Das LKA untersucht den Tatort, und Jugendliche sorgen sich um ihre Zukunft

Neuwiedenthal. Sie wollten sich vor dem Hamburger Rathaus treffen, um gemeinsam gegen die Gewalttaten in Harburg und Neuwiedenthal zu demonstrieren: 50 Leute sind Aufrufen auf Internetportalen gefolgt. Viele der Demonstranten sind Freunde von Pascal E., der, wie berichtet, in Harburg erstochen wurde.

"Meine Tochter Marie war auch auf der Ackerfete. Ständig mache ich mir nun Sorgen, ob sie auch Opfer einer Gewalttat werden könnte", sagt Stephania Bonatz. "Das Schlimme ist, dass die Täter meist Migrationshintergrund haben. Ständig hantieren die mit Messern herum."

Neben ihr steht Simone Lewitzki aus Neugraben. "Mein Sohn war der beste Freund von Pascal", sagt sie leise. Sie fordert von der Politik, dass "härtere Strafen gegen brutale Täter" durchgesetzt werden sollten. "Und das nicht nur, wenn Polizisten verletzt werden", sagt Franziska von Thun, 25, die aus Buchholz gekommen ist. Sarah Peters, 24, ihr Sohn Sean, 4, und ihre Mutter Gabriele Schauer, 47, sind aus Wilhelmsburg angereist.

Auf Seans T-Shirt steht "keine Gewalt an Kindern" und "ich bin eure Zukunft, schützt mich". "Sean soll angstfrei aufwachsen. Ich will, dass die Politik dafür sorgt. Schläger und Messerstecher sollen hinter Gittern", sagt Sarah Peters. Sie ist aus denselben Grund auf den Rathausplatz gekommen, wie eine der Initiatorinnen der Aktion, Sarah Schäfer,21. "Ich bin wütend und wollte etwas unternehmen."

"Diese Ausländer, die in ihren Hochhausgettos in ihrer Parallelwelt leben, erreicht man sowieso nicht", sagt ein Harburger. Kontakt zu "denen" hat er nicht, will er auch gar nicht haben.

Einer von "denen" ist Ahmed S. , 22, aus Neuwiedenthal. Er sitzt auf einer Bank im Einkaufszentrum Neuwiedenthal, in der Nähe des Tatorts, wo sich Jugendliche eine Schlägerei mit der Polizei geliefert haben. Ahmed weint: "Alles ist schrecklich geworden. Wo soll das alles noch hinführen." Ahmed ist der Bruder von Amor S., der am Wochenende in Neuwiedenthal einen Polizisten getreten und geschlagen haben soll. Auch Ahmed war dabei. Auf Krücken. "Ich hatte einen Unfall, seitdem brauche ich die Dinger." Er wurde während der Prügelei verletzt, hat blutende Schrammen im Gesicht und Prellungen an den Rippen, steht immer noch unter dem Eindruck des Geschehens. "Klar, hat mein Bruder Amor früher Probleme gehabt. Aber er ist jetzt ein anderer Mensch, hat Familie und Arbeit", sagt er und lädt dazu ein, ihn auf einen Rundgang durchs Viertel zu begleiten. "Viele sagen, hier kann man nicht leben, zu gefährlich, zu viele gewaltbereite, ausländische Jugendliche", sagt er, schüttelt den Kopf und geht vorbei an einem Spielplatz mit Bänken. Rentner mit Rollatoren klönen dort. Kinder spielen im Sand.

"Ich bin hier aufgewachsen. Es hat sich viel getan, seitdem die Saga die Häuser renoviert hat und mehr auf Sauberkeit geachtet wird." Das sagen auch die Rentner auf der Bank. "So richtig gefährlich ist es hier nicht. Nur wenn sich die Jungs prügeln, gehen wir lieber weg." Ahmed kennt die "Jungs" nicht. "Das sind Russengangs oder andere Typen, mit denen haben wir nichts zu tun." Er macht sich Sorgen um seine Zukunft. "Ich will Konstruktionsmechaniker werden. Aber wer nimmt mich denn jetzt nach diesen Vorfällen? Wenn die in meiner Bewerbung sehen 'Aha, Ausländer und aus Neuwiedenthal', das war es doch." Ob er sich vorstellen kann, dass Leute Angst vor ihm haben könnten? Ahmed S. schaut ungläubig, sagt "Nein".

Unterdessen haben sich Beamte des Landeskriminalamtes eingefunden, um den Tatort am Rehrstieg noch einmal zu begutachten. Sie bauen ein Lasergerät auf, das die Gegend Meter für Meter abtastet, um das Geschehen in einer Skizze dreidimensional abbilden zu können. Auch Streifenpolizisten sind unterwegs. "Die Jugendlichen hier haben enormen Gesprächsbedarf. Alle befürchten, dass sie keine Arbeit finden und als Gettobewohner abgestempelt werden", so ein Beamter. Der Vorfall habe auf einige junge Neuwiedenthaler einen "erzieherischen Effekt". Angst, in den Straßen auf Streife zu gehen, hat er nicht. Sein Kollege auch nicht. Sorgen bereitet ihm eine andere Entwicklung. "Einige Eltern hier sind zu gleichgültig, was Werte anbelangt", sagt er. So werde er in Kindertagesstätten eingeladen, um den Kindern zu erzählen, dass sie nicht prügeln und stehlen gehen dürfen. "Das ist doch eher die Aufgabe von Müttern und Vätern."