtsgericht Winsen vom 18. Juni, liest sich die Version, wie sie jetzt von Bordt dargelegt wird, anders: "Im April 2009 konnten über Interpol Eriwan/Armenien durch ein Personenfeststellungsverfahren die o. g. Personalien (von Slawik C., Anm. d. Redaktion) und die definitive Staatsangehörigkeit des Betroffenen verbindlich festgestellt werden. Am 13.01.2010 wurde über die zentrale Aufnahme- und Ausländerbehörde Niedersachsen - Außenstelle Lüneburg - ein armenisches Passersatzpapier für den Betroffenen und seine Ehefrau beantragt. Nach erfolgreicher Beschaffung der Heimreisedokumente für den Betroffenen ist die Abschiebung fest auf den 07.07.2010 terminiert. Das Passersatzpapier wird zu diesem Termin rechtzeitig und gültig ausgestellt."

Dafür, dass Slawik C. mit falschen Papieren am 28. Juni im Kreishaus festgenommen wurde, spricht auch die Schilderung die Familie. Sohn Samwel, seine Freundin und Mutter des gemeinsamen zweijährigen Kindes, hatten an diesem Tag Slawik und Asmik zur Ausländerbehörde begleitet. Dort hätten die Mitarbeiter Slawik C. das Passersatzpapier mit seinem Foto gezeigt. Asmik C. habe die Daten gesehen und sofort gesagt: "Das ist er nicht." Ihr Mann sei zu verzweifelt gewesen, um irgendetwas zu sagen. Daraufhin sei die Familie außer dem Vater, aus dem Raum geschickt worden. Die Polizei habe Slawik C. die Handschellen angelegt. Seine Freundin, so Samwel, habe noch zu den Männern gesagt, Slawik brauche doch jemanden, der für ihn übersetzt, sie wolle das tun. Die Mitarbeiter der Behörde hätten sie hinaus geschickt.

Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen bezeichnete "solche Methoden, Menschen mit falschen Papieren in Abschiebungshaft zu nehmen, als typisch für Niedersachsen". Im Landkreis Harburg werden jeden Monat, so Kreishaussprecher Georg Krümpelmann, etwa 20 Menschen in Abschiebungshaft genommen.

Der Fall des 58 Jahre alten Slawik C. bringt die Ausländerbehörde des Landkreises Harburg und damit auch Landrat Bordt in arge Erklärungsnot. In der Pressekonferenz präsentierte Bordt auch gleich mögliche Fehlerquellen: "Bei unserem Antrag über die ZAAB an die armenische Botschaft, uns Passersatzpapiere für den Mann auszustellen, haben wir darum gebeten, diese Papiere auf der Grundlage seiner eigenen Angaben auszustellen. Mich wundert nun im Nachhinein, dass die ZAAB zwar diese Daten für den Antrag benutzt hat, aber auch die falschen Daten, die bei dem Personenfeststellungsverfahren heraus gekommen waren. Beide Datensätze wurden offensichtlich an die armenische Botschaft weiter gegeben. Eigentlich hätten die Lüneburger erkennen können, dass die Daten aus dem Verfahren von Wiesbaden als falsch erklärt worden waren."

Dazu habe der Landkreis bereits Anfragen an Lüneburg und an die armenische Botschaft gestellt. Auf die Frage, warum die falschen Daten überhaupt weiter gegeben worden seien, antwortet Bordt: "Das ist so üblich. Ich will aufgeklärt wissen, warum beide Datensätze für das Passersatzpapier verwendet worden sind."

Wie berichtet, endet heute die befristete Duldung von Asmik C, die Witwe von Slawik C. Sie wird heute von Politikern aus dem Landkreis Harburg bei ihrem Termin in Winsen begleitet, wenn die Ausländerbehörde diese Duldung verlängert. Bordt: "In ihrem Fall läuft das Personenfeststellungsverfahren noch. Inzwischen haben uns die armenischen Behörden jedoch mitgeteilt, dass Asmik C. keine armenische Staatsangehörige ist. Ich habe angeordnet, dass sie eine Duldung für ein halbes Jahr bekommt. In dieser Zeit werde ich mich bei Innenminister Bernd Schünemann einsetzen, um für beide, Samwel und Asmik C., ein dauerndes Aufenthaltsrecht hier zu erreichen. Das hat nichts mit einem schlechten Gewissen zu tun, das berücksichtigt nur die Situation, in der die Frau sich befindet."