Bürgerinitiative kämpft gegen die ungeliebte Fernleitung vor ihrer Haustür

Stöckte. Es war ein grauer Tag im November 2007 an dem das Telefon klingelte. "Hast du schon gehört?", die Stimme ihrer Nachbarin klang aufgeregt. "Eine Gaspipeline mitten durch Stöckte, keine zehn Meter von deinem Haus entfernt." Christina Goes ließ sich auf einen Stuhl sinken, holte tief Luft. Nach dem Gespräch rief sie eine Freundin an. Binnen einer Stunde verbreitete sich die Nachricht in dem 1800-Seelendorf - davon, was nicht sein kann, nicht sein darf.

Die E.on Ruhrgas AG plant die Norddeutsche Ferngasleitung NEL mitten durch ein Wohngebiet in Stöckte zu legen - durch fruchtbaren Boden, vorbei an traditionsreichen Höfen und heimelig eingerichteten Einfamilienhäusern. "Die legen uns eine tickende Zeitbombe durch den Garten", Christina Goes Augen funkeln während sie das sagt. Ihre Stimme wird schrill, wenn es um die Pipeline geht und die Herrn Ingenieure, die behaupten, "die Gasleitung ist in sich sicher." "Völlig ungefährlich" - das könne ihr keiner erzählen, sagt sie.

Wer am Hoopter Deich entlang fährt, glaubt dem Paradies sehr nahe gekommen zu sein. Mit Reet gedeckte Häuser strecken sich der der Juli-Sonne entgegen, Bauerngärten blühen in den schönsten Farben und die Äste der Kirschbäume biegen sich unter der Last der tiefroten Früchte. "Hier wird sie herführen", sagt Christina Goes und geht mit gesenktem Blick den Kiesweg ab. Das nächste Haus ist gerade einmal fünf Meter entfernt.

Die NEL wird einen Durchmesser von 1,40 Meter haben. Das Gas soll mit einem Druck von 100 Bar durch die Leitung strömen, nur einen Meter unter der Erdoberfläche. Diese Bodendecken sei völlig ausreichend - so die Experten von E.on. Selbst Landwirte könnten den Boden, unter dem die Pipeline liegt, weiter bewirtschaften.

Edith Conrad schüttelt ungläubig den Kopf. Die Adresse der Stöckterin: Hoopter Straße 205. 80 Meter von der geplanten Pipeline entfernt. "Ich habe Angst, vor dem was da kommen soll", sagt Edith Conrad. An eine Gasexplosion und ihre Folgen wagt sie gar nicht zu denke. Doch die Probleme fangen schon viel früher an. Für die Bauarbeiten ist eine Absenkung des Grundwassers nötig, das könne zu einem Absacken der Häuser führen. "Außerdem habe wir an vielen Stellen Moorboden, wie soll der ein 15 Tonnen schweres Rohr tragen?" So viel wiegt ein 18 Meter langer Rohrabschnitt.

Von einem Austausch des Bodens hält Edith Conrad nichts, schließlich diene das Moor als Wasserspeicher.

Und überhaupt das Wasser: "Die wollen die Leitung in anderthalb Meter Tiefe unter dem Deich durchschießen, dabei sprechen sich Experten für eine Verlegungstiefe von mindestens fünf Metern aus. Nur so kann der Deich geschützt werden. Das alles scheint E.on nicht zu wissen oder nicht bedenken zu wollen."

Deshalb haben sich Christina Goes und Edith Conrad mit anderen Stöcktern und Betroffenen aus Ortschaften, durch die die Pipeline führen soll, zu einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen. "Am dritten Advent 2007 haben wir dem Rat der Stadt Winsen einen offenen Brief übergeben, in dem über 300 Betroffene ihre Einwende aufgeschrieben haben." Die Stadt habe bis dato nichts gegen das umstrittene Projekt unternommen, so die Anwohnerin. Erst aufgrund ihres Protestes habe sie sich gegen die NEL ausgesprochen. Zu diesem Zeitpunkt war das Raumordnungsverfahren schon in vollem Gange.

"Von Anfang an ist bei der Planung geschlampt worden", da ist sich Peter Bendzko aus Maschen sicher. Auch unter seinem Grundstück soll die NEL durchführen. "E.on hat zum Beispiel mit völlig veraltetem Kartenmaterial gearbeitet."

Das erkläre auch warum die ursprüngliche Trassenführung, direkt neben Christina Goes Haus, schon nach einigen Wochen des anhaltenden Protestes um einige Meter verlegt worden sei. Auf dem Grundstück Hoopter Deich 54 gab es konkrete Bauvorhaben, das sei aus den alten Karten nicht ersichtlich gewesen. Erleichtert ist die Stöckterin deshalb nicht.

"Ob fünf oder 50 Meter, das macht keinen Unterschied", so Christina Goes, "Stöckte wird durch die Leitung in zwei Teile geteilt. Betroffen sind wir alle." Was neben der Sorge um Gesundheit und Sicherheit auch eine Wertminderung der Häuser und Grundstücke mit sich bringt, da sind sich die Mitglieder der Bürgerinitiative einig.

"Dabei gibt es sehr wohl eine alternative Trassenführung, die ebenfalls im Raumordnungsverfahren abgenickt wurde. Das macht mich besonders wütend", so Volker Beecken, Eigentümer des Grundstücks Hoopter Deich 54. Aber im nachfolgenden Planfeststellungsverfahren sei nur die Trasse durch Stöckte beantragt worden. Die Alternative würde südlich von Winsen verlaufen, in viel größerem Abstand zu Wohngebieten - aber in unmittelbarer Nähe zum Golfplatz, dem Vorzeige-Prestige-Projekt der Stadt. Und: Sie wäre sieben Kilometer länger und damit um einiges teurer.

"Und für E.on zählen nur gewinnbringende Argumente", so Edith Conrad. Das habe erst kürzlich wieder ein Erörterungstermin in Rotenburg gezeigt, der für Ende Mai angesetzt war. "Da haben uns die Herrn Manager und Ingenieure kaum zu Wort kommen lassen", so Edith Conrad.

Volker Beecken sieht das anders: "Wir haben so viel schlagende Argumente vorgebracht, die können nicht ignoriert werden." Etwa ein bis zwei Monate wird es dauern, bis die Entscheidung fällt - wird sie gegen die alternative Trassenführung ausfallen, ziehen die betroffenen Anwohner vor Gericht. "Wir kämpfen bis zum Letzten", sagt Christina Goes. Es gehe schließlich um ihr Leben.