Jesteburg ist erschüttert über das Schicksal einer Nachbarfamilie

Jesteburg. In dem Garten des kleinen Doppelhauses in Jesteburg steckt eine Deutschland-Fahne in der Erde. Daneben in einem Gewächshaus wachsen Gemüse und Salat. Er habe seinen Garten über alles geliebt, Auberginen gezüchtet und habe mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft mitgefiebert. Ein großartiger Musiker sei er gewesen. Wer ihn gekannt habe, habe ihn einfach gern gehabt, sagt einer der Männer, die auf der Terrasse des Hauses sitzen und sich leise unterhalten. Die Frauen sitzen im Haus. Die Jalousien sind heruntergelassen. Familie und Freunde trauern um den Freund, Ehemann, Vater und Großvater Slawik C., der sich in der Justizvollzugsanstalt Langenhagen in Hannover das Leben genommen hat.

Beamte fanden den 58 Jahre alten armenischen Abschiebehäftling, der seit fast elf Jahren mit seiner Familie in Jesteburg lebte, am Abend des 2. Juli tot in seiner Einzelzelle. Slawik hatte sich mit dem Kabel eines Wasserkochers am Gitter des Zellenfensters erhängt. Das Flugzeug, das ihn gestern um 15 Uhr von Fuhlsbüttel nach Frankfurt und anschließend nach Armenien bringen sollte, ist ohne ihn geflogen.

Seine Familie in Jesteburg steht unter Schock, Freunde und Nachbarn, Armenier wie Jesteburger sind erschüttert. Alle befürchten, dass Slawiks Frau die nächste sein wird, die von der Polizei im Auftrag der Ausländerbehörde des Landkreises Harburg verhaftet und abgeschoben werden soll. Die Asylanträge, die Slawik und seine Frau 1999 eingereicht hatten, waren abgelehnt worden. Der Sohn darf auf unbefristete Zeit in Deutschland bleiben. Die Familie stammt aus dem Grenzgebiet zwischen Armenien und Aserbaidschan, in dem ein Grenzkonflikt die Menschen zermürbte. Die Familie floh mit ihrem Sohn nach Deutschland, um hier in Frieden leben zu können. Die Ausländerbehörde sah nicht, dass "Leib und Leben von Slawik und seiner Frau in ihrer Heimat durch staatliche Organe bedroht" seien, so heißt es im Amtsdeutsch. Seitdem werden sie in Deutschland nur noch geduldet.

Am 28. Juni war Slawik zur Ausländerbehörde ins Kreishaus einbestellt worden, wie so oft in den Jahren davor. Der Mann, für den Jesteburg zur Heimat geworden war, wollte sich seine Duldungserlaubnis wieder verlängern lassen. Aber er sollte seine Familie nie wiedersehen. Nach seiner Verhaftung im Kreishaus wurde er in Abschiebehaft nach Langenhagen übergeführt. "Slawik hat hier in Jesteburg in der Kleiderkammer und beim Bauhof jede ehrenamtliche Arbeit übernommen und war überall beliebt. Er und seine Frau haben uns das Christentum vorgelebt", so die Grünen-Kreistagsabgeordnete und Freundin der Familie, Elisabeth Meinhold-Engbers. "Dieses Vorgehen ist menschenverachtend, das hätte nie passieren dürfen", sagt ein Freund der Familie. "Meine Mutter, meine Freundin und mein kleiner Sohn waren dabei, als er im Kreishaus von der Polizei abgeführt wurde. Meiner Mutter sagten sie, sie solle ihm seine Waschsachen bringen, alles sei in Ordnung. Warum trennt man eine Familie so brutal?" Auch er fühle sich nicht mehr sicher, sagt der junge Mann, der vier Tage bevor sein Vater verhaftet wurde, seinen Gesellenbrief als Maler und Lackierer bekam, früher im VfL Fußball gespielt und hier seine eigene Familie gegründet hat.

"Ich bin erschüttert und wütend darüber, dass die Schergen gnadenlos das Ausländergesetz umsetzen, ohne den Menschen zu sehen. Das steht im krassen Gegensatz zu den Worten unseres Bundespräsidenten Christian Wulff, das Ausländergesetz müsse verbessert werden", sagt Jesteburgs Bürgermeister Udo Heitmann (SPD), der am Dienstag der Familie sein Beileid ausgesprochen hat. Landrat Joachim Bordt verteidigt das Vorgehen seiner Behörde, gleichwohl sei er erschüttert über diesen tragischen Fall und spreche der Witwe sein Beileid aus. "Herr C. hat im Mai die Androhung der Abschiebung erhalten. Wir haben beiden die freiwillige Ausreise und unsere finanzielle Unterstützung angeboten. Das wurde abgelehnt von der Familie. Trotzdem müssen wir uns anlässlich dieser Tragödie natürlich fragen, ob die Umsetzung unseres Ausländergesetzes so in Ordnung ist", sagt Bordt.